Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) erteilt den Plänen für eine weitgehende Verbannung des motorisierten Individualverkehrs aus der Innenstadt - der sogenannten autofreien City - eine Absage. In einem vom Magistrat erstellten Rechtsgutachten seien zahlreiche Bedenken geäußert worden, teilte der Stadtchef am Mittwoch im Gespräch mit Journalisten mit.
Demnach sei die Verordnung sogar verfassungswidrig, weil sie sich auf die Straßenverkehrsordnung stütze, zugleich aber auf den Klimaschutz abziele. Ludwig versicherte, dass er sehr wohl für verkehrsberuhigende Maßnahmen eintrete - die allerdings nicht nur den ersten Bezirk betreffen sollen. Dazu sollten nun weitere Gespräche mit allen Beteiligten geführt werden, schlug er vor.
Hebein Mitte August noch zuversichtlich
Mitte August hatte Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) noch erklärt, dass ein "sorgsam durchgeführtes" Behördenverfahren erfolgt sei. Zahlreiche Stellungnahmen seien bearbeitet und Gespräche mit allen Beteiligten geführt worden: "Nun haben wir den neuen Entwurf zur Verordnung zum Fahrverbot in der Inneren Stadt fertiggestellt. Jetzt steht der Umsetzung des Projektes sachlich nichts mehr im Weg."
Offenbar startet man jetzt wieder bei Null.
Herbe Kritik an ÖVP und Grünen
Der Wiener Bürgermeister sparte am Mittwoch nicht mit Kritik an der vom Bezirksvorsteher der Innenstadt, Markus Figl (ÖVP), und Verkehrsstadträtin Birgit Hebei (Grüne) gewählten Vorgangsweise. Diese hatten die Pläne im Juni präsentiert. Der bisherige Kommunikationsweg sei jedoch ein "unüblicher" gewesen, befand der Bürgermeister heute. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind seiner Ansicht nach nicht ausreichend geprüft worden. Auch die Bezeichnung "autofrei" zog er in Zweifel.
"Ich glaube, es war allen bewusst, dass die sogenannte autofreie Innenstadt mehr eine PR-Überschrift war als eine wirkliche Tatsache", sagte Ludwig. Schwerwiegender sind nach Ansicht des Stadtchefs jedoch die rechtlichen Bedenken. So ist es laut den Juristen der Magistratsdirektion nicht möglich, die Straßenverkehrsordnung für Klimaschutzziele heranzuziehen. Die StVO diene ausschließlich der Aufrechterhaltung und Sicherheit bzw. Flüssigkeit des Verkehrs.
Sachlichkeitsprinzip verletzt worden
Auch das sogenannte Sachlichkeitsprinzip sei verletzt worden, hieß es. Um eine Regelung auf ein Gebiet zu beschränken, müsse nämlich eine Gefahrensituation vorliegen, die nur in dem Bereich bestehe. Die Situation in dem Bezirk unterscheidet sich laut Gutachten aber nicht von jener in den angrenzenden Stadtteilen. Auch ein "Kundmachungsproblem" wird geortet. Ein solches ergebe sich aus der großen Anzahl an Ausnahmen für das Einfahrtsverbot.
Ein datenschutzrechtlicher Vorbehalt wird zudem angesichts diverser Nachweise für eine Einfahrtserlaubnis, etwa von Auftragsbestätigungen, geortet. Die Verpflichtung zu deren Vorlage sei "weder angemessen noch erforderlich", wird befunden. Überhaupt stellen die "unüberschaubaren" Ausnahmen gemäß dem Gutachten eine Ungleichbehandlung dar. Ein Beispiel dafür: Arbeitnehmer dürfen mit dem eigenen Pkw zufahren, wenn es zeitlich nicht möglich ist, die Öffis zu benutzen. Mit einem geborgten Auto etwa der Eltern ist das nicht gestattet.
Vollziehbarkeit wird angezweifelt
Auch sei es mit der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar, dass etwa bei der Abfahrt aus einer öffentlichen Garage der kürzeste Weg genommen werden müsse. Denn wenn sich jemand verfahre und damit nicht den schnellsten Weg wähle, wäre dies laut Entwurf strafbar. Auch würden Ausnahmen für Personen fehlen, die etwa über einen Stellplatz verfügen, wird beklagt.
Schlussendlich wird auch die Vollziehbarkeit angezweifelt. Die Richtigkeit und Echtheit von Dokumenten, die zum Einfahren berechtigen, kann laut dem Rechtsgutachten nicht in kurzer Zeit geprüft werden.
