Dreißig Grad im Schatten. Die Hitze steht in der Stadt. In der vergangenen Tropennacht hat es auch in den frühen Morgenstunden nicht unter 20 Grad abgekühlt. Den nächtlichen Schweiß der Großstädter kann man auch am nächsten Tag noch in der U-Bahn riechen. Doch mitten im dichtestbebauten Gebiet der Hauptstadt wird der Boden plötzlich grün. Palmen in Töpfen, Liegestühle, Teenager in Badehosen, die sich von der improvisierten Bar ein Twinni holen. Und mitten unter ihnen, auf einem kleinen Podest: ein Swimmingpool, nicht breiter als ein paar nebeneinander gelegte Handtücher. "Da glaubst, du sitzt an der Riviera", sagt ein Mann mit Zigarette und sonnengegilbter Haut mit einer Mischung aus Sarkasmus und Belustigung zu seiner Bekannten, die auf einer nahen Bank die Gratiszeitung "Heute" liest.
Es ist Ende August und es sind die letzten Tage der temporären Pool-Party zwischen Skatepark und Basketballkäfig, die man "Gürtelfrische West" taufte. Drei Wochen lang stand sie an der Grenze des 15. und 7. Wiener Bezirks mitten auf dem Wiener Gürtel. Und so beschaulich, wie es hier zuging, konnten sich fremde Besucher kaum vorstellen, dass dieses Fleckchen Erde über einige Wochen Wiens Aufregerthema Nummer eins war. Ein Pool mit planschenden Kindern auf einer Kreuzung des dauerverstopften, 13 Kilometer langen Verkehrsnadelöhrs? Aufgebaut auf einer Fläche, wo die Autos sonst über sieben Fahrspuren brausen, eingezingelt von den Rußpartikeln der Diesel-SUVs auf der nahen Gürtelfahrbahn? Und das alles für mindestens 150.000 Euro? Mehr hatte es nicht gebraucht, mitten in Wiens Vorwahl-Sommerloch. Wüste Anwürfe von und nach allen Seiten. Rote gegen Blaue. Junge gegen Alte. Hackler gegen Hipster. Studenten genossen den Aperolspritzer im Liegestuhl, Radler freuten sich über enger getaktete Ampeln, Autofahrer ärgerten sich über die Umleitung. Und die "weltfremde Politik" im linken Wien.
Ärmster Bezirk der Stadt
"170.000 Euro für rot-grünen Wahlkampfschmäh!", ließ die Bezirks-FPÖ auf Plakate drucken. "Es ist da natürlich auch um ein Symbol gegangen", sagt Gerhard Zatlokal, Wiener Dialekt, hemdsärmelige Art. Andere Bezirke würden temporäre "coole Straßen" und verkehrsberuhigte Plätze oft in reinen Wohngebieten eröffnen, wo ohnehin nur wenige Autos durchfahren. "Hier im 15. haben wir das an einer Stelle gemacht, wo es einmal wirklich jeder gesehen hat."
Zatlokal ist Bezirksvorsteher des 15. Bezirks, der dicht verbauten Gegend zwischen Lugner City, Westbahngleisen und dem volksnahen Auer-Welsbach-Park. In seinem Büro hängen Kinderzeichnungen und ein gemaltes Porträt von Bruno Kreisky. Und SPÖ-Mann Zatlokal war der Ideengeber für den so polarisierenden Gürtelpool. Tatsächlich ist ihm mit dem Projekt bei aller, auch vernichtender, Kritik eines gelungen: Die Frage, wie viel öffentlicher Raum in einer Stadt den Autos zur Verfügung stehen soll und wie viele blechfreie Grün- und Freiflächen den Menschen, rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Und dürfte bei so manchem Wiener auch zum Überdenken seiner bisherigen Antwort darauf geführt haben.
In Rudolfsheim-Fünfhaus, wie "der 15." bei vollem Namen heißt, hält die regierende SPÖ seit der vergangenen Wahl bei knapp 40 Prozent, gefolgt von der FPÖ mit 25 und den Grünen mit 21 Prozent. ÖVP und Neos kamen hier gemeinsam auf gerade einmal elf Prozent. Der 15. ist nicht nur der jüngste und ärmste Bezirk der Stadt - das Durchschnittseinkommen beträgt hier nur gut die Hälfte von jenem in Wiens reichstem Bezirk Hietzing -, er ist auch der ärmste im ganzen Land. Die formalen Bildungsabschlüsse fallen ab, Männer haben im einst klassischen Arbeiterquartier die niedrigste Lebenserwartung der Stadt.
Verdrängung und Rückzugsgefechte
Doch die Statistik sieht man dem Grätzl nicht an allen Ecken an. Längst hat hier die Gentrifizierung Einzug gehalten. Und mit ihr die Dachgeschoß-Ausbauten und die schicker werdenden Lokale. Denn der Bezirk ist attraktiv für aufstrebende Berufstätige mit steigenden Einkommen. Wegen seiner zentralen Lage und der Gehweite zu Wiens Bobo-Zentrum Neubau - bei noch vergleichsweise niedrigen Preisen für Miete und Eigentum.
