Viel ist vom ehemaligen deutschen Kriegsgefangenenlager Oflag XVIII, am sogenannten Grafenanger bei Lienz in Osttirol gelegen, nicht mehr zu sehen. Die rund 30 Baracken, die hier zwischen 1940 und 1943 etwa 1.000 französische Offiziere beherbergt hatten, sind längst abgerissen, heute tollen die Schüler des örtlichen Gymnasiums über das Gelände. Nur wenigen ist bewusst, dass hier - mitten in den Osttiroler Alpen - ein Grundstein für eines der bekanntesten und luxuriösesten französischen Ski-Resorts gelegt wurde - Courchevel, für die kommenden zwei Wochen Gastgeber der 47. alpinen Ski-Weltmeisterschaften.
Unter den Offizieren, die ab Sommer 1940 in Lienz gefangen gehalten wurden, befand sich auch ein junger Leutnant namens Laurent Chappis. Der spätere Architekt und Stadtplaner gilt als Erfinder von Courchevel, in Osttirol fand er jene Inspiration, nach der er seine Planungen für ein riesiges, noch zu realisierendes und die österreichischen und Schweizer Skigebiete überragendes Alpenresort ausrichtete. Teile seiner Diplomarbeit "Trois Vallées - Entwicklung der drei Täler in Savoyen" entstanden in Lienz, bei den Planungen unterstützt wurde Chappis von einem Gefangenenkameraden, dem Ingenieur Maurice Michaud. Nach Kriegsende ging das Duo daran, seine Idee, die unberührten Täler Courchevel, Belleville und Méribel nordöstlich von Grenoble zu einem Wintersportparadies zusammenzuführen, umzusetzen.

Auch Frankreichs Präsident Valery Giscard d'Estaing schätzte die Pisten von Courchevel.
- © APA / AFP / Derrick CEYRACAction mit James Bond
Bei den örtlichen Behörden stießen Chappis und Michaud auf offene Ohren, hatte man doch bereits unter der Herrschaft der Vichy-Regierung entsprechende Pläne gewälzt und sogar ein erstes Projekt initiiert. Dass Courchevel ein Skigebiet aus der Retorte ist, verrät schon der Name. Eigentlich hätte der neue Ort Les Touvets heißen sollen, schließlich entschied man sich aber für Courchevel, das aus den Begriffen "écorcher" (Haut) und "veau" (Kalb) zusammengesetzt ist und als besser vermarktbar erachtet wurde. Binnen kürzester Zeit wurden am Fuße des 3.051 Meter hohen Aiguille de Fruit zunächst drei Resorts errichtet und nach ihrer Meereshöhe benannt: Courchevel 1550, 1650 sowie 1850. Erst 2011 erfolgte ihre Umbenennung in Courchevel Village, Courchevel Moriond und Courchevel.
Bald schossen allerorts Hotelbauten und Chalets, die unter anderem dem Baustil der Osttiroler Alpenhöfe nachempfunden waren, aus dem Boden, 1946 wurde zwischen Courchevel 1550 und 1850 der erste Skilift in Betrieb genommen. Chappis Konzept nahm im Gegensatz zu vielen anderen Skiorten - etwa Olympiagastgeber Albertville - nicht nur Rücksicht auf die Umwelt, es sah auch vor, dass jedes Resort vom Skigebiet aus direkt per Ski erreichbar sein musste. Diesen Servicegedanken ad absurdum führte der Bürgermeister von Courchevel, Émile Ancenay, als er 1962 auf der 2.007 Meter hoch gelegenen Pralong-Alm, quasi mitten in die Skipiste, einen kleinen Flugplatz errichten ließ. Bis heute gilt der Airport mit seiner 538 Meter langen und 18,66 Prozent geneigten Landebahn als einer der gefährlichsten der Welt, der nur von geschulten Piloten mit entsprechender Lizenz angeflogen werden darf. 1997 wurde das dramatisch gelegene Aerodrom als Szenenschauplatz des James-Bond-Klassikers "Der Morgen stirbt nie" ausgewählt.
