Beaver Creek. Marcel Hirscher hat in den vergangenen Jahren im Riesentorlauf viel gewonnen - aber auch viel gelitten: Unter der Dominanz von Ted Ligety, unter den für ihn schwierig zu fahrenden weichen Pisten, unter der Materialumstellung, die anfangs Rückstände von fast drei Sekunden auf seinen US-Konkurrenten bedeuteten. Und hat manchmal auch einfach nur Pech gehabt - wie bei Olympia in Sotschi vor ziemlich genau einem Jahr. "Ich fühle mich beschissen", schnaubte damals ein ziemlich ratloser Hirscher in die Kameras, nachdem es bei den Winterspielen - wie vier Jahre davor in Vancouver - wieder nur zu Platz vier im Riesentorlauf gereicht hatte. Einer musste eben der Blechtrottel sein, der Ligety zu Gold gratulieren durfte. "Er hätte sogar ein Jausenbrot essen können und hätte gewonnen", merkte der Salzburger noch sarkastisch an.

Es war wahrscheinlich der absolute Tiefpunkt in der seit Herbst 2011 so erfolgreich verlaufenden Karriere des 25-Jährigen, der bis dato nicht nur drei große Kristallkugeln, sondern auch schon vier goldene WM-Medaillen gewonnen hat. Nur im Riesentorlauf klappte es bei Großereignissen bisher nicht mit dem großen Coup, weil vor allem einer immer besser war: Ligety gewann vor zwei Jahren in Schladming den Titel vor Hirscher, zwei Jahre zuvor triumphierte er schon in Garmisch, dazu besagtes Olympiagold in Sotschi. Und seit 2010 hat er auch immer die Disziplinenwertung im Weltcup geholt - mit einer einzigen Ausnahme. 2012 ging die Trophäe an Hirscher.

Und auch beim WM-Riesentorlauf am Freitag (18.15/22.15 Uhr) läuft alles auf ein Duell der beiden langjährigen Rivalen hinaus. Doch diesmal stehen die Vorzeichen etwas anders: Der heurige Weltcup-Dominator kommt nämlich aus Annaberg, hat vier von fünf Saisonrennen für sich entschieden und scheint den früheren Seriensieger endlich in den Griff bekommen zu haben. Für den Tag der Revanche wäre im Hirscher’schen Universum eigentlich alles angerichtet. Wäre da nicht die Kleinigkeit namens Heimvorteil, der sich weniger auf die Geräuschkulisse, denn mehr auf die Pistenverhältnisse bezieht. Denn Ligety liebt den Schnee in seiner Heimat - aggressiv, frühlingshaft, weich; das kommt seinem runden Fahrstil entgegen. Und hat er auch bei der WM-Generalprobe im Dezember in Beaver Creek unter Beweis gestellt, als der 30-Jährige auf der butterweichen Piste im zweiten Lauf vom vierten Platz zum Sieg raste - sein bereits fünfter Triumph auf dem nicht sonderlich steilen Schlusshang der Raubvogelpiste. Und daher hat Hirscher auch allen Grund, die ungeliebte Favoritenrolle abzugeben: "Favorit ist definitiv Ted. Er ist in Beaver Creek so gut wie unschlagbar. Seine technischen Fähigkeiten und seine Kurventechnik passen einfach perfekt zu diesem Kurs. Und er wird schwer motiviert sein." Denn im Gegensatz zum Salzburger lief es für den Mann aus Park City bei der WM bisher nicht nach Wunsch - in der Kombination gab es für den Titelverteidiger "nur" Bronze, im Teambewerb folgte das frühe Aus.

Für Hirscher indes beginnt die WM erst jetzt so richtig (am Sonntag folgt noch der Slalom), wiewohl er schon zwei Goldene um den Hals trägt. "Ich fühle mich definitiv frei, der ganz große Druck ist weg. Mein Ziel war es, eine Medaille, egal in welcher Farbe, zu gewinnen", meinte Hirscher.

Raich will seine 15. Medaille

Dasselbe Ziel hat auch Benjamin Raich, der am Freitag wohl die letzte realistische Chance hat, seine umfangreiche Edelmetallsammlung zu erweitern. Denn für den 36-jährigen Tiroler sind es die letzten Titelkämpfe, nachdem er seit Vail 1999 alle Großereignisse erlebt und 14 Mal Edelmetall nach Hause gebracht hat. "Der Hang liegt mir, die Schneeverhältnisse auch. Es gibt keine Ausreden. Jetzt muss ich nur noch zeigen, was ich kann", meinte Raich, der auch im Slalom gesetzt ist. Die deutlich besseren Weltcupresultate hat er aber im Riesentorlauf eingefahren - beim Weltcup in Beaver Creek legte er im ersten Durchgang sogar Bestzeit hin (am Ende gab es, wie auch beim Saisonauftakt in Sölden, Rang vier). "Da habe ich gezeigt, dass ich da herunter richtig schnell fahren kann. Das gibt zusätzlich Selbstvertrauen", sagt der Pitztaler, der mit Christoph Nösig und Philipp Schörghofer das rot-weiß-rote Quartett bildet. Außer Hirscher und Ligety ist für ihn auch der Franzose Alexis Pinturault ein heißer Titelkandidat. "Aber ich werde versuchen, ihnen das Leben schwer zu machen", so der 36-fache Weltcupsieger.