Neben einer ökosozialen Steuerreform ab 2022 stellt die türkis-grüne Bundesregierung den Österreichern und den Firmen auch konkrete steuerliche Entlastungen in Aussicht. Demnach sollen Arbeitnehmer, Pensionisten sowie Selbstständige und Bauern "mit geringen und mittleren Einkommen" durch eine Senkung der drei unteren Tarife der Einkommenssteuer entlastet werden. Konkret bedeutet dies, wie im Regierungsabkommen im Detail angeführt wird, eine Reduktion der Stufen von 25 auf 20 Prozent, von 35 auf 30 Prozent sowie 42 auf 40 Prozent.
Damit wird eine Maßnahme in Angriff genommen, die bereits von der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung vorbereitet worden ist. Diese wurde jedoch wegen des Koalitionsbruches nicht umgesetzt.
Höherer Familienbonus zur Armutsbekämpfung
Neu ist im Zuge eines "Pakets zur Armutsbekämpfung", für das die Grünen besonders Druck gemacht haben, dass der 2019 eingeführte Familienbonus ausgeweitet wird. Der Bonus wird von bisher 1500 auf 1750 Euro pro Kind erhöht. Für Familien mit niedrigem Einkommen wird die Untergrenze beim Bonus von 250 auf 350 Euro angehoben.
Körperschaftssteuer wird von 25 auf 21 Prozent gesenkt
Für Konzerne und Unternehmen ist ebenfalls eine Reduktion der Steuerlast vorgesehen. Die Körperschaftssteuer soll demnach von 25 auf 21 Prozent reduziert werden. Die begünstigte Besteuerung des 13. und 14. Gehalts bleibe unangetastet, wird im neuen Koalitionspakt versichert wird. Für Klein- und Mittelbetriebe sind Erleichterungen bei Betriebsübergaben vorgesehen. Damit wollen ÖVP und Grüne Betriebsübergaben innerhalb der Familie erleichtern.
Die neue Regierung möchte auch das Prinzip "reparieren statt wegwerfen" ausbauen. Dafür soll es steuerliche und weitere Anreize geben. Damit möchte Türkis-Grün vor allem auch Handwerks- und Gewerbebetriebe unterstützen. Für Selbstständige und Klein- und Mittelbetriebe ist unter anderem auch eine Erleichterung bei der Einrichtung von Arbeitszimmern geplant. Die Möglichkeiten der steuerlichen Absetzbarkeit von Arbeitszimmern zu Hause möchte die türkis-grüne Regierung "ausweiten". Zur sozialen Absicherung in der Startphase eines Unternehmens wird ein Modell evaluiert. Die Weiterbildung von Unternehmerinnen und Unternehmen soll verstärkt gefördert werden.
Kopftuchverbot wird bis 14 Jahre ausgeweitet
Noch vor der Präsentation des türkis-grünen Regierungsprogramms am Donnerstagnachmittag durch ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler waren erste Inhalte der geplanten Vorhaben der künftigen Bundesregierung durchgesickert. Darunter sind auch zwei Pläne, die vor allem bei den Grünen für Zündstoff sorgen werden. So soll die umstrittene Sicherungshaft, die schon unter Türkis-Blau geplant war, in einer verfassungskonformen Variante umgesetzt werden. Vorbereitet wird außerdem die Ausweitung des Kopftuchverbots.
Damit wird auf Druck der ÖVP die Linie der türkis-blauen Bundesregierung fortgesetzt. Diese hat bereits das Kopftuchverbot für Kindergärten und Volksschulen beschlossen. In der neuen Legislaturperiode ist die Ausweitung für Kinder bis 14 Jahre geplant. Weiters soll es im Asylbereich zur Umsetzung der Bundesbetreuungsagentur für Asylwerber sowie zur Schaffung von Rückkehrzentren kommen, um die freiwillige und sichere Rückkehr von Migranten in ihre Herkunftsländer oder Drittstaaten besser unterstützen zu können.
Lob für gute Gesprächsbasis
"Sehr optimistisch, dass die Zusammenarbeit fünf Jahre halten wird" zeigte sich der künftige Kanzler, Sebastian Kurz (ÖVP), am Donnerstagabend in der "Zeit im Bild 1". Er geht davon aus, dass der Grüne Bundeskongress dem Regierungsprogramm am Samstag die Zustimmung erteilen wird - auch wenn die ÖVP die Linie bei der Migration vorgebe."Es muss allen klar gewesen sein, dass wir unseren Kurs bei der Migration nicht ändern", sagte Kurz - der sich "äußerst zufrieden" mit dem Regierungsprogramm zeigte und die gute Gesprächsbasis mit seinem künftigen Vizekanzler Werner Kogler lobte.