Von Anfang an Bedenken gegen Pläne
Ludwig betonte, dass er von Anfang an Bedenken gegen die Pläne hatte. Vor allem sei Verkehrsberuhigung kein Thema, das nur den ersten Bezirk betreffe. Nötig sei nun eine sachliche Lösung und ein ganzheitliches Konzept, das über die Innenstadt hinausreiche. Er sei für sinnvolle Maßnahmen, die jedoch im Einvernehmen mit allen Beteiligten und Betroffenen umgesetzt werden müssten.
Der Bürgermeister gab etwa zu bedenken, dass nicht nur rund 16.000 Menschen in der Stadt wohnen, sondern zum Beispiel viele Kinder auch von außerhalb in die Betreuungseinrichtungen gebracht würden. Auch gebe es viele Arztpraxen, zu denen körperlich beeinträchtigte Personen oft mit dem Auto kämen. Und auch die Arbeitsstätten führte Ludwig ins Treffen. Der bei weitem größte Teil der Erwerbstätigen pendelt demnach aus anderen Bezirken oder auch Bundesländern zur Arbeit in die Innenstadt.
Kritik an Hebein auch von der ÖVP
Kritik an den Plänen der grünen Vizebürgermeister kam überraschenderweise auch von Hebeins einstigem Verbündeten Markus Figl (ÖVP). Der Bezirksvorsteher der Inneren Stadt hat auf die Absage von Bürgermeisters Michael Ludwig reagiert: "Mit dem Verordnungsentwurf von Verkehrsstadträtin Birgit Hebein war auch der Bezirk nicht zufrieden."
Figl zählte auf, was ihn an Hebeins Verordnung im Detail gestört hat: "Eine Kontingentlösung für Bewohnerinnen und Bewohner wurde in der Stellungnahme des Bezirks ausdrücklich gefordert, aber in der Verordnung nicht berücksichtigt. Auch die Erweiterung des Bewohnerparkens in der Glaciszone ist noch eine offene Frage."
Die Plänen zur Verkehrsberuhigung der Inneren Stadt - sie sollte weitestgehend autofrei werden - waren von Figl und Hebein im Juni gemeinsam präsentiert worden. Die geplante Verordnung zum City-Verkehrskonzept stellte Hebein dann im August allerdings alleine vor.
Hebein kritisiert "mutlosen Beschluss"
Am frühen Nachmittag meldete sich schließlich auch die Wiener Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Hebein zu Wort. Sie kritisiert die Aussagen von Ludwig (SPÖ), der den Plänen für ein weitgehendes Einfahrtsverbot in die City eine Absage erteilt hat. "Ein mutloser Beschluss", konstatierte sie. Ludwig habe die Zukunft "ausgebremst". Er verstecke sich offenbar wahlkampfbedingt hinter einem Rechtsgutachten.
Hebein verwies darauf, dass sie selbst ein externes Gutachten beauftragt habe, das der Verordnung Verfassungs- und Rechtskonformität bescheinigt habe. Die Regelung sei außerdem gemeinsam mit Juristen der entsprechenden Abteilungen im Rathaus erarbeitet worden, betonte sie. Die Ressortchefin will jedenfalls weiterhin das Ziel, den Verkehr in Wien einzudämmen, verfolgen, wie sie beteuerte: "Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir raschest die Abgase reduzieren."
Wirtschaftskammer erfreut, FPÖ zwiespältig
Zufrieden mit der Entscheidung Ludwigs zeigt sich der Wiener Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck. "Es ist erfreulich, dass nun juristische Klarheit darüber herrscht, dass das zuletzt vorgeschlagene Verkehrskonzept für die Wiener Innenstadt mit 16 Einfahrt-Ausnahmen nicht verfassungskonform ist", so Ruck.
Der Kammerpräsident erachtet nun einen Neustart bei der City-Verkehrsplanung als erforderlich. Dabei erinnerte er, dass die Kammer stets betont habe, dass es für das Zentrum ein Gesamtkonzept brauche, das von allen Beteiligten - von Anrainern über Nachbarbezirke bis hin zur Wirtschaft - getragen werde und außerdem praktikabel und zukunftsfähig sei.
Mit zwiespältigen Gefühlen hat der Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp die Entscheidung Ludwigs vernommen. "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", ließ er in einer Aussendung wissen. Für den Freiheitlichen handelte es sich um eine "halbweiche Absage". "Vor der Wahl wird viel gesagt und viel versprochen", hieß es. (apa)