Wien. Wifo-Chef Karl Aiginger appelliert an die erwartete Neuauflage einer Zweier-Koalition aus SPÖ und ÖVP, die Regierung sollte eine "Reformpartnerschaft" mit Experten und Sozialpartnern als "dritter Kraft" bilden. Diese externen Fachleute, etwa auch des Wifo, könnten mithelfen, einige der "Klemmen" zwischen den Regierungspartnern "zu lösen, dass nämlich Rote und Schwarze gegenseitig ein paar Punkte ablehnen", zeigte sich der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts im APA-Gespräch überzeugt. Eine Blockade im Parlament bei Verfassungsmaterien durch die neuen Mandatsverhältnisse "befürchte ich nicht", sagt Aiginger, "auch bei Grünen und Neos sehe ich Chancen für eine Zustimmung zu Reformen".

"Reformen ja, Experimente nein" - in diesen vier Worten lässt sich für den Wifo-Chef die Lehre aus dem Wahlergebnis zusammenfassen. Auch sein Institut biete hier Expertise an, denn man sei bereits mit 33 Partner-Einrichtungen in das bis 2016 laufende EU-Kommissions-Forschungsprojekt "Welfare, Wealth and Work for Europe" eingebunden. Diese Agenda 2025 müsse mit einem Kassasturz beginnen, in dem große Belastungsbrocken wie etwa Hypo Alpe Adria abgeschätzt werden müssten.

Auf 5 bis 10 Mrd. Euro beziffert Aiginger die Einsparmöglichkeiten im Bereich des öffentlichen Sektors, von der Verwaltung bis hin zu Gesundheitswesen, Föderalismusreform und Eindämmung des "Förderunwesens". Die Regierung müsse sich hier unbedingt zu einer konkreten Zahl bekennen - zum Beispiel zu 7,5 Mrd. Euro, was gemessen an den 150 Mrd. Euro gesamtstaatlichen Ausgaben immerhin 5 Prozent wären.

Faktor Arbeit stark entlasten
Die Einspar-Möglichkeiten des öffentlichen Sektors zwischen 5 und 10 Mrd. Euro sollten dann "fifty-fifty" auf Steuersenkungen und Ausgaben für Zukunftsaufgaben aufgeteilt werden. Eine Steuer- und Abgabenreform müsse mit einer deutlichen Entlastung des Faktors Arbeit einhergehen.

Dabei sollten Steuern und Sozialabgaben als eine Einheit betrachtet werden, erneuerte Aiginger eine von ihm jüngst in der TV-"Pressestunde" erhobene Forderung: "Das in einem Tarif darzustellen wäre das Beste." Denn die untersten 40 Prozent der Beschäftigten würden von Steuersenkungen allein nicht oder kaum profitieren, "diesen bei den Arbeitskosten besonders sensiblen Bereich bekomm' ich nur über die Lohnnebenkosten". Gegenfinanzieren könne man mit Öko-Steuern (Stichwort Sprit) oder der Tabak-Besteuerung; zudem werde vielleicht auch über eine Erweiterung der Grundsteuern gesprochen werden.

Abgesehen von der Staatsaufgabenreform - dem "Einsparwillen in der Verwaltung" - sieht Aiginger keine weiteren Bedarf an einem "Sparpaket". Und der laufende Budgetvollzug selbst klappe mittlerweile ohnedies recht gut, hier wirke bereits das neue Haushaltsrecht.

IHS-Chef Keuschnigg mahnt Reformen ein
Nach dem gestrigen Wahlergebnis "schaut es ja so aus, als ob alles beim Alten bleibt", meint IHS-Chef Christian Keuschnigg. Aber die Wähler hätten die grundlegende Botschaft ausgesendet, dass es einen "Reformstau" gibt. "Das wird sich hoffentlich niederschlagen", wünscht er sich Reformen.

Ob SPÖ und ÖVP diese Botschaft verstanden haben, "weiß ich nicht" räumt der Wirtschaftsexperte ein. Aber wenn Stimmen verstärkt auf Protestparteien gelenkt werden, könne dies nur auf allgemeine Unzufriedenheit wegen fehlender Reformen hinweisen. Durch die "Nivellierung der politischen Landschaft", also der Angleichung der Parteigrößen, werden Reformen schwieriger, meint Keuschnigg. "Das ist an sich keine gute Neuigkeit für große Korrekturen". Auch gebe es in den Regierungsparteien personell nicht allzu viele Alternativen. "Wenn ich auf die Parteien blicke, ist es nicht so, dass man automatisch den neuen unverbrauchten Starpolitiker sehen könnte".

Dabei hätte Keuschnigg gleich sechs große Baustellen, die dringend eine Reform bräuchten. Der Schuldenabbau müsse vorangetrieben werden, und zwar "ausgabenseitig", also durch Sparmaßnahmen. Eine Steuerreform müsse zu niedrigeren Einstiegssteuersätzen führen, wobei die Steuersenkung nicht gleich durch andere Steuererhöhungen kompensiert werden sollte. "Man sollte die Steuerbelastung um ein paar Prozentpunkte senken", wünscht sich Keuschnigg. Dabei sollte es nicht zu einer noch stärkeren Umverteilung von reich zu arm kommen, denn darin sei Österreich schon jetzt OECD-Spitze. "Ich orte da keