Ein einziger Weltcupsieg und nur fünf weitere Stockerlplätze - das ist nicht die ernüchternde Bilanz von Österreich Ski-Damen in dieser Saison, sondern jene des gesamten französischen Teams. Womit vor der am Montag beginnenden Heim-WM in Courchevel/Meribel (6.-19. Februar) in der großen und stolzen Ski-Nation auch so etwas wie Versagensangst mitschwingt. Equipe Tristesse statt Equipe Tricolore? Immerhin ist die Grande Nation mit 136 alpinen WM-Medaillen, davon 47 in Gold, das dritterfolgreichste Team in der WM-Historie hinter Österreich und der Schweiz. Doch die Zeiten großer Alpin-Erfolge durch Jean-Claude Killy, Marielle Goitschel, Luc Alphand, Perrine Pelen, Carole Merle und Jean-Baptiste Grange sind - zumindest momentan - passé. Gerade einmal eine Handvoll Athleten hat derzeit überhaupt das Zeug, in Savoyen um Edelmetall mitzufahren.
Krise bei den Damen, aber Überraschungscoup möglich
Einen Blick auf den Weltcupstand sollten die Franzosen derzeit auch nicht riskieren, das könnte vor dem großen Heimspektakel nur demotivieren: Als einziger Akteur rangiert Alexis Pinturault als Siebenter (535 Punkte) in den Top Ten des Gesamtweltcups. Bei den Damen sieht es noch trister aus: Alle Fahrerinnen zusammen haben heuer 997 Punkte gesammelt - die Slowakin Petra Vlhova hat mit 966 Zählern fast genauso viele auf dem Konto. Rang acht fürs Damenteam und insgesamt Rang sechs im Nationencup sind wahrlich keine Offenbarung. Allerdings sind Weltcup und Weltmeisterschaft zwei Paar Skischuhe - das hat die Historie oft genug bewiesen. Und ein paar heiße Medaillentipps in Blau-Weiß-Rot gibt es dann ja doch:

Clement Noel: Gewinnt der 25-Jährige nach Olympia- auch WM-Gold, schafft also das seltene Slalom-Double innerhalb eines Jahres, dann darf er sich zu den Allergrößten des französischen Skisports zählen. Mit seinem Sieg in Schladming, dem einzigen für Frankreich heuer, hat er bewiesen, dass er die Konkurrenz mit einem Traumlauf wieder abhängen kann - so war es schon bei Olympia 2022 in Peking. Doch der zehnfache Slalomsieger im Weltcup, der nunmehr alle Klassiker schon gewonnen hat, ist zu volatil und jederzeit für einen Ausritt gut. So schaffte er es heuer nur in Garmisch als Dritter ein weiteres Mal auf das Stockerl. Und am letzten Wettkampftag für Frankreich womöglich die Kastanien aus dem Feuer holen zu müssen (wie vor zehn Jahren Marcel Hirscher in Schladming) - diese ultimative Nervenprobe wünscht Noel sicher niemand. Bei der WM-Slalom-Generalprobe in Chamonix (Samstag, 9.30/12.30 Uhr) kann er sich jedenfalls schon einmal auf die große Aufgabe einstimmen.
Alexis Pinturault: Für ihn ist Courchevel ein echtes Heimspiel, stammt der 31-Jährige doch aus dem Nobelskiort, wo seinem Vater das mondäne Hotel Annapurna gehört. Und vielleicht nimmt das unglückselige Kapitel Ski-Großereignisse für Pinturault just in seinem Heimatort doch noch ein glückliches Ende. Denn dass der begnadete Edeltechniker bei Titelkämpfen wie Olympischen Spielen erst eine Einzel-Goldmedaille erringen konnte, und die auch "nur" in der Kombination (Aare 2019), ist eigentlich unglaublich. Allzu oft spielten ihm die Nerven einen Streich, und er vergeigte den sicher geglaubten Titel noch - etwa vor zwei Jahren im WM-Riesentorlauf von Cortina. In seiner Paradedisziplin, wo er die meisten Medaillen geholt hat und 2021 auch die kleine Kristallkugel einfahren konnte (im Jahr seines Gesamtweltcup-Triumphs), ist er derzeit aber völlig abgemeldet und gegen Marco Odermatt und Co. chancenlos - nur Rang 7 in der Disziplinenwertung. Den einzigen Stockerlplatz holte Pinturault heuer im Super G, als er in Beaver Creek Dritter wurde. Kommt ihm die Kurssetzung entgegen, kann er sich den Medaillentraum wohl am ehesten in dieser Disziplin erfüllen; und da die Kombination heuer auch mit Super G ausgetragen wird, vielleicht auch dort. Wenn denn im Slalom die Nerven halten.