Die hochkochenden Emotionen um den Gürtelpool waren deshalb auch weit mehr als eine Auseinandersetzung, um bessere oder schlechtere Breitengrade für Chlorwasser oder ein paar Fahrspuren. Sie standen symbolisch für den zentralen Konflikt im Bezirk. Der in der ganzen Stadt spürbar ist und doch nirgends so zur Kenntlichkeit wird wie hier. Und wie immer bei emotionalen Konflikten ist der Anlass nur der Auslöser - die Hintergründe aber liegen viel tiefer. Wer sie verstehen will, kann das am besten in Rudolfsheim-Fünfhaus selbst.

Am Westbahnhof, hier auch städtebaulich das Tor zu einer anderen Welt, trennt der Gürtel das Bobo-Quartier Neubau vom bodenständigen "15. Hieb" - und an derselben Linie die Innere von der Äußeren "Mahü". Innere Mariahilfer Straße, das ist Thalia, Gerngross und H&M. Äußere, das ist Sportwetten, Kebabstand und Handy-Shop. Ringsum Cafés und Tschocherln, die die urbanen Zuzügler mit den Uni-Abschlüssen nur vom Vorbeibrausen mit dem Rennrad kennen. Und dazwischen: Bio-Lebensmittel und eine wachsende Zahl von Lokalen, wie sie den international orientierten Höhergebildeten überall auf der Welt gefallen. So bunt durchgemischt wie das Stadtbild ist auch das Publikum: Hier leben Menschen aus äußerst konträren Milieus nahe aneinander auf engem Raum, denn flächenmäßig ist der 15. Bezirk der kleinste der nicht mehr ganz innerstädtischen.
"Da schaut's aus wie im Berliner Künstlerviertel"
Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist der höchste der Stadt, aber die gesellschaftlichen Gruppen leben hier weniger getrennt als im großflächigen Favoriten oder Ottakring. Für urbane Segregation, die diesen Namen verdiente, ist im dicht gedrängten 15. schließlich gar kein Platz. Und doch erzählt Rudolfsheim eine Geschichte von Verdrängung. Von Verteilungs- und Abwehrkämpfen. Von Aufwertungs-Offensiven und Rückzugsgefechten.
"Inzwischen schauts da aus wie im Berliner Künstlerviertel", sagt Walter, Schirmkappe, Baggy-Pants, 35 Jahre alt, während er sich auf der Bank einen Joint dreht. Er wohnt seit 16 Jahren im 15., kam einst aus Kärnten nach Wien. Die Mieten sind stark gestiegen, seit er hier einzog. Und obwohl selbst "zuagrast", fremdelt er mit den jüngeren Entwicklungen im Grätzel. "Die Taschen, die die da drüben verkaufen, könnt ich mir auch nicht leisten, wenn sie mir gefallen würden", sagt er.
"Anywheres" vs. "Somewheres"
Denn rund um die Reindorfgasse, wo Walter seine Rauchschwaden in die Abendluft bläst, hat sich in den vergangenen Jahren ein - selbst für Wiener Verhältnisse sehr kleines - Bobo-Quartier gebildet. Fahrradgeschäft, Second Hand Shop, eine Boutique mit Gewand aus nachhaltiger Baumwolle und veganen Sneakern. Ein paar Schritte weiter serviert die legendäre Pizza Mafiosi noch immer eine der billigsten - und knoblauchdurchtränktesten - Pizzen Wiens. Die Interessenskonflikte, die sich in diesen Straßenzügen abzeichnen, sind jene, die für so viele Großstädte Mitteleuropas prägend sind. Sie verlaufen zwischen Fahrrad-affinen Zugezogenen und Auto-affinen Alteingesessenen. Zwischen jungen Akademikern und älteren Arbeitern. Zwischen "Globalisten" und "Regionalisten", wie die Politikwissenschaft das nennt. Zwischen "Anywheres" und "Somewheres".
Und die Aufregung um den Gürtelpool verdeutlichte deren unterschiedliche Lebenswelten und Weltanschauungen wie unter einem Brennglas. Auch am nahen Schwendermarkt hat sich direkt neben dem Marktachterl, einem klassischen Tschocherl mit brauen Holzbänken hinter Gösser-Laternen, mit dem "Landkind" ein schicker Biogreißler für die junge urbane Zielgruppe einquartiert.
"Da verändert sich fast jeden Tag etwas", sagt die Frau Mitte 50 mit den blondierten Haaren, die vor dem Marktachterl in einer kleinen Männerrunde sitzt und gerade noch über verflossene Liebschaften sinniert hat. "So schnell kannst gar ned schauen."
