Es war gewiss keine leichte Aufgabe, vor der Alexander Van der Bellen am Nachmittag des 27. Mai stand. Der Bundespräsident musste nach dem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen das nur Tage zuvor noch von Ex-Kanzler Sebastian Kurz umgestaltete Kabinett eine Übergangsregierung bestellen - und zwar eine, die das Vertrauen der Parlamentsparteien genießt. Selbstredend musste der Bundespräsident das Gespräch mit den Parteien führen - das Ergebnis war ein Kabinett unter der Führung von Verfassungsgerichtshof-Präsidentin Brigitte Bierlein, ein Kabinett aus Experten, viele von ihnen zuvor in zentralen Positionen in den jeweiligen Ministerien, und alle von ihnen mit zumindest einer entsprechenden Farbzuschreibung, oder einer mehr oder weniger deutlichen Nähe zu einer der Parlamentsparteien.
Die Wogen nach dem Ibiza-Skandal wieder glätten, für Stabilität sorgen, die gewissenhafte Fortführung der Ministeriumsarbeit gewährleisten, kurz, das tun, was die Verfassung der Regierung eigentlich gebietet - Exekutive sein, das kündigte Bierlein in den Tagen nach ihrer Amtsübernahme an. Kaum eine Woche darauf erließ Bierlein "Grundregeln für die Zusammenarbeit": Man solle sich bei der "Wahrnehmung der Aufgaben im Ressort sowie im Außenauftritt" in "Zurückhaltung üben", wurde den Ministern und ihren Teams schriftlich mitgeteilt. Wie ernst nahm das Kabinett die Vorschriften der Kanzlerin?
Lässt man die vergangenen Monate Revue passieren, kann vor allem bei drei Ressortchefs von Zurückhaltung keineswegs die Rede sein - schon gar nicht, was die Medien angeht. Verteidigungsminister Thomas Starlinger, ehemaliger Adjutant von Bundespräsident Van der Bellen, schaffte kürzlich das, was zahlreichen seiner Vorgänger nur mäßig oder gar nicht gelang: ein kollektives Wachrütteln der Öffentlichkeit wie auch der Parteien für den katastrophalen Zustand des Bundesheeres. SPÖ, FPÖ und Neos sprachen sich für das notwendige Budget aus, die ÖVP betonte immerhin, man nehme Starlingers Zustandsbericht "sehr ernst", und Leitartikelschreiber meinten, die Geldforderungen seien keineswegs dreist, sondern nur realistisch, wenn man das Heer überhaupt erhalten wolle. Starlinger lieferte seinem Nachfolger (und dem von Finanzminister Eduard Müller) eine echte Vorlage.
Ähnliches gelang Justizminister und Vizekanzler Clemens Jabloner. Vor dem "stillen Tod der Justiz" warnte er und forderte die Freigabe von 70 Millionen Euro an Rücklagen, um den laufenden Justizbetrieb überhaupt aufrechterhalten zu können. 400 Planstellen habe die Justiz in den letzten Jahren verloren. Nach dem offen ausgetragenen Kampf zwischen dem nun wieder als Sektionschef agierenden Ex-Justiz-Generalsekretär Christian Pilnacek und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) über die Ermittlungen in der Causa Eurofighter erließ Jabloner neue Weisungsvorschriften. Alle eingreifenden Akte von Vorgesetzten in die Arbeit der Staatsanwaltschaften müssen künftig als "ausdrückliche Weisungen" erfolgen, bestimmte der Justizminister. - Eine offensichtliche Reaktion auf die Pilnacek nachgesagten, informellen Anweisungen an die WKStA im Rahmen einer Dienstbesprechung, wie Jabloner auch im Interview mit der "ZiB 2" Mitte Juni offen zugab.