In jenem Jahr wurde auch der internationale Linienverkehr mit dem mittlerweile berühmten Wintersportort eingestellt. Bis dahin hatte unter anderem die österreichische Tyrolean Airways eine Direktverbindung zwischen Courchevel und Innsbruck unterhalten. Seitdem wird der Flugplatz nur noch von Sportfliegern und Privatjets genutzt. Die direkte Erreichbarkeit des Skigebiets mit seinem beeindruckenden Bergpanorama schätzen nicht nur Oligarchen aus dem Osten, sondern auch Konzernbosse und Stars, weswegen Courchevel als Luxusskiresort der Schönen und Reichen gilt. Wer es sich leisten kann, residiert in eigenen vier Wänden, zu den bekanntesten Stammgästen zählt beispielsweise Harry-Potter-Star Emma Watson oder der frühere Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher, der in Courchevel ein stattliches Chalet besitzt. Der Deutsche verunglückte am 29. Dezember 2013 im nahegelegenen Skigebiet Méribel und erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, von dem er sich bis heute nicht erholt hat.
Heute gilt das Les Trois Vallées genannte Skigebiet, das neben Courchevel die Resorts Méribel, Les Menuires sowie Val Thorens umfasst, als größtes zusammenhängendes Skiparadies der Welt. Courchevel-Méribel verfügt über nicht weniger als 600 Kilometer Pisten, davon rund 180 grünblaue sowie 140 rotschwarze Pisten. In Courchevel 1850 befindet sich auch das berühmte Grand Couloir, das als eine der gefährlichsten schwarzen Pisten der Welt gilt. Dabei handelt es sich um einen 630 Meter langen Steilhang mit einem Gefälle von bis zu 80 Prozent. Da die meisten Strecken in über 1.800 Meter Seehöhe liegen, ist die Schneelage die gesamte Saison über - auch dank 700 Schneekanonen - stabil. Die 157 Lifte und Bahnen kommen auf eine Gesamtlänge von 187 Kilometern und können pro Stunde bis zu 184.000 Personen befördern.
Angesichts solcher Statistiken verwundert es, dass Courchevel-Méribel in seiner bald 77-jährigen Geschichte noch nie Austragungsort einer Ski-Weltmeisterschaft oder Olympischer Spiele war. Lediglich Méribel kam bei den Winterspielen 1992 in Albertville zu olympischen Ehren, als es in der neugebauten Eissporthalle (Patinoire du Parc Olympique) die Eishockeybewerbe beherbergte. Außerdem wurden hier die Ski-Bewerbe der Damen ausgetragen. Bisher war Frankreich lediglich vier Mal Gastgeber einer Ski-WM: 1937 und 1962 in Chamonix, 1968 in Grenoble (gemeinsam mit Olympia) sowie 2009 in Val dIsere. Aus heimischer Sicht war die WM 1962 mit 15 Medaillen die bei weitem erfolgreichste. Damals fuhren Karl Schranz und Marianne Jahn der Konkurrenz auf und davon, im Riesentorlauf sorgten Egon Zimmermann, Schranz sowie Martin Burger für einen sensationellen Triple-Erfolg.
Shuttlebusse gegen den Stau
Bei dieser WM finden die Medaillenfeiern nahezu ausnahmslos in Meribél statt. Courchevel und Méribel sind nur knapp fünf Kilometer Luftlinie entfernt, auf dem Landweg liegt allerdings im zügigsten Fall eine 20-minütige Autofahrt dazwischen. Viele Mitarbeiter, Freiwillige, Medienschaffende und vor allem Fans sind in Brides-les-Bains oder entlegeneren Orten untergebracht, von denen man direkt mit der Gondelbahn nach Méribel hochfahren kann. Auf Rücksicht auf die Umwelt und um eine Überlastung der Straßen zu verhindern, setzt man auf ein System mit Gratis-Shuttles zwischen den Wettkampfstätten. Von den Städten Lyon, Annecy, Grenoble, Chambéry oder Albertville aus werden preisgünstige Busse verkehren.
Auf die Athleten und Fans werden Skikulisse und Alpenpanorama - inklusive Fernblick auf den Mont Blanc - jedenfalls Eindruck machen. Und vielleicht wird sich der eine oder andere an die Namen Laurent Chappis und Maurice Michaud erinnern, die einst das Skigebiet Wirklichkeit werden ließen. Beiden war es nicht mehr gegönnt, die Ausrichtung eines Großereignisses in "ihrem" Skigebiet zu erleben. Michaud schied bereits 1973 aus dem Leben, Chappis wurde 98 Jahre alt und starb am 28. Dezember 2013 in Chambéry, keine 100 Kilometer von Courchevel entfernt.