Wien. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet ein Belgier ein Verfahren entwickelt hat, welches bei der Aufteilung der Mandate annähernd die tatsächlichen Stärkeverhältnisse berücksichtigt. Victor d’Hondt (1841-1901), Jurist und Kämpfer für ein Verhältniswahlrecht, wusste um die Sensibilität dieser Frage für sein zwischen Flamen, Wallonen und Deutschen zerrissenes Land.

Allerdings hat das System nach d’Hondt, das in Österreich auf Bundesebene für einen Ausgleich der Mandatsverteilung sorgt, seine Verzerrungen (im Regional- und Landeswahlkreis werden die Mandate "nach Hare" festgestellt). Im Grundsatz stellt das Verfahren sicher, dass eine Partei, die mindestens 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt, auch mindestens 50 Prozent der Mandate erhält. Möglich ist auch, dass eine Partei mit weniger als 50 Prozent der Stimmen trotzdem 50 Prozent der Mandate erhält, solange nur die übrigen Parteien ein schlechteres Stimmenergebnis haben.
D’Hondt erfüllt also die Mehrheitsbedingung, nicht aber die Minderheitsbedingung. "Der Preis, der dafür zu entrichten ist, besteht in einer strukturellen Benachteiligung kleinerer Parteien", wie der Parlamentarismusexperte Werner Zögernitz erläutert.
Es ist diese Benachteiligung kleinerer Parteien, die am Sonntag darüber entscheiden könnte, ob SPÖ und ÖVP ihre Regierungsmehrheit verteidigen. Das hängt nämlich nicht allein von deren eigenem Abschneiden ab, sondern auch von der Frage, wie viele Parteien im nächsten Nationalrat vertreten sind. Die Hürde dafür liegt bei vier Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen (bzw. der Eroberung eines Direktmandats).
Gedankenspiel mit
zwei Variablen
Um zu veranschaulichen, welche Folgen ein Einzug von BZÖ und/oder Neos hätte (andere spannende Fragen, etwa das Rennen um Platz zwei, werden hier ausgeklammert), wird ein fiktives, aber auf den letzten veröffentlichten Umfragen basierendes Ergebnis angenommen. Die Ergebnisse jener Parteien, die demnach den Einzug fix schaffen, also SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne und Stronach, werden dabei als Konstante behandelt, jene für die beiden "Wackelkandidaten" als Variable.
Im Folgenden nun ein Gedankenspiel in drei Szenarien: In der ersten Variante schaffen sowohl BZÖ als auch Neos mit dem knappsten aller möglichen Ergebnisse - jeweils 4,0 Prozent der Stimmen - den Einzug in den Nationalrat. Als Sockel winken dafür sieben Mandate. Ab dann gilt Daumen-mal-Pi: Ein Prozent der Wählerstimmen entspricht ungefähr zwei Mandaten - und je höher die Stimmenzahl, desto stärker diese Korrelation.
Im zweiten Szenario gelingt der Sprung ins Parlament nur einer Kleinpartei, die andere scheitert denkbar knapp mit 3,9 Prozent. Ob dies BZÖ oder Neos gelingt, ist unerheblich, hier interessieren allein die Folgen einer sechsten Partei im Nationalrat.
Im dritten Szenario schließlich gelingt keiner der beiden Kleinparteien der Sprung über die Vier-Prozent-Hürde. In der Annahme scheitern beide mit der knappsten denkbaren Niederlage, also mit jeweils 3,9 Prozent der Stimmen. Dies hat den Vorteil, dass im Modell die Ergebnisse der übrigen Parteien unverändert bleiben können.
Fazit: Ob SPÖ und ÖVP am Sonntag eine gemeinsame Mehrheit erringen, kann entscheidend vom Ergebnis der beiden Kleinparteien abhängen: Schaffen sowohl BZÖ als auch Neos den Einzug, sitzen also künftig sieben Fraktionen im Parlament, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass die große Koalition Geschichte ist. Das wäre eine tatsächlich historische Zäsur in der Zweiten Republik.
Die Chancen auf eine Fortsetzung von Rot-Schwarz steigen, wenn es nur einer der beiden "Wackelkandidaten" schaffen sollte; scheitern beide, können sich SPÖ und ÖVP berechtigte Hoffnungen machen, das Land ohne dritten Partner bis 2018 zu regieren. Es sei denn, sie liegen deutlich unter den hier angenommenen Werten.