"In beiden Parteien gibt es Bereiche, wo man sich extrem entgegengekommen ist", betonte der künftige Finanzminister Gernot Blümel in der "Zeit im Bild 2". In dem vorliegenden Abkommen könnten sich "beide Parteien wiederfinden." Insbesondere bei Migration seien die Sichtweisen jedoch unterschiedlich, weswegen dieser Bereich zur Chefsache erklärt worden sei, falls zu diesbezüglichen Fragen keine Einigung erzielt werden könne. Überdies wolle er, Blümel, bei den kommenden Wien-Wahlen weiterhin als Spitzenkandidat für seine Partei antreten.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfing am Donnerstagmittag die Parteichefs von ÖVP und Grünen in der Hofburg. Sebastian Kurz und Werner Kogler berichteten dem Staatsoberhaupt persönlich von der türkis-grünen Einigung und legten ihm in dem gemeinsamen Gespräch die Pläne der Regierung dar.
Am 7. Oktober des vergangenen Jahres hatte Bundespräsident Van der Bellen ÖVP-Obmann Kurz als Sieger der Nationalratswahl mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Am Donnerstag teilte der Ex- und künftige Kanzler dem Staatsoberhaupt nun mit, dass dieser Auftrag erfüllt werden kann.
Van der Bellen lädt Minister in die Hofburg ein
Van der Bellen empfing Kurz pünktlich um 12.30 Uhr im Maria-Theresien-Zimmer in der Hofburg und begleitete ihn in sein Arbeitszimmer. Dort unterhielten sich die beiden etwa zehn Minuten miteinander, bis auch Werner Kogler dazu stieß. In ihrem gemeinsamen Gespräch mit Van der Bellen berichteten Kurz und Kogler von den Vorhaben der neuen Regierung und gaben dem Präsidenten eine Übersicht über die türkis-grünen Personalentscheidungen. Um 13.15 Uhr öffnete sich die Tapetentür wieder und Kurz kam lächelnd heraus. Kogler blieb noch etwa eine Viertelstunde allein mit Van der Bellen in seinem Arbeitszimmer, ehe auch der Grünen-Chef die Hofburg verließ.
Die Angelobung der neuen Regierungsmannschaft ist für Dienstag, 7. Jänner, geplant. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Bundeskongress der Grünen dem türkis-grünen Pakt am Samstag, 4. Jänner, seine Zustimmung erteilt. In den Tagen vor der Angelobung wird Van der Bellen die neuen Minister zu einem Kennenlernen in die Hofburg einladen. Einige dieser Gespräche werden bereits am Donnerstag geführt, hieß es aus der Präsidentschaftskanzlei.
Höhere Maut für besonders umweltbelastende Lkw
Im Regierungsprogramm ist im Umweltbereich sind zwar nicht explizit CO2-Steuern vorgesehen, aber umweltfreundliches Verhalten soll gefördert werden. Eine Arbeitsgruppe wird eine ökologische Steuerreform erarbeiten. Die Umsetzung ist bis 2022 vorgesehen. Fliegen wird wohl teurer werden. Das türkis-grüne Regierungsabkommen sieht demnach eine Neuregelung der Flugticketabgabe vor. Eine Ökologisierung ist auch bei der Lkw-Maut geplant. Besonders stinkende Brummer sollen künftig eine höhere Maut zahlen als emissionsarme Lastkraftwagen.
Kurz und Kogler betonten Mittwochabend rund um die Koalitionseinigung, dass beide Seiten zentrale Wahlversprechen einhalten könnten. Kurz hob für die ÖVP die konsequente Linie gegen illegale Migration und den politischen Islam hervor ("Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen"). Kogler erklärte, dass man sich im Klimaschutz weitergehend geeinigt habe, als man das vorher ahnen hätte können ("Österreich soll zum europäischen Vorreiter in Sachen Klimaschutz werden"). Das türkis-grüne Regierungsprogramm muss jedenfalls noch vom Grünen Bundeskongress abgesegnet werden.
Grüne Klubvize Maurer: "Schmerzhaftes auf beiden Seiten"
Die grüne Vizeklubchefin Sigrid Maurer baute am Donnerstag Kritik aus den eigenen Reihen schon vor. Das türkis-grüne Regierungsübereinkommen enthalte "Schmerhaftes" für beide Seiten, sagte sie im "Ö1-Morgenjournal". "Es werden auch Punkte sein, die natürlich für die grüne Basis neu, ungewohnt und auch schmerzhaft sein werden. Es ist aber auch für die ÖVP sehr vieles schmerzhaft", erklärte Maurer.