Vom Automatencasino zum Dachterassentraum
Das Marktachterl aber gibt es schon seit 30 Jahren. "Da ist ein kleines Haus gestanden, zwei Stockwerke hoch", sagt der Wirt und deutet auf die andere Seite der schmalen Straße. Jetzt steht dort ein sechsstöckiger Neubau mit großen Balkonen. "Alles Studenten, die da wohnen", sagt der Pächter. Ein paar davon besuchen ihn manchmal auf ein Fluchtachterl. Und die fortschreitende Gentrifizierung ist im zentrumsnahen Teil des 15. allerorten sichtbar. Wo vor Jahren noch der Straßenstrich das Stadtbild prägte, sprießen heute trendige Hostels für junge Wien-Besucher. Wo das einstige Automatencasino verwaist, entsteht im Dachgeschoß der nächste verglaste Dachterrassentraum. Eine Bürgerinitiative scheiterte kürzlich dabei, zwei Biedermeierhäuser vor dem Abriss zu bewahren. Eine Investorengruppe hatte sie mittels bis zum Verfassungsgerichtshof ausjudizierter Gesetzeslücke ins Visier genommen, um dort lukrative Neubauten zu errichten.
"Damit hat man das Gründerzeit-Ensemble in der Straße zerstört", sagt Bezirksvorsteher Zatlokal. "Und das, was jetzt geplant ist, passt dort nicht rein." Die Baugenehmigung der Magistratsabteilung für das Luxus-Wohnprojekt steht allerdings noch aus. Anders ist das mit den vielen neuen Dachgeschoßen, die nicht nur das Stadtbild im 15. verändern, sondern auch die Mieten treiben. Gleichzeitig aber auch zu steigender Wohnqualität beitragen, weil alte Häuser saniert werden und der Anteil der einst so verbreiteten Substandard-Wohnungen im Bezirk laufend kleiner wird.
"Den Alteingesessenen mit alten Mietverträgen geht es gut", sagt Zatlokal, seit zwölf Jahren Bezirksvorsteher und auch in Rudolfsheim-Fünfhaus aufgewachsen. Aber natürlich seien die Wohnungen insgesamt teurer geworden. Im 15. habe man immerhin den Vorteil, dass viele Häuser mit Förderung der Stadt Wien saniert wurden. In diesem Fall haben die Hauseigentümer eine Mietobergrenze einzuhalten. Je nach Sanierungsart dürfen die Mieten für zehn oder 15 Jahre diesen Deckel nicht überschreiten. Davongaloppierende Mietpreise und Verdrängungseffekte seien daher ein vergleichsweise geringeres Problem als etwa im benachbarten Ottakring.
Cooles Sträßchen
Einen weiteren, wohl recht nachhaltigen Entwicklungsschub wird der Bezirk im kommenden Jahr bekommen. Da eröffnet der schwedische Möbelriese Ikea direkt neben dem Westbahnhof sein erstes innerstädtisches Einrichtungshaus. Es soll ohne Autos auskommen, Parkgarage gibt es keine. "Die Leute, die glauben, sie müssen trotzdem mit dem Auto kommen", sagt der Bezirkschef, "sollen das genau einmal probieren und dann nicht wieder." Die Idee des urbanen Möbelhauses: Kleine Gegenstände sollen Kunden mit U-Bahn, Fahrrad oder zu Fuß direkt mitnehmen. Alles, was nicht in den Rucksack passt, wird binnen 24 Stunden nach Hause geliefert. Dass der Ikea tatsächlich so autofrei bleibt wie beworben, Besucher also nicht auf der Suche nach Parkplätzen durch die umliegenden Straßen kreisen werden, bezweifeln nicht nur die Grünen im Bezirk, die ein neues Verkehrs-Gesamtkonzept für das Grätzl fordern.
Und sonst? Weitere Verkehrsberuhigungen sind bereits umgesetzt oder sollen es laut Zatlokal noch werden. Die Pelzgasse in Gürtelnähe wurde unter medialer Berichterstattung kürzlich als erste "coole Straße" Wiens eröffnet. "Cooles Sträßchen" wäre vielleicht passender - der mit Schwammbäumen begrünte und verkehrsberuhigte Bereich ist keine 100 Meter lang. Doch der Symbolwert ist Zatlokal wichtig. Wenn man ihm zuhört, wie er über die vom Klimawandel erhitzte Stadt und das Aufbrechen von Versiegelungen spricht, könnte man ihn glatt für einen Grünen halten. Wie sehr rotes Stammpublikum seinen eingeschlagenen Weg im Bezirk goutiert - oder eben nicht -, darüber wird auch das Wahlergebnis am 11. Oktober Auskunft geben.
Denn polarisierende Maßnahmen wie der Gürtelpool - Zatlokals Pläne, ihn im Auer-Welsbach-Park weiterzuverwerten, scheiterten bekanntlich -, werden das bezirksinterne Wahlvolk in zumindest zwei Lager spalten. Oder wie es der Bezirkschef ausdrückt: "Im 15. lebt man gut nebeneinander. Noch nicht miteinander, aber nebeneinander."