Wien/Graz/Eisenstadt. Der in Wien zentrierte politisch-mediale Komplex hat Wahlen in der Provinz - und die beginnt von hier aus betrachtet gleich hinter dem eigenen Speckgürtel - schon immer mit einer Mischung aus Unverständnis und Amüsement über die dort herrschenden Themen und Zugänge verfolgt. Das ist auch bei den steirischen und burgenländischen Landtagswahlen diesen Sonntag nicht wirklich anders. Nicht einmal die Selbstinszenierung eines Bundeslandes als Reformmodell für den Rest der Republik ist wirklich originell. Die meisten Länder waren schon bisher der Überzeugung, dass Österreich besser dastünde, wenn sich die Bundesregierung ein Beispiel an ihnen nehmen würde.
Zumindest bei ein, zwei Ländern war das nie ganz falsch. Neu ist, dass fast die gesamte Medienlandschaft zustimmt - und die steirischen Reformpartner dem Bund als Vorbild unter die Nase reibt. Man muss in den Annalen schon weit zurückblättern, bis man zu ähnlichen Lobeshymnen über die beiden ehemaligen Großparteien gelangt.
Am Sonntag wird sich zeigen, ob die Bürger sich diesem Urteil anschließen oder auf einer eigenen Bewertung beharren. SPÖ und ÖVP verfügen in der Steiermark über den nicht unwesentlichen Vorteil einen ausreichend großen Vorsprung vor der Konkurrenz: Selbst nach einem mittleren Erdbeben - Stimmenverluste von jeweils zehn Prozentpunkten - reicht es für Landeshauptmann Franz Voves und seinen Vize Hermann Schützenhöfer locker für eine gemeinsame Mehrheit. Im Bund haben SPÖ und ÖVP dieses Polster längst aufgebraucht: Bei den letzten Wahlen 2013 kamen die beiden Regierungsparteien gerade noch auf 50,8 Prozent. So gesehen genügt schon der kleinste Vorstoß gegen die Interessen der eigenen Wähler, und die Mehrheitsfähigkeit ist perdu.
Folgen die Bürger
dem Urteil der Medien?
Dass sich mit Mut zur Veränderung auch neue Wähler gewinnen lassen könnten, gilt in Österreichs altgedientem Regierungsestablishment als bloße Theorie. Persönlich erlebt in verantwortlicher Position haben das weder Bundeskanzler Werner Faymann noch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (und die Wahl 2002, als Wolfgang Schüssel mithilfe Karlheinz Grassers die ÖVP auf 42 Prozent hievte, entweder verdrängt oder aber als amoralisch verurteilt wird). "Wahlsiege" bestehen für SPÖ und ÖVP deshalb vor allem darin, weniger zu verlieren als der Regierungspartner. Das prägt - und zwar vor allem den Zugang zum Politischen. Schließlich verkommt Politik so zur Kunst des Möglichen, die bestehenden Wähler bei der Stange zu halten. Das ist vom Zugang her schon defensiv, und der Umstand, dass beide vom Wohlwollen der Senioren besonders abhängig sind, verurteilt sie nach dieser Logik beinahe zu vollständigen Unbeweglichkeit.
Interessant sind die Wahlgänge aber noch aus einem anderen Grund. Wieder geht es um die Kluft zwischen Zentrum und Provinz, wieder ist es ein Streit um den Zugang zum Politischen.
"Ich soll ein Populist sein?", fragte dieser Tage öffentlichkeitswirksam Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl, als er sich wieder einmal mit dem Vorwurf auseinandersetzen musste, seine Partei an den Themen der verfemten FPÖ auszurichten. Sein Konter - schließlich ist Wahlkampf - fiel deftig aus: "Die SPÖ beschäftigt sich doch nur mehr mit Randthemen wie Ampelpärchen und Sexualkunde. Das interessiert in der Stadt wenige und am Land schon gar keinen. Ich mach das anders. Sollen sie mich Populist nennen. Ich sehe mich als Pragmatiker."
Böser Populismus oder
doch bloß Pragmatismus?
Das kann getrost als Breitseite des pragmatischen Populisten - oder populistischen Pragmatikers - Hans Niessl gegen die eigenen Parteifreunde in Wien gelesen werden. Der burgenländische Landeshauptmann positioniert seine Landespartei konsequent als Bollwerk gegen die Blauen. Er hat es allerdings auch leichter: Ein links-liberales Milieu gibt es im Burgenland überhaupt nicht, sind dessen vereinzelte Vertreter doch längst nach Wien gezogen, und in der Steiermark allenfalls in Maßen in Graz. Bleibt für die SPÖ in beiden Ländern die FPÖ als stärkster Herausforderer - und entsprechend richten Niessl wie auch der Steirer Franz Voves ihre Strategie aus. In Wien kämpft die Sozialdemokratie dagegen an zwei Fronten: links gegen die Grünen, rechts gegen die Blauen. Rein quantitativ stellt die FPÖ sicher die größere Bedrohung dar, stimmungstechnisch ist die Auseinandersetzung mit den Grünen auf linksliberalen Themenfeldern vor allem im Hinblick auf die Meinungsbildner nicht wirklich weniger wichtig.
Belastbare Erkenntnisse werden weder Faymann noch Mitterlehner aus dem sonntäglichen Urnengang gewinnen können. Und falls es herbere Stimmenverluste zu erklären gilt, können beide auf starke landespolitische Faktoren bei diesen Wahlen verweisen. Im Herbst, wenn erst die Wahlen in Oberösterreich und dann in Wien anstehen, wird es härter für die Bundesregierung. Womöglich sogar deutlich härter.