Grundsätzlich glaubt sie aber, dass der vereinbarte Koalitionsvertrag die Erwartungen erfüllen werde. "Wir werden das größte Umweltministerium, das diese Republik je gesehen hat, haben und anführen, es wird ein ganz umfassendes Klimaschutzpaket geben, wo wir europäische Vorreiter im Klimaschutz werden, wir haben eine Transparenzoffensive und wir stellen den Sozialminister und haben im Bereich sozialer Gerechtigkeit einige Maßnahmen vorgesehen. Also die grüne Handschrift zieht sich durch das gesamte Regierungsprogramm." Sie sei daher zuversichtlich, dass der Bundeskongress der Partei am Samstag dem Koalitionsabkommen seinen notwendigen Segen geben werde.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat am Donnerstag die ÖVP-Dominanz im türkis-grünen Koalitionspakt beklagt und die soziale Handschrift darin vermisst. Die SPÖ werde es nun einer genauen Detailprüfung unterziehen. Schon jetzt sei erkennbar, dass in dem vorliegenden Regierungsprogramm die soziale Handschrift weitestgehend fehlt, betonte Rendi-Wagner in einer Aussendung.
Kritik von SPÖ und FPÖ
"Auf den ersten Blick scheint Österreich eine türkise Regierung zu bekommen, denn die grünen Ziele muss man im Regierungsprogramm lange suchen", meinte sie. Von den grünen Versprechen beim Thema Armutsbekämpfung sei wenig übriggeblieben: "Von Armut bedrohte Kinder haben kaum etwas von den türkis-grünen Plänen zum Familienbonus, während Besserverdiener profitieren."
Positiv bewertete Rendi-Wagner, dass das im Wahlkampf auch von der SPÖ geforderte Klimaticket für ganz Österreich kommen soll. Hingegen vermisste sie konkrete Maßnahmen, um Wohnen leistbarer zu machen und Mieter zu entlasten. Ähnliches gelte auch für die Arbeitnehmer. Eine spürbare Entlastung für Geringverdiener sei im türkis-grünen Programm zunächst nicht zu finden. Stattdessen solle die Unternehmenssteuer um 1,5 Milliarden Euro gesenkt werden.
Relativ wohlwollend fiel die erste Einschätzung von ÖGB-Vizepräsidentin Korinna Schumann aus. Bei einer ersten Übersicht falle auf, dass im Vergleich zur Vorgängerregierung zahlreiche Verbesserungen im Koalitionsübereinkommen enthalten sind, meinte die rote Gewerkschafterin. Konkret hob sie die Ausnahme von Klima- und Zukunftsinvestitionen aus dem bestehenden Schuldenziel hervor. Kritik übte sie an geplanten Steuergeschenken für Konzerne.
"Überwiegend heiße Luft"
"Überwiegend heiße Luft" enthält das türkis-grüne Regierungsprogramm aus Sicht von FPÖ-Chef Norbert Hofer. Aber man könne ablesen, dass Österreich nach links driften werde, meinte er in einer Aussendung. Auf Facebook konstatierte Hofer, die Grünen hätten sich" ordentlich über den Tisch ziehen lassen". Gleichzeitig hielt er Sebastian Kurz vor, die Mitte-Rechts-Politik beendet zu haben.
Einen Linksdrall sieht Hofer etwa darin, dass die - von Türkis-Blau beschlossene - Flüchtlingsberatung durch die Bundesbetreuungsagentur durch eine "Qualitätsbeirat" aufgeweicht werde. Für "noch bemerkenswerter" hält er es, dass im Fall einer neuerlichen Flüchtlingswelle der Asylbereich koalitionsfreier Raum wird. Der frühere Koalitionspartner ÖVP gibt sich aus Hofers Sicht jetzt nicht nur für eine "künftige linke Chaosregierung" her - sondern hat in seinen Augen auch die Farbe geändert.
Menschenkette um Bundeskanzleramt
Die Klimabewegung Fridays For Future hat nach der Vorstellung des türkis-grüne Regierungsprogramms für Freitag eine Demonstration in Wien angekündigt: Um 13.00 Uhr soll eine Menschenkette um das Bundeskanzleramt gebildet werden, unter anderem weil Ökologisierung des Steuersystems ab 2022 "nicht der Dringlichkeit der Lage" entsprechen würde.
"Denn erst, wenn die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und globale Klimagerechtigkeit gesichert sind, werden unsere Klimaproteste ein Ende finden - Und davon sind wir, mit Blick auf die österreichischen Emissionen 2019, noch weit entfernt", teilte Anika Dafert von Fridays For Future Salzburg am Donnerstagabend in einer Aussendung mit. Man könne nicht noch zwei Jahre ungenutzt verstreichen lassen, da die Emissionen ab 2020 radikal sinken müssten. Man begrüße jedoch die geplanten Klimaschutz-Maßnahmen im Regierungsprogramm. (apa/red)
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