Johan Clarey: Recht viele Chancen, dass der Abfahrts-Oldie in seiner Karriere doch noch einen Weltcupsieg landet, hat der 42-Jährige nicht mehr. Mit Saisonende ist für den "ewigen Zweiten" Johan Clarey endgültig Schluss. Daher wäre es vielleicht das perfekte Wintermärchen, wenn er ausgerechnet in den französischen Alpen seinen ersten Sieg einfährt. Dass die Form passt, hat Clarey erst zuletzt am Hahnenkamm unter Beweis gestellt - Platz zwei auf der Streif. Ebenfalls Zweiter war er heuer auf der Saslong in Gröden. Und vor einem Jahr bei der Olympiaabfahrt in Peking. Damals hinter Beat Feuz und vor Matthias Mayer. Beide sind bereits zurückgetreten, der Weg für Clarey, der 2004 in der Abfahrt von Chamonix (Sieg: Stephan Eberharter) seine ersten Weltcuppunkte geholt hat, könnte also frei sein. Bei der Generalprobe vor einem Jahr kam der 100 Kilo schwere Supergleiter mit der Piste LEclipse allerdings nicht zurecht - nur Rang 17 beim Sieg von Vincent Kriechmayr. Vielleicht liegt ihm der Super G ja mehr - da hat Clarey 2019 in Aare schon einmal eine Medaille geholt. Erraten: Silber.
Tessa Worley: Die Grande Dame (33) des französischen Skisports will es in Meribel noch einmal wissen - allerdings ist die zweifache Riesentorlauf-Weltmeisterin von der überragenden Form der Titelkämpfe 2013 und 2017 weit entfernt. Und die Konkurrenz durch Mikaela Shiffrin, Lara Gut und Co. bedeutend stärker. Aber wer weiß, vielleicht bringt ihr der Heimvorteil - sie kommt aus dem nahen Albertville - den nötigen Schub, um sich aufs Siegerfoto zu fahren. Heuer im Weltcup hat es dazu noch nicht gereicht: Beste Platzierungen waren je ein vierter Rang im Riesentorlauf (Semmering) und Super G (St. Anton). Vielleicht nutzt sie auch die Gunst der Stunde im Parallelbewerb, den manch andere eventuell auslässt - vor zwei Jahren gewann Worley dort Bronze.
Romane Miradoli: Neben Worley gibt es mit Romane Miradoli wohl nur eine einzige Französin, die für Edelmetall in Frage kommt. Die 28-Jährige schaffte heuer im Super G schon die Ränge 3 (St. Moritz) und 5 (Cortina). Und wann, wenn nicht bei einer Heim-WM sollte die perfekte Überraschung als krasse Außenseiterin gelingen? Vielleicht sogar in Gold, wie ihre Vorgängerinnen im französischen Ski-Team - Carole Montillet (2002) und Marion Rolland (2013) - einst bewiesen haben.
Aus Cortina verteidigt Frankreich übrigens zwei WM-Titel - beide durch Mathieu Faivre, der in den Dolomiten sowohl im Riesentorlauf als auch im Parallelbewerb zugeschlagen hat. Er ist aber heuer völlig von der Rolle und hat als bestes Resultat nur einen 17. Platz (Schladming) geschafft. Da auch Victor Muffat-Jeandet schon wieder verletzt ausfällt, wird wohl der bei Heimspielen sonst recht stimmungsvolle Team-Bewerb zur Mission impossible. Dabei ist die Grand Nation dort an sich eine große Nummer und hat schon zwei Mal den Titel geholt (2011, 2017). Besser mit drei Goldenen war nur Österreich. Das derzeit - und erst recht in zwei Jahren in Saalbach - ähnliche Sorgen hat wie die Ski-Equipe Tricolore.