Wer es bis dahin nicht für möglich gehalten hat, dass eine Sozialdemokratin von einem ihrer Genossen verlangt, seinen "Haider-Sager zu revidieren", wurde Anfang des Vorjahres eines Besseren belehrt. Der damalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer und jetzige steirische Nationalratskandidat, Max Lercher, verstörte damals seine Partei mit einer Aussendung. Unter dem Titel "Die FPÖ holt 150.000 Zuwanderer ins Land" warf er der damaligen Regierungspartei "Lohn- und Sozialdumping durch Massenzuwanderung" und "Arbeiterverrat" vor. Diese Diktion hätte die FPÖ kaum besser hinbekommen.

Lercher monierte, dass die FPÖ, die ansonsten "Unser Geld für unsre Leut’" proklamiert, eine Ausweitung der Mangelberufsliste in einer Koalition mit der ÖVP einfach so schlucke. Das war ein Wunsch der Wirtschaftskammer, die damit Jobmigranten aus Drittstaaten anlocken möchte, um den Fachkräftemangel einzudämmen. Das sei an "Chuzpe kaum mehr zu überbieten", polterte Lercher. Wenn es darum geht, mit Fachkräften aus Drittstaaten Joblücken zu füllen, durchkreuzt die SPÖ ihren gewohnten Migrationskurs. Aber auch die ÖVP.

Doch: Gibt es einen solchen Fachkräftemangel in Österreich überhaupt? Die Wirtschaft klagt, dass 162.000 qualifizierte Fachkräfte fehlen, bezieht sich dabei aber nur auf eine Umfrage, an der rund 4500 Firmen teilnahmen. Im September waren dagegen 330.691 Menschen ohne Job. Gleichzeitig jubiliert die Politik über neue Beschäftigungsrekorde. Wie passt das zusammen?

"Dass es einen Fachkräftemangel gibt, ist zweifellos", sagt der Chef des Arbeitsmarktservice (AMS), Johannes Kopf. Im August standen 300 Dreher 650 offenen Stellen gegenüber oder 1400 Elektroinstallateure 2700 Jobs. "Man darf sich aber nicht vorstellen, dass sich diese Zahlen auf null stellen lassen", sagt Kopf. Das hat viele Gründe. Das sei ein regionales Problem. Im Westen Österreichs würden Betriebe händeringend nach Köchen suchen, während manche in Wien erwerbslos seien. In der Hauptstadt gab es Ende August sechsmal so viele Lehrstellensuchende als Lehrstellen. Im Westen sei es umgekehrt: Da waren es zweimal mehr Lehrstellen als Lehrstellensuchende. Die Übersiedelung von Ost nach West sei aus familiären Gründen oder wegen Aufsichtspflichten bei minderjährigen Lehrlingen schwierig, so Kopf.

Rot und Türkis durchkreuzen ihren Migrationskurs

Oft passt laut dem AMS-Chef auch schlicht die Qualifikation nicht. Etwa wenn ein Diplomingenieur gesucht wird und ein Bewerber zwar technische Fähigkeiten mitbringt, aber kein Diplom. Auch die Entlohnung ist relevant. In Tirol leben laut Kopf weit mehr Köche, als in der Küche arbeiten. Viele davon seien wegen besserer Gagen und Arbeitszeiten in der Industrie. "Da muss ich nicht immer am Abend, am Wochenende oder in den Ferien arbeiten."