Es ist unschwer zu erkennen: Der Wahlkampf wird intensiver. Während Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz lieber durch Österreich tourt als im Parlament zu sein, versuchen ebendort alle Fraktionen, das freie Spiel der Kräfte unter der Regierung Bierlein für ihre Zwecke zu nutzen. Die FPÖ tut das je nach Gelegenheit mit der SPÖ (Pflegegeld, Wasserschutz) oder mit der ÖVP (Mindestpension, Plastiksackerl-Verbot), gleichzeitig rückt der designierte FPÖ-Klubchef aus, um sich mit dem ehemaligen Koalitionspartner anzulegen.

In ungewohntem, fast schon sachlichem Tonfall forderte Herbert Kickl die Journalisten am Freitagvormittag auf, näher zu aus seiner Sicht neuen Details seines aktuellen Lieblingsthemas, dem "schwarzen Netzwerk" im Innenministerium (BMI) zu recherchieren. Konkret bezieht Kickl sich auf die bis 2013 zurückreichende Affäre rund um den im BMI angesiedelten und im März 2017 aufgelösten Wiener Stadterweiterungsfonds (WSEF). In den kommenden Tagen, so Kickl, würden einige "Spitzenbeamte" im BMI ihre Anklagen in der Causa zugestellt bekommen. Er nenne "aus Datenschutzgründen keine Namen", sagte Kickl.

Untreue und Amtsmissbrauch

Laut Quellen aus dem ÖVP- und FPÖ-Umfeld, die nicht namentlich genannt werden wollen, dürfte es sich um vier aktive bzw. ehemalige Spitzenbeamte im BMI handeln. Laut den Insidern, die der "Wiener Zeitung" auch die mutmaßlichen Namen nannten, sind darunter mindestens zwei aktuell amtierende Sektionschefs. Interessant dabei ist, dass einer der infrage kommenden Sektionschefs während Kickls Zeit als Innenminister in diese Stellung aufgestiegen war – während gegen ihn die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt hatte. Einer der nun laut Kickl bald Angeklagten, das sagte der designierte FPÖ-Klubchef selbst, käme direkt aus dem Stadterweiterungsfonds. Es gehe bei allen Personen um Untreue und Amtsmissbrauch, und zwar in der Folge von fragwürdigen Immobiliendeals, die die Betroffenen auch zu ihrem eigenen Vorteil oder zum Vorteil von karitativen oder kirchlichen Organisationen genutzt haben sollen, in denen die Betroffenen selbst mitwirken würden. Die Schadenshöhe soll etwas über eine Million Euro betragen. "Es gilt die Unschuldsvermutung", betonte Kickl.

Begonnen haben sollen die Deals laut Kickl schon 2013, unter der damaligen ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Auch unter Wolfgang Sobotka seien die Deals noch weitergelaufen, Kickl verweist auf den Rechnungshof, der bereits 2014 die fragwürdigen Immobilien-Deals unter die Lupe genommen hatte. Beim Verkauf einer Liegenschaft in Wien sei "mit rund 41.000 Euro" die Summe der bezahlten "Beratungsleistungen" um das 2,7–fache höher gewesen als der Verkaufserlös selbst.

Im Juli 2015 habe es seitens der Staatsanwaltschaft einen Vorhabensbericht gegeben, die Oberstaatsanwaltschaft Wien habe die Klage auch einbringen wollen – doch die "Leitung der Oberstaatsanwaltschaft Wien, die persönliche Verbindungen ins BMI hat", wie Kickl behauptete, habe die Person, die die Anklage einbringen wollte, "beseitigt". Daraufhin sei der Akt der Oberstaatsanwaltschaft erneut zugewiesen worden, schließlich sei alles im Justizministerium gelandet. Es hätte ergänzende Einvernahmen gegeben, erst im Jänner 2019 sei ein erneuter Vorhabensbericht vorgelegen – aus diesem seien Teileinstellungen von Ermittlungsverfahren hervorgegangen. Das, so behauptet der Ex-FPÖ-Innenminister, habe gewisse Vorteile gebracht: Die Schadenssumme habe sich "erheblich", nämlich "um mehrere Millionen Euro" auf eben knapp eine Million reduziert. Zudem, sagt Kickl, habe es eine Vorbedingung gegeben: die "Motivlage" der Beschuldigten habe "aus der Anklage verschwinden müssen". Übrig bleibe so nur eine "Rumpfanklage".

Alle Eingriffe als "Weisungen"

Ein "Paradefall"für das "schwarze Netzwerk" sei das, sagt Kickl, er fragt sich, was der Justizminister wusste und ob das schwarze Justiz- und das ebenso schwarze Innenressort "zusammengespielt" hätten. Man habe sich ein "System der Selbstkontrolle" organisiert. Wie dieses System funktioniere, das von den umstrittenen Vorgängen in der Causa Eurofighter – Stichwort WKStA-Anzeigen gegen Ex-Justizgeneralsekretär Christian Pilnacek – über den Fall Meinl bis eben zum Fall WSEF reichen würde, das soll laut Kickl eine unabhängige Taskforce klären.

Dass Justizminister Clemens Jabloner am Freitag ankündigte, die Vorgehensweise bei Weisungen im Justizsystem neu regeln zu wollen, ist Kickl dabei zu wenig. Jabloner werde veranlassen, dass künftig alle Akte von vorgesetzten Organen, also beispielsweise auch der Oberstaatsanwaltschaften, die "steuernd in staatsanwaltschaftliche Tätigkeiten eingreifen", ausdrücklich als "Weisungen" erfolgen müssen.

Pressekonferenz war Kickl-Wunsch

Erfolgt dies nicht, müssen sich Staatsanwälte auch nicht an die Anweisungen halten. Zudem reagierte Jabloner auf die der WKStA-Anzeige gegen Pilnacek zugrunde liegenden Besprechungs-Protokolle ("daschlogts es"). In Dienstbesprechungen wie auch beim Abfassen von Protokollen sei "mit Achtung und Respekt unter Vermeidung einer konfliktbelasteten Kommunikation vorzugehen". Es sei eine Ausdrucksweise zu wählen, "die auch unter den Augen einer breiten Öffentlichkeit bestehen könne". Der WKStA sagte Jabloner personelle Unterstützung in der Causa Eurofighter zu.

Der Wahlkampf zwischen Blau und Türkis wurde am Freitag noch um ein weiteres Detail reicher. Aus der Beantwortung einer Anfrage der Jetzt-Abgeordneten Alma Zadic an das Justizministerium geht hervor, dass das Büro von Ex-ÖVP-Justizminister Josef Moser bei der Razzia im Neonazimilieu im vergangenen April – mitten während der Causa Identitäre und Christchurch – nicht involviert gewesen sei. Die Pressekonferenz von Pilnacek und seinem Pendant im BMI, Peter Goldgruber, sei auf Wunsch des Kabinetts von Herbert Kickl abgehalten worden. Moser habe sich hingegen für eine Pressekonferenz auf Beamtenebene ausgesprochen.