Die Wien-Wahl am Sonntag wird laut den Umfragen der vergangenen Wochen einen Sieg der SPÖ bringen. Offen ist die Frage, welche Koalitionsmöglichkeiten sich daraus ergeben. Für die SPÖ könnte neben den Varianten mit Türkis oder Grün auch eine Koalition mit den Neos möglich sein.

Für die SPÖ weisen die jüngsten Umfragen der Institute OGM und Unique Research jeweils Werte von 42 Prozent aus - nach einem stetigen Aufwärtstrend seit dem Frühjahr. Platz zwei wird laut den Erhebungen an die ÖVP gehen, die nach guten Werten im Frühling (22 bis 24 Prozent) in den Umfragen zuletzt auf rund 19 Prozent etwas sank. Dahinter werden die Grünen erwartet, wobei die letzten Umfragen von OGM und Unique Research für die Öko-Partei etwas unterschiedliche Werte aufweisen, nämlich 17 bzw. 15 Prozent. Die FPÖ lag in den Erhebungen seit dem Frühjahr stets bei rund zehn Prozent, die Neos pendelten zwischen sechs und sieben Prozent. Das Team Strache wird mit Werten zwischen 4 und 5 Prozent um den Einzug in den Landtag bangen müssen. Michael Ludwig wird sich seinen Partner also aussuchen können.

Variante Rot-Grün

Für eine Fortsetzung von Rot-Grün spricht eine eingespielte Zusammenarbeit - abgesehen von den wahlkampfbedingten Streitereien der vergangenen Monate. Ein respektvolles Nebeneinander, um gemeinsam definierte Ziele zu verfolgen, war zumindest bis vor kurzem kein so großes Problem. Und was Ideologien und politische Ziele betrifft, so stehen die Grünen der SPÖ sicherlich noch am nächsten.

Variante Rot-Türkis

Auch eine Koalition mit der ÖVP wäre gut möglich; die vielen gemeinsamen Auftritte von Ludwig und Walter Ruck - seines Zeichens Wiener Wirtschaftskammerpräsident und Obmann des Wiener Wirtschaftsbundes - haben das in den vergangenen Monaten deutlich gemacht. Auch wäre vielen Genossen das Verkehrsressort in Händen der ÖVP wesentlich lieber als in grünen. Außerdem wird der ÖVP Platz zwei prophezeit. Das Problem ist nur, dass die Wiener ÖVP nach wie vor aus zwei Lagern besteht: Die "alten" bürgerlichen, sozialpartnerschaftlich orientierten Schwarzen, denen bei Sebastian Kurz die christlich-soziale Komponente fehlt - und die Türkisen, die weiter nach rechts gerückt sind und gerne Marketing und Etikette vor Inhalte stellen. Abgesehen davon ist das Verhältnis von Michael Ludwig zu Gernot Blümel bei Weitem nicht so von gegenseitiger Wertschätzung geprägt, wie jenes zu Walter Ruck.

Und für die Türkisen gibt Rot-Grün in Wien einfach ein besseres Feindbild ab als Rot-Türkis. Für Sebastian Kurz wäre es strategisch unvorteilhaft, wenn er plötzlich die eigenen Leute in der Wiener Stadtregierung sitzen hat und damit einen wichtigen Reibebaum verliert. Die Grünen sind diesbezüglich schon Herausforderung genug.

Rot-Pink

Neben der Fortführung der rot-grünen Koalition und einer möglichen Zusammenarbeit mit den Türkisen könnte sich im Übrigen nun rechnerisch wohl auch eine Koalition mit den Neos ausgehen. Zwar würden SPÖ und Neos zusammen keine absolute Stimmenmehrheit haben. Da aber das Wiener Wahlrecht große Parteien nach wie vor bei der Mandatsverteilung bevorzugt, scheint eine entsprechende Mandatsmehrheit wahrscheinlich. Vor allem dann, wenn das Team Strache die 5-Prozent-Hürde nicht schaffen sollte.

