Wien. Die Grünen sind für Sondierungen mit der ÖVP offen, geben der Frage einer Regierungsbeteiligung aber nicht die höchste Priorität. Bei seinem ersten Auftritt nach dem erfolgreichen Wahlsonntag legte Grünen-Bundessprecher Werner Kogler am Mittwoch den Fokus bewusst auf Inhaltliches. Für den neu konstituierten Nationalrat kündigte er etwa eine Initiative für ein Transparenzgesetz.
Bezüglich Sondierungen sagte Kogler: "Ich gehe davon aus, dass dann nächste Woche der Parteivorsitzende der ÖVP die sogenannten Vorgespräche, Vieraugengespräche zu möglichen Sondierungen aufnimmt. Dann werden wir weitersehen, that's it." Er warte nun auf den Anruf von Sebastian Kurz. "Wenn er nicht anruft, rufe ich ihn an", scherzte er.
Festlegungen im Parteivorstand am Dienstag zur Frage einer Regierungsbeteiligung habe es noch nicht gegeben: "Nein, das hängt ja von den Sondierungen ab", so Kogler. Inhaltlich pochte er auch auf die rasche Umsetzung eines großen Klimaschutzpakets, das Österreich wieder zu den Vorreitern in Europa machen solle, und auf Maßnahmen gegen Kinderarmut.
"Es muss sich niemand fürchten"
Kogler sprach bezüglich Klimaschutz von einem Auftrag für seine Partei, den es - "egal von welchem Platz aus" - umzusetzen gelte. Er versprach, dass man die Millionen Kinder und Jugendlichen der "Fridays for Future" im Auge haben werde, "bei all unserem Handeln und Tun, und wir wollen ihnen in die Augen schauen können".
Für ein entsprechendes Paket versprach er "all unsere Kraft" einzusetzen. "Ja, die Grünen sind das Gesicht, der verlängerte Arm, das Spielbein dieser Bewegungen im österreichischen Parlament", sagte er in Bezug auch auf die hier engagierten NGOs und Wissenschafter.
Rückschritt und Stillstand in Österreichs Klimaschutzpolitik habe es vor allem deshalb zuletzt gegeben, weil die Grünen nicht im Parlament vertreten gewesen seien, konstatierte Kogler. "Man kann dort viel bewegen. Es macht für die Regierenden einen Unterschied, ob sie wissen, wie sie in Ausschüssen und im Plenum konfrontiert werden, wenn sie den Umweltschutz zurückdrehen wollen."
Möglichst rasch, gerne auch noch unter dem Beamtenkabinett Bierlein, will Kogler eine Initiative in Sachen Transparenz und Parteienfinanzierung starten. Er wolle Expertenvorschläge sammeln und möglichst bald für eine Punktation sorgen. Die legistische Umsetzung solle über das Parlament erfolgen, das sei bei diesem Thema auch der übliche Weg.
"Es muss sich zumindest niemand fürchten, wenn das Parlament jetzt Initiativen ergreift und die Regierung Bierlein immer noch da ist im Advent", meinte er generell. Ein schöner Advent könne es dennoch werden.
Grünen Wiederaufbau fortsetzen
Als Grüne wolle man sich zudem europaweit weiter vernetzen und "anschicken, eine Gegenbewegung zu sein gegen diesen überbordenden Rechtsextremismus". Es gehe um das Hochhalten der Demokratie und der Partizipation, so Kogler, der die Chance sah, den "Backlash" der Jahre 2016 und 2017 wieder umzukehren.
Der Bundessprecher nutze die Pressekonferenz auch, um das Wahlergebnis einzuordnen. Es sei ein Comeback gewesen, wie es einer aus dem Nationalrat ausgeschiedenen Gruppierung noch nie gelungen sei, das höchste Ergebnis für die Grünen und jedenfalls mit zehn Prozentpunkten ein größerer Zuwachs als jener von ÖVP und NEOS, die sich ebenfalls als Wahlsieger ausgerufen hatten.
Das Comeback sei geglückt, "der Wiederaufbau muss fortgesetzt werden". Man sei nun auf der Suche nach Mitarbeitern, was aus seiner Sicht recht schnell gehen sollte: "Wir werden sicher nicht Ende 2020 noch lamentieren können, dass wir noch aufbauen".
Einmal mehr betonte er die Neucharakterisierung der Grünen als Bündnispartei, als "Volkspartei im politologischen Sinn", wie dies bereits im Präsidentschaftswahlkampf von Alexander Van der Bellen vorgezeigt wurde. Mit den Grünen in den Ländern sei er in vollständiger Übereinstimmung, dass man auf Ebene der Landtagswahlen diesen Weg weitergehen wolle."Ich sehe überall die Vorzeichen und die Chance, überall dort, wo wir können, das Ruder selbst in die Hand zu nehmen, den Kurs dorthin zu lenken."
Forderung nach "Superministerium" durch NGOs
Vertreter von Greenpeace, des Klimaschutzvolksbegehrens und der Wissenschaft fordern angesichts der bevorstehenden Koalitionsverhandlungen, dass der Klimaschutz das Herzstück des nächsten Regierungsprogramms bildet. Unter anderem brauche es ein "Superministerium" für die Klimaagenden, sagte Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.
"Klimaschutz muss das Thema Nummer eins für die kommenden Verhandlungen sein", forderte Egit. Noch vor Beginn der Regierungsverhandlungen sollten sich die Parteien auf eine entsprechende Grundsatzvereinbarung einigen. Diese müsse folgende Maßnahmen umfassen: einen klaren Klimapfad für Emissionsreduktionen, ein "ambitioniertes" Klimabudget, das unter anderem eine Nahverkehrsmilliarde umfasst, und eine ökosoziale Steuerreform. Das Regierungsprogramm müsse einem Klima-Check durch unabhängige Wissenschafter standhalten, um sicherzugehen, dass Österreich das 1,5-Grad-Ziel tatsächlich erreicht.
Die "zersplitterten Kompetenzen" für Klimaschutz sollten außerdem in einem "Superministerium", das die Bereiche Klima, Energie, Umwelt, Land- und Forstwirtschaft sowie Verkehr vereint, gebündelt werden. Ein Klimakabinett nach deutschem Vorbild wäre aus Sicht des Greenpeace-Geschäftsführers zu wenig.
"Die Menschen in Österreich sind schon zu lange klimapolitisch im Stich gelassen worden", kritisierte Katharina Rogenhofer, Sprecherin des Klimavolksbegehrens. "Wir werden uns nicht mit Minimalkompromissen zufriedengeben", betonte sie. Wenn Österreich weiterhin fossile Energien aus dem Ausland importiere, Strafzahlungen in Kauf nehme und Milliarden in klimaschädliche Subventionen stecke, wäre das "eine Verhöhnung der österreichischen Bevölkerung".
Klimaschutz müsse in der Politik endlich zu einem Thema werden, das nicht in Frage gestellt wird, forderte auch Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts für ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. Es brauche keine Einzelmaßnahmen, sondern ein gut aufeinander abgestimmtes Maßnahmenbündel. Sie sprach sich ebenfalls dafür aus, dass dieses "ex-ante und ex-post" durch Experten evaluiert wird.
Auch Fridays For Future forderte in einer Aussendung am Mittwoch, dass der Klimaschutz die Basis für die Koalitionsverhandlungen bilden müsse. Die Bewegung kündigte an, im Rahmen der nächsten Klimademo am Freitag eine Menschenkette um das Bundeskanzleramt bilden zu wollen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. (apa)