Gerald Grosz streitet gerne. Schon als Politiker (FPÖ, BZÖ) war der 45-jährige Steirer streitbar, doch diese Laufbahn endete 2015 mit dem Ende des BZÖ. Grosz entdeckte aber Social Media als Bühne für seine Politikkommentare, Wolfgang Fellner holte ihn 2017 zu seinem TV-Kanal, wo er aktuell mit dem Tierschützer Sebastian Bohrn-Mena beruflich streitet. In die Parteipolitik zurück will er nicht, wie er betont, er bewirbt sich aber um das höchste Amt im Staat.

"Wiener Zeitung": Herr Grosz, warum streiten Sie so gern?

Gerald Grosz: Weil Harmonie Stillstand ist und Fortschritt nur aus Reibung entstehen kann. Das ist ein philosophischer Ansatz. Ich diskutiere auch leidenschaftlich mit meinem Mann. Er vertritt oft ganz andere Standpunkte, das hilft mir aber, zu gefestigten Positionen zu gelangen.

Wird in der Politik zu wenig gestritten?

Nein, aber es wird an den wahren Themen vorbeigestritten. Was wir erleben, ist nur ein Austausch reiner Bösartigkeiten. Keiner ringt um die bessere Lösung, parteiübergreifend folgen alle einer bestimmten Inszenierung. Sie sind für mich alle eins geworden.

Die FPÖ vertritt doch radikal andere Positionen als die Regierung.

Es ist doch "more of the same". Alle pflegen ihre Traditionen, ihre Pöbeleien und Intrigen, und am Ende kommt nichts heraus.

Aber ist das nicht einfach auch Folge des größeren Angebots, der Wettbewerb der Parteien ist härter geworden, Parteipolitik rückt in den Vordergrund?

Ich kritisiere nicht die Lebhaftigkeit der Demokratie, sondern dass Parteien ihre gefestigten Meinungen tradieren. Keine hat eine Vision für das Land. Die SPÖ hat 2006 die Nationalratswahl mit einem Thema gewonnen: der Pflegekrise - bis heute ungelöst. Wir drehen auch das Rad in der Gesundheitspolitik zurück. In den 80er Jahren haben wir viele Landeskrankenhäuser gebaut, nun gehen wir zurück zur Zentralisierung mit der Folge, dass die Zentralspitäler kaum mehr Kapazitäten haben. Kindergartengruppen werden geschlossen, weil Pädagogen fehlen, in den Schulen fehlen die Lehrer. Tragende Säulen der sozialen Infrastruktur erodieren. Darauf findet die Politik keine Antwort.

Bei fast all diesen Themen wurden doch allein in den letzten paar Monaten Ideen eingebracht oder beschlossen: Die Pflegereform, Kindergartenmilliarde, der Bildungsminister prüft eine kürzere Lehrerausbildung.

Das stimmt, aber es ist eben eine Reparaturpolitik.

Ist die Zeit der großen politischen Würfe nicht generell vorbei?

Gerade jetzt ist doch die Zeit dafür! Es ist eine Zeit des absoluten Umbruchs.

Aber welcher große Wurf kann das von Ihnen beschriebene demografische Problem lösen?

Das ist auch Zuwanderung. Die Frage ist aber, wen wir holen. Während wir reden, kommen 2.000 Leute über Ungarn, weil wir unsere Grenze nicht ernst nehmen. Es gibt auch europäische Gesetze wie Dublin, die keiner ernst nimmt. Die Politiker haben nicht nur keine Visionen, sondern sie nehmen auch ihre eigenen Gesetze nicht ernst. Wir leben in einer Anarchie der Dummheit.

Sechs der sieben Kandidaten sind, in unterschiedlicher Art, systemkritisch. Der Amtsinhaber, der als System bekämpft wird, ist aber der ehemalige Grünen-Chef, einer Partei, die noch nie über 15 Prozent hatte. Das System habe ich mir irgendwie anders vorgestellt.

Wenn Sie ihn disloziert als grünen Parteichef betrachten, der wie ein Alien in der Hofburg sitzt, hätten Sie recht. Er ist aber eins geworden mit der Regierung, mit den Parlamentsparteien, mit dem Amt. Man sieht ja, wie er handelt. Das Amt macht den Menschen. Das ist auch in Ordnung, ich habe nur ein anderes Verständnis. Der Mensch soll das Amt machen.

Aber auch die Herrn Strache und Kickl agierten in der Regierung anderes als in der Opposition.

Bei mir ist das nicht so.

Der Präsident hat doch die Aufgabe, zwischen den verschiedenen staatlichen Institutionen zu moderieren, damit das Staatsganze möglichst gut funktioniert.

Da gibt es zwei Zugänge. Der eine ist das moderierende Staatsoberhaupt. Dafür ist mir aber das Amt zu schade. Auch der zweite Zugang ist nicht unanständig: Es gibt nur zwei Säulen des Staates, die direktdemokratisch legitimiert sind, den Nationalrat und den Bundespräsidenten. Daher fällt diesen zwei Säulen viel Verantwortung zu, auch gestalterische. Kelsen hat dem Bundespräsidenten Rechte gegeben, die bisherige Amtsinhaber nur in Ausnahmen in Anspruch genommen haben. Aber hat Kelsen das so definiert? Oder hat er ihm diese Rechte gegeben, weil er auch eine andere starke Rolle im Staat wollte? Ich tendiere zu Letzterem.

Sie hätten also gerne eine Republik, wo es immer wieder vorkommt, dass der Bundespräsident die Regierung entlässt?

Nein, das ist nicht auszureizen! Der Wunsch, eine Regierung zu entlassen, bezieht sich ausschließlich auf die derzeit im Amt befindliche. Nie mussten 15 Mal Minister gewechselt werden, noch nie wurden so viele Verordnungen vom VfGH aufgehoben. Diese Regierung ist ein Superlativ des Scheiterns.

Aber wie geht es dann weiter nach einer Neuwahl?

Dann schauen wir. Das hat dann der Souverän in der Hand. Und der Bundespräsident ist gut beraten, diesen Entscheid zu respektieren, und, aufbauend auf die Mehrheitsverhältnisse, die Regierung zu begleiten und ihnen Aufträge zu geben. Da gibt es das Präjudiz Thomas Klestil, der zwei Parteiobleuten, die eine Regierung bilden wollten, eine Prämisse unterschreiben ließ, die sie ins Regierungsprogramm einfügen mussten.

Das war aber kein Arbeitsauftrag, sondern eine proeuropäische Präambel.

In Wahrheit war das auch ein Arbeitsauftrag, da eine dieser Parteien EU-kritisch war und 1994 gegen den EU-Beitritt gearbeitet hat. Die FPÖ war gezwungen, zu unterschreiben und sich selbst zu entleiben.

Eine Präambel ist aber schon etwas anderes als ein Arbeitsprogramm von Bildung bis zum Sport?

Steht in der Verfassung, es darf nur eine Seite sein? Ich berufe mich einfach auf Klestil.