Es gibt aktuelle soziologische Untersuchungen aus Deutschland zur "Friday for Future"-Bewegung. Da zeigt sich, dass Junge aus höher gebildeten Haushalten überrepräsentiert sind. Ist das bei jenen, die bei Engage teilnehmen, ähnlich?

Nein, grundsätzlich nicht. Wir sehen, dass wir sehr breit sind. Natürlich gibt es Jugendliche aus höher gebildetem Elternhaus, die sich vielleicht schon zu Hause mit Politik auseinandergesetzt haben. Aber wir erreichen viele Jugendliche, die überhaupt nichts mit Politik am Hut haben und aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien kommen. Eben weil es bei uns nicht so um Politikpolitik geht. Wir nennen uns auch Engage.ch, es geht um Engagement, nicht primär um Politik. Wir arbeiten mit lustigen Videos, mit GIFs und Memes, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so sehr mit Politik zu tun haben. Das ist bewusst, um so niederschwellig wie möglich zu sein und den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen.

Auch eine Zuschreibung, allerdings eine messbare, ist, dass die Beteiligung bei Wahlen bei Jugendlichen geringer ist. Gibt es in der Schweiz einen Unterschied zwischen Volksabstimmungen und Wahlen bei Jugendlichen?

Es gibt in der Schweiz die Vorstellung, dass Wahlen nicht ganz so wichtig sind, weil man ja eh noch vier Volksabstimmungen im Jahr hat, bei denen man etwas korrigieren kann. Deshalb ist das Interesse an Wahlen bei uns deutlich geringer als in allen anderen Ländern. Und das ist bei Jugendlichen nicht anders. Was wir aber merken: Jugendliche engagieren sich sehr wohl bei den Abstimmungen, pro Abstimmung sind es zwar nur 30 oder 35 Prozent der Jugendlichen, aber über das Jahr nehmen bei den vier Abstimmungsterminen doch sehr viele teil, etwa 80 bis 85 Prozent.

Kommt Direkte Demokratie den Interessen der Jugendlichen eher entgegen?

Ja, eindeutig. Bei der älteren Generation wählen viele noch aus Bürgerpflicht. Die nehmen an allen Abstimmungsterminen teil. Bei Jungen geht es nach Interesse. Wenn es sie interessiert, nehmen sie teil, wenn nicht, dann nicht.

Was ist der Rat an die Politik, um Jugendliche besser anzusprechen? Nur mit Social Media und ein paar jungen Politikern wird es wohl nicht gehen, oder?

Social Media ist sicher gut, und auch junge Gesichter. Aber was wir wirklich merken, ist die Begegnung auf Augenhöhe. Es geht auch darum, den Bedürfnissen der Jugendlichen entgegenzukommen, ihnen auch zu sagen, wenn man nicht ihrer Meinung ist, aber ihr Engagement ernst zu nehmen. Es überrascht die Jugendlichen auch, wenn sie merken, dass die Politiker auch nur Menschen sind, und dass man mit ihnen gut kommunizieren kann. Es kann die Jugendlichen auch motivieren, parteipolitisch aktiv zu werden, wenn sie einmal sehen, dass das alles nicht so starr, strikt und unsympathisch ist, wie sie vielleicht glauben.