"Niemand glaubt mehr an die Wohlstandsversprechen rechter Wirtschaftspolitik", ist Philip Blond überzeugt. Andreas Urban
"Niemand glaubt mehr an die Wohlstandsversprechen rechter Wirtschaftspolitik", ist Philip Blond überzeugt. Andreas Urban

Die ökonomischen und sozialen Umbrüche der letzten Jahre - mit der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 - haben auch die großen Volksparteien quer durch die entwickelte Welt auf dem falschen Fuß erwischt. Weder die Linke noch die Rechte hat bisher mehrheitsfähige programmatische Antworten auf die neuen gesellschaftlichen Probleme entwickeln können. Nach der Krise der europäischen Sozialdemokratie (siehe das Interview mit dem britischen Soziologen Colin Crouch in der "Wiener Zeitung" vom 3./4. August 2013) geht es im Folgenden um den Zustand der konservativen und christdemokratischen Parteien.

Wie tief die programmatische Verunsicherung geht, demonstrierte 2011 der konservative britische Publizist Charles Moore. Der Biograf Margaret Thatchers machte seine aufkeimenden Zweifel an der eigenen politischen Überzeugung öffentlich, als er erklärte, er beginne sich langsam zu fragen, ob die Linke nicht doch recht habe. Was Moore so ins Wanken brachte, war die Art und Weise, wie konservative Politik der Misswirtschaft von Banken und Finanzkapital freie Bahn brach - auf Kosten der Steuerzahler. Moore stieß damit eine Debatte, die auch im deutschsprachigen Feuilleton hohe Wellen schlug.

"Wiener Zeitung": Herr Blond, Sie gelten als einflussreicher Vordenker für einen neuen Konservativismus: Haben auch Sie Zweifel an der ultimativen Weisheit rechter Programmatik angesichts der Exzesse, die in den letzten Jahren in der internationalen Finanzwirtschaft stattgefunden haben und die in der Folge ganze Staaten ins Wanken brachten?

Philip Blond: Die Ereignisse der letzten Jahre haben sowohl die orthodoxe Linke wie auch die orthodoxe Rechte überholt. Wir erleben eine Krise, die das linke und rechte Spektrum des politischen Denkens umfasst; keine von beiden Seiten kann momentan ein politisches Konzept für die Zukunft anbieten, beide sind programmatisch in ihrer eigenen Vergangenheit gefangen.

Wie ist das zu verstehen? Immerhin hat die Linke - zumindest in ihrer Theorie, weniger in der Praxis - seit jeher vor der Entfesselung der Kapitalmärkte gewarnt.

Die Linke ist nach wie vor dem Anspruchsdenken des herkömmlichen Wohlfahrtsstaates verhaftet, wo die Illusion leistungsloser Alimentierung gepflegt wird. Die Tatsache, dass dies zum Trittbrettfahren verleitet, wird einfach ignoriert. Im Endeffekt führt dies zu einer Verschlechterung für die wirklich Armen, weil es keinen Anreiz gibt, Talente zu fördern, Fähigkeiten auszubilden; stattdessen begnügt man sich einfach damit, die Armen zu alimentieren.

Die Situation der Rechten ist strukturell ganz ähnlich. In den USA und Großbritannien haben sich die Konservativen zu Neoliberalen gewandelt. Diese Theorie hat zwar größeren Wohlstand für alle versprochen, in der Praxis aber nur zu immensem Reichtum von ganz Wenigen geführt. In der Realität hat die Rechte deshalb keinen Massenwohlstand, sondern eine Situation geschaffen, die verdächtig an Marxismus erinnert: Die Mittelklasse wurde weitgehend proletarisiert und hat auf diese Weise paradoxerweise die Notwendigkeit eines immer größeren Sozialstaats noch weiter verstärkt. Linke und rechte Politik haben sich also gegenseitig verstärkt. Deshalb erleben wir derzeit eine schwere Krise konservativer Parteien.

Mit welchen Folgen?

Das betrifft Politik rund um den Globus. Niemand glaubt mehr an die Verheißungen einer kapitalistischen Politik, aus diesem Grund hat Mitt Romney die Wahlen gegen Barack Obama verloren und deshalb wird wohl auch David Cameron die nächsten Wahlen in Großbritannien verlieren. Rechte Wirtschaftspolitik hat genau zu jener Knechtschaft der Menschen geführt, vor der Friedrich August von Hayek in seinem epochalen Werk "Der Weg zur Knechtschaft" schon 1943 gewarnt hatte. Die Essenz rechter Politik sollte eigentlich genau das Gegenteil sein: Die Menschen aus der Knechtschaft befreien, indem Privateigentum und Unternehmertum gefördert werden.

Warum sind Sie von einer Niederlage Camerons überzeugt, wenn auch die Linke in einer ähnlich schweren Krise steckt?

Weil Cameron die Konservativen wieder weiter nach rechts führt, um eine Spaltung der Tories zugunsten der britischen Nationalistenpartei UKIP zu verhindern. Nur: Die politische Mitte lässt sich nicht vom rechten Rand aus erobern - und schon gar nicht, wenn es sich dabei um eine völlig überkommene, rückwärtsgewandte Rechte handelt.

Das ist Ihre Analyse für die anglosächsische Rechte. Europas traditionelle Konservative haben allerdings in der Vergangenheit einen anderen Weg eingeschlagen.

Das stimmt, und deswegen ist die Entwicklung in Europa auch besonders interessant, weil hier die Konservativen an einem eigenen dritten Weg, der sozialen Marktwirtschaft, aktiv mitgearbeitet haben. Nach 1945 erlebte Europa ein goldenes Zeitalter, wo der Anteil des Privateigentums stieg und unzählige kleinere und mittlere Unternehmen gegründet wurden. Ab den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts vereinigten sich jedoch auch auf dem Kontinent die schlechtesten Eigenschaften linker und rechter Politik zu einem exzessiven Ausbau des Sozialstaats und einer neoliberalen Entfesselung der Finanzmärkte. Die europäische Christdemokratie hat in der Folge ihre besondere Kernkompetenz verloren, die auf der Kritik sowohl von linken Exzessen in der Sozialpolitik als auch von neoliberalen kapitalistischen Auswüchsen fußte. Jetzt müssen Europas Christdemokraten wieder eine eigene politische Vision für die Zukunft entwickeln. Gelingt ihnen das nicht, werden sie untergehen.