Ein Szenario, das vor allem schlecht für die Verhandlungsposition der Grünen wäre. Schließlich kann die SPÖ mit einem kleinen Partner ihre eigenen Themen in einer Koalition viel besser durchsetzen. Abgesehen davon hätte Michael Ludwig mit einer rot-pinken Variante die Möglichkeit, komplett neue Wege zu gehen und damit auch neue politische Akzente zu setzen. Und das Wichtigste: Die Neos würden (fast) alles tun, um in Wien mitregieren zu dürfen.

Die Absolute

Und dann gibt es noch die Variante der absoluten Mehrheit der SPÖ. Dafür könnten 43 bis 44 Prozent schon reichen. Allerdings findet dieser Urnengang erstmals mit dem neuen Wahlrecht statt. Und das könnte die SPÖ bei gleicher Prozentzahl zwei Mandate kosten. Eine Absolute würde die SPÖ freilich freuen - zehn Jahre nach dem Verlust derselben. Denn dann könnte sie wieder schalten und walten, wie sie will. Aber für eine Absolute kommt es nicht nur auf den Erfolg der SPÖ an, sondern auch auf das Abschneiden der anderen kleinen Parteien - auch hier spielt das Überschreiten der 5-Prozent-Hürde des Team HC Strache eine Rolle. Denn dieses ist laut Umfragen keinesfalls gesichert. Heinz-Christian Strache sei zum Ende des Wahlkampfes schwächer geworden. Es bestünde die Gefahr, dass viele seiner Wähler zu Hause bleiben, heißt es.

Die Lage der anderen

Die FPÖ wiederum muss laut Umfragen mit einem Minus von rund 20 Prozentpunkten rechnen. Hofer verwies hier auf das "Paradoxon", dass das Wahlergebnis für die FPÖ gar nicht wirklich die erste Priorität habe, sondern vielmehr das Ziel, Strache aus dem Gemeinderat draußen zu halten - was auch das Auftauchen von immer neuen Vorwürfen erkläre. Denn sollte es Strache doch schaffen und sich in Wien einen "Sockel" aufbauen können, dann werde er weiterhin versuchen, seiner Ex-Partei wehzutun, sagt Politikberater Thomas Hofer.

Die ÖVP geriet als "Corona-Manager" nach anfänglich guten Werten den Sommer über etwas ins Hintertreffen. Dass ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel über den Somme in seinen Persönlichkeitswerten etwas verloren hatte, sei auch Fehlern zuzurechnen wie seinem Auftritt im U-Ausschuss mit zahlreichen Erinnerungslücken und dem Sager, er habe über keinen Laptop verfügt. "Das hat ihm als Person nicht gut getan", meint Meinungsforscher Peter Hajek (Public Opinion Strategies/Unique Research).

Das Potenzial der Grünen sieht Hofer bei der Wien-Wahl ein wenig beschränkt. Das liege einerseits an der etwas mangelnden Strahlkraft von Spitzenkandidatin Birgit Hebein, andererseits an der Themenlage im Bund - Stichwort Flüchtlingslager Moria. Das Mittragen der harten ÖVP-Linie bei diesem Thema sei gerade in Wien für manche grüne Zielgruppe schwierig - auch wenn Hebein dagegen aufgetreten ist. Als Erfolg könnten die Grünen jedes Ergebnis werten, das gegen 15 Prozent geht. Sollte die Stadtpartei aber über ihr niedriges Ergebnis von 2015 (11,84 Prozent) nur wenig hinauskommen, dann könnten Diskussionen folgen, auch auf Bundesebene, so die Experten.

Auch bei den Wiener Neos ortet Thomas Hofer bei Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr - der zwar im Wahlkampf "keine schlechte Figur" gemacht habe - das Problem der zu geringen Strahlkraft und vor allem des mangelnden Bekanntheitsgrades in der Stadt. Helfen könnte den Neos, dass die ÖVP beim Thema Moria mit ihrer harten Haltung "etwas überzogen" habe, meint der Politikberater. Dies könnte vor allem im Westen Wiens einige ÖVP-Wähler zu der liberalen Konkurrenz treiben. (rös/apa)