Wien. Franz Vranitzky gewann am 23. November 1986 seine erste Wahl gegen Alois Mock, danach unterlagen ihm drei weitere ÖVP-Vizekanzler in Wahlkämpfen: Josef Riegler 1990, Erhard Busek 1994 und Wolfgang Schüssel 1995. Die Probleme der SPÖ rissen aber auch unter ihm nicht völlig ab, er konnte sich aber von den Megaskandalen der Achtziger Jahre - "Lucona" und "Noricum" - persönlich absentieren und berief zwei atmosphärisch darin verwickelte Mitstreiter von der politischen Bühne ab, Leopold Gratz und Karl Blecha.

Auch sonst war in Vranitzkys SPÖ Umbruch angesagt: neuer Name, neues Parteisymbol. Die einst "austromarxistische" SPÖ wurde unter ihm endgültig zur linken Volkspartei. Vranitzky schien der bestmögliche SP-Chef für die späten Achtziger und frühen Neunziger Jahre zu sein, so wie es Bruno Kreisky für die Siebziger Jahre war. Er beruhigte das vor allem von den Turbulenzen der Waldheim-Zeit geprägte Land.
Bekenntnis zu moralischer Mitverantwortung
Nachdem die US-Regierung den Bundespräsidenten durch ihre Watch-List auch außenpolitisch fast bewegungsunfähig gemacht hatte, gelang Vranitzky eine Symbiose aus Kanzler- und Präsidentschaft. Unter anderem bekannte er sich zu Österreichs moralischen Mitverantwortung für die Nazi-Verbrechen.
Die ÖVP hatte unter den Abnutzungserscheinungen der Großen Koalition ebenso zu leiden wie die SPÖ. Größter Herausforderer für beide war die FPÖ unter Jörg Haider. Er attackierte speziell Vranitzky, hielt ihm Privilegien von "Bonzen" per "Taferl" unter die Nase. Dazu unterschätzte die SPÖ lange die Brisanz des "Ausländerthemas", die restriktive Politik von Innenminister Franz Löschnak half da ebenso wenig wie die liberalere seines Nachfolgers Caspar Einem.
ÖVP-Kandidat Thomas Klestil schlug bei der Präsidentschaftswahl im Mai 1992 den SPÖ-Kandidaten Rudolf Streicher mit fast 57 Prozent. Daraus erwuchs eine Rivalität zum medial bis dahin dominierenden Kanzler. Beide feierten dann aber das Ergebnis der Volksabstimmung am 12. Juni 1994 als Riesenerfolg: Zwei Drittel stimmten für den Beitritt zur EU. Ich traute am Wahlabend meinen Augen nicht: ÖVP-Obmann Busek war so begeistert, dass er beim Besuch des "roten" Wahlkampfzeltes die "Internationale" mitsang - was ihm von Humorlosen beider Seiten Schelte eintrug. Das klare Ergebnis bescherte Haider als Zentralfigur der "Nein"-Bewegung einen Dämpfer; dennoch blieb er lange Jahre der stärkste Gegner Vranitzkys. Ein Höhepunkt dieser Polarisierung war die größte Demonstration der Zweiten Republik gewesen: Mehr als 250.000 Menschen demonstrierten mit einem "Lichtermeer" gegen das Anti-Ausländer-Volksbegehren der FPÖ; deren Ex-Generalsekretärin Heide Schmidt gründete darauf das "Liberale Forum", das eineinhalb Jahre später als fünfte Partei in den Nationalrat einzog.