Das, was ursprünglich als "Schlacht der Schlachten" ausgerufen wurde, dürfte auf eine kleine Balgerei hinauslaufen. Oder anders gesagt - wenn man hier schon mit Bildern spielt -, es muss der Hurrikan mittlerweile zu einem Sturm im Wasserglas herabgestuft werden: War bei allen Wiener Oppositionsparteien vor ein paar Monaten noch die Rede davon, den roten Bürgermeister aus dem Rathaus zu jagen, hört sich das heute ganz anders an. Es gibt nämlich eigentlich keine Partei mehr, die nicht sagen würde: Michael Ludwig wird am 11. Oktober klar die Nummer eins. Die einzige offene Frage lautet: Wird er Rot-Grün fortsetzen oder wird er mit der ÖVP gemeinsame Sache machen?

Es gibt nicht einmal mehr das - von der SPÖ zwecks Wählermobilisierung durchaus forcierte - Schreckgespenst von einer grün-türkis-pinken Koalition, weil Neos-Chef Christoph Wiederkehr eine Zusammenarbeit mit Gernot Blümel kategorisch ausgeschlossen hat. Die FPÖ ist weg vom Fenster, Heinz-Christian Strache kann froh sein, wenn er den Einzug in den Landtag schafft, die Neos werden - obwohl sie Ludwig ein eindeutiges Angebot machen - zu schwach sein, um gemeinsam mit der SPÖ eine Mehrheit im Landtag zu haben. Auch bei der ÖVP - oder besser gesagt bei Gernot Blümel - wollen die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Und Birgit Hebein versteht es zwar, regelmäßig in die Schlagzeilen zu kommen, verstört aber damit zuweilen sogar die eigene Partei mit ihren "linkspopulistischen Alleingängen", wie es ihre Kritiker formulieren.

Gute Voraussetzungen
für fast alle Parteien

Ein weiterer Grund dafür, dass die Wahl nicht zur "Schlacht der Schlachten" ausarten wird, ist die Tatsache, dass sich nach dem Wahlgang mit Ausnahme der FPÖ jede Partei als Gewinnerin darstellen können wird: Dass die SPÖ ihre 39 Prozent halten oder überschreiten wird, scheint aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich. Dass die ÖVP nach der 9,2 Prozent-Niederlage 2015 mit dem bundestürkisen Rückenwind ein gutes zweistelliges Ergebnis einfahren wird, dürfte vorprogrammiert sein. Ebenso haben die Grünen dank Regierungsbeteiligung im Bund gute Chancen, ihre 11,8 Prozent von 2015 auszubauen. Den Neos wird laut Umfragen zumindest ein Zuwachs von ein bis zwei Prozent zugestanden. Für Strache beginnt das Gewinnen bei durchaus realistischen 5 Prozent; damit würde er sich auch den Einzug in den Wiener Landtag sichern. Lediglich für die FPÖ wird es nach den 2015 fast erreichten 30 Prozent schwierig sein, die für Oktober prophezeiten 8 Prozent schönzureden.

Und die Entscheidung Ludwigs zwischen ÖVP und Grünen wird dann wohl zum einen davon abhängen, wie stark die SPÖ aus der Wahl hervorgeht, zum anderen davon, wie stark die potenziellen Koalitionspartner sind beziehungsweise wen er von den beiden "billiger" einkaufen kann - sprich: wer in Sachen Ressortaufteilung am genügsamsten ist. Das dürfte die einzig spannende Frage in diesem Wahlgang sein.

Tatsächlich spannend deshalb, weil die ÖVP im aktuellen Wahlkampf eine für die SPÖ attraktive Schwäche an den Tag legt. Beobachter meinen, Gernot Blümel bekomme nicht jene türkise Unterstützung, die er bekommen könnte. Sogar von einem Zerwürfnis mit Sebastian Kurz ist die Rede.

ÖVP-Chef Blümel macht
sich im Wahlkampf rar

Jahrelang hat Blümel die ganze Arbeit gemacht und Kurz dafür die Lorbeeren geerntet. Im Frühjahr ist Blümel Vater geworden - und jetzt draufgekommen, dass es im Leben auch wichtigere Dinge geben kann als die Partei. Sein misslungenes Video, das mit den Worten "Wien ist - schön" beginnt und sofort ein gefundenes Fressen für Spötter in den Social Media, aber auch für die anderen Parteien war, könnte durchaus als Untermauerung dieser Gerüchte dienen. Ebenso die Tatsache, dass Blümel selbst bei der Präsentation seiner eigenen Wahlkampfplakate gar nicht anwesend war. Die Aussage von ÖVP-Sprecher Peter L. Eppinger - "Er ist doch eh da - auf den Plakaten" - hat ihm da wenig geholfen.

Die Kampfansagen gegen die SPÖ sind mittlerweile schwächer geworden, das "Wien-Bashing" weniger. Blümel konzentriert sich darauf, seine Partei als Mitte-rechts-orientiert zu präsentieren, um im Teich der FPÖ zu fischen. Bei den Bundestürkisen dürfte man sich damit abgefunden haben, dass Blümel in seiner Doppelrolle nicht der ideale Spitzenkandidat für Wien ist. Kurzfristig wurde die Wirkung eines Karl Nehammers in Wien ausprobiert. Das hat aber nicht funktioniert. Am allerwenigsten für Blümel.

Man wird sich bei den Türkisen also auch mit 15 Prozent zufriedengeben - das wäre noch immer ein ordentlicher Zugewinn gegenüber 2015. Und Rot-Grün in Wien gibt einfach ein besseres Feindbild ab als Rot-Türkis. Eine Regierungsbildung mit den Roten, wie das vor allem der Wirtschaftsbund gerne hätte, schaffen die Türkisen nicht, meinen Insider bereits im Vorfeld der Wien-Wahl. Da müsste die SPÖ schon viele Federn lassen - oder einfach mit den Grünen weitermachen. Auch wenn den meisten Roten ein ÖVP-Verkehrs- und Planungsstadtrat wesentlich lieber wäre als ein grüner.

Der einzige, wirklich unvorhersehbare Faktor scheint momentan die Entwicklung der Corona-Pandemie zu sein. Aber genau der könnte alles rasch verändern.