Es ist einfach alles ganz anders. Warum sollte das bei der Wien-Wahl, ja - anders sein? Jedenfalls anders als zu Jahresbeginn erwartet. Nämlich auch politisch anders - da wollten noch fast alle Parteien den roten Bürgermeister aus dem Rathaus jagen. Davon kann mittlerweile keine Rede mehr sein. Lediglich (und ausgerechnet) Heinz Christian Strache spricht noch immer von einem "politischen Erdbeben", das er für den Wahlsonntag zu seinen Gunsten prophezeit. Alle anderen Wahlparteien gehen fix davon aus, dass Michael Ludwig als klare Nummer Eins hervorgehen wird. Sie haben das während des gesamten Wahlkampfes so stark betont, dass es sogar schon die SPÖ nervös gemacht hat. Denn wenn die SPÖ-Stammwähler glauben, es sei ohnehin schon alles gelaufen, besteht die Gefahr, dass sie gar nicht mehr wählen gehen wollen.

Stärke der SPÖ ist Schwäche der anderen

Bei der Wählermobilisierung hat sich die früher so bürgernahe SPÖ bereits bei der letzten Wien-Wahl schon so schwer getan - trotz Hausbesuchen, trotz Veranstaltungen in den Gemeindebauten. Aber das gibt es alles nicht mehr in Zeiten von Corona. Da bleiben nur noch die digitalen Kanäle; ein Bereich, in dem die gesamte SPÖ in den vergangenen Jahren enormen Aufholbedarf hatte. Ein Vorteil ist es hier, dass es Ludwig nach jahrelangen internen Konflikten tatsächlich geschafft hat, die Partei wieder zu einen. Jetzt scheinen alle an einem Strang zu ziehen - auch in den sozialen Netzwerken, wo mittlerweile alle Funktionäre in Zeiten der viralen Corona-Verbreitung um die virale Verbreitung ihrer Wahlwerbung bemüht sind.

Die Stärke der Wiener SPÖ ist aber heute vor allem die Schwäche der anderen. Die Roten mussten in diesem Wahlkampf eigentlich nur die Frage stellen: Wen können Sie sich am besten als nächsten Wiener Bürgermeister vorstellen - den studentenhaften Christoph Wiederkehr von den Neos? Den türkisen, oft glatt und unterkühlt wirkenden Gernot Blümel? Die grüne, Parkplatz vernichtende Klimaaktivistin Birgit Hebein? Den blauen, profillosen, ausländerfeindlichen Dominik Nepp? Oder den abgestürzten in Ibiza- und Spesenaffären verwickelte Heinz Christian Strache, der um den Einzug in den Wiener Gemeinderat fürchten muss? Für die genannten Eigenschaften der Spitzenkandidaten mussten die Roten im Übrigen gar nicht nach ihrer Kreativität suchen - diese Zuweisungen machen an den Wiener Stammtischen die Runde.

Bundesregierung einziger Feind

Als einziger bedrohlicher "Feind" wird und wurde da vielmehr die Bundesregierung ausgemacht - die Bundesregierung, die Wien ständig als Negativbeispiel für den Umgang mit der Coronakrise darstellt. Eine Reibebaumsituation, die allerdings beiden Seiten genutzt hat, um die eigenen Positionen zu schärfen. Übrigens auch ein Grund, warum eine rot-schwarze Koalition in Wien aus derzeitiger Sicht relativ unwahrscheinlich erscheinen lässt - auch wenn das von weiten Teilen sowohl der SPÖ als auch der ÖVP wünschenswert wäre: Vor allem Sebastian Kurz würde sein Reibebaum abhanden kommen, wenn plötzlich die eigenen Leute in der Wiener Stadtregierung sitzen. Die Grünen sind da schon Herausforderung genug.

Langweilige Taktik

Glaubt man den Umfragen, wird die Wiener SPÖ am Sonntag gestärkt aus dieser Wien-Wahl 2020 hervorgehen. Das ist etwas, das Vorgänger Michael Häupl bei seiner ersten Gemeinderatswahl nach der Ära Zilk nicht geschafft hatte. Vielleicht, weil sich in den vergangenen Monaten das Unsicherheitsgefühl genauso viral ausgebreitet hat, wie das Coronavirus selbst. Und Ludwig es von allen Kandidaten am besten geschafft hat, ein Gefühl von Beständigkeit, Stabilität und Sicherheit zu erzeugen. Unter anderen Umständen wäre diese Taktik langweilig. Aber es ist ja, wie gesagt, gerade einfach alles ganz anders.