Wien. Es scheint skurril: Die einen - konkret eine Million Menschen - leben mitunter seit Jahren in Österreich und dürfen hier nicht wählen, weil sie eine andere Staatsbürgerschaft besitzen. Die anderen - grob geschätzt 300.000 an der Zahl - sind Österreicher, die im Ausland leben, aber ihre Stimme für die Wahl abgeben dürfen. Ihnen müssen mit viel Aufwand und Vernetzung Informationen zu Parteien und Wahlprogrammen zugespielt werden - damit sie sich fern von der Heimat dennoch ein entsprechendes Bild von dieser machen können.

Doch was die nicht wahlberechtigten Ausländer in Österreich fordern (die "Wiener Zeitung" hat berichtet), scheint für die Auslandsösterreicher nur von geringer Bedeutung zu sein. Machen doch Letztere von ihrem Wahlrecht kaum Gebrauch. Nur rund 41.000 (Stichtag 9. Juli) haben sich laut Robert Stein vom Innenministerium in die Wählerevidenzliste für die Nationalratswahl am 29. September eingetragen. "Der Anteil ist verschwindend gering", sagt Stein zur "Wiener Zeitung", "und zudem stark rückläufig." Seit Mitte der 90er Jahre - damals waren es noch 70.000 - nehme er kontinuierlich ab. Warum? "Die früheren Postwurfsendungen des Außenministeriums an die Wähler waren möglicherweise effizienter als E-Mail-Versendungen." Problematisch sei auch, dass viele Adressen gar nicht bekannt sind: Auslandsösterreicher sind nicht verpflichtet, sie dem Heimatland zu melden.
Feststeht: Wer im Ausland lebt, muss aktiv über die Wahl informiert werden. Denn außerhalb der Grenzen ist diese kein Thema. Die Niederösterreicher Gerald Sakuler, der seit mehr als 20 Jahren Verkaufsmanager in Russland ist, und Jürgen Bischof, seit 2000 in England im Finanzdienst tätig, können das bestätigen. "Die Wahl interessiert hier niemanden", sagen sie. Damit zumindest die in London lebenden Österreicher informiert sind und ja nicht vergessen, sich in die Wählerevidenzliste einzutragen, schickt ihnen Bischof regelmäßig Informationsmaterial zu. Zwecks stärkerer Verbindung wurde der "Österreicher Klub London" gegründet, dem Bischof als Präsident vorsteht. "Es ist wichtig, dass hier alle wählen gehen. Jemanden, der im Ausland lebt, sollte die Politik in seinem Heimatland sogar vermehrt interessieren, weil er es ja repräsentiert. Und auch die Menschen in Österreich sollen die Auslandsösterreicher stärker wahrnehmen", sagt Bischof.
Parlamentarische Vertretung gefordert
An alle Österreicher, die außerhalb ihrer Heimatgrenzen leben, richtet sich die alljährliche Tagung des Vereins "Auslandsösterreicher-Weltbund" (AÖWB), die heuer von 5. bis 8. September in Linz stattfindet. "Wir wollen die Vernetzung stärken und das Gemeinschaftsgefühl festigen", sagt AÖWB-Generalsekretärin Irmgard Helperstorfer zur "Wiener Zeitung". Vier Mal im Jahr wird zu diesem Zweck die Zeitschrift "Rotweißrot" an alle Mitglieder verschickt - derzeit freilich mit dem Thema Wahl als Seitenfüller. 176 Vereine und rund 35.000 Mitglieder gehören dem AÖWB an, der Großteil der Auslandsösterreicher lebt laut Helperstorfer in Deutschland, der Schweiz und den USA und sei vom Ausbildungsgrad her hochqualifiziert.
Der AÖWB-Tagungsort liegt jedes Jahr in einem anderen Bundesland. Voriges Jahr war Graz an der Reihe, rund 900 Personen nahmen teil. Ein regelmäßiger Gast ist Vizekanzler Außenminister Michael Spindelegger. Er sieht Auslandsösterreicher als "wertvolle Vermittler unseres Landes, unserer Kultur und Traditionen". Bei den Rahmenbedingungen bestehe allerdings Verbesserungsbedarf. Spindelegger setze sich daher für einen weiteren Ausbau der demokratischen Rechte der außerhalb der Grenzen Österreichs lebenden Staatsbürger ein, wie er betonte. Auch die langjährige Forderung des AÖWB nach einer eigenen parlamentarischen Vertretung für die Auslandsösterreicher wird von Spindelegger unterstützt.
Erhaltung des Kulturguts
als essenzielles Thema
Die etwa 300.000 fern der Heimat lebenden Österreicher, die eigentlich wählen gehen dürften, sind nur ein Teil der Auslandsösterreicher: Inklusive der Minderjährigen sind es rund 500.000, die über den Globus verteilt leben. Für sie alle ist die Erhaltung des Kulturguts essenzielles Thema. Bischofs Tätigkeit in London geht daher über den Wahl-Informanten weit hinaus: Er organisiert Nikolaus-, Faschings- und Weihnachtsfeiern, "Knödelfestivals" und Bälle. "Bei uns kann man auch erfahren, wo es in London Schnitzel und Schweinsbraten oder Brot, das nach Österreich schmeckt, zu kaufen gibt."
Das Netzwerk sei auch in Nicht-Wahljahren gut - und dank sozialer Medien wie Facebook weit verzweigt. Dem in Moskau lebenden Sakuler kommt es dennoch manchmal vor, als lebe er zwischen den Welten. "Ich sehe alles von außen: Russland und Österreich." Wie Österreich aus dieser Perspektive aussieht? "Österreicher sind nicht so streng und korrekt wie etwa die Deutschen, daher fühlen sich auch die meisten Russen in Österreich wohler als in Deutschland. Ich glaube, die größte Errungenschaft Österreichs ist - und das wird auch im Ausland so gesehen -, dass es seinen Landkolorit behalten und eine ganz persönliche Note hat."
Auf die Frage, ob er sich eher in Österreich oder in Russland zuhause fühle, kommt die Antwort spontan: "In Österreich." Vielleicht mit ein Grund, warum Sakuler fast jedes Wochenende zwischen Moskau und Waidhofen an der Ybbs im Mostviertel hin und her pendelt. 90 Prozent der Mitglieder des Vereins "Austrian Business Club Russia", dessen Präsident er ist, täten es ihm gleich. Täglich heben acht Flugzeuge in Richtung Wien ab. "Und außerdem", fügt er hinzu, "würde es bei den täglichen Verkehrsstaus länger dauern, in ein Landhaus nahe Moskau zu fahren, als nach Wien zu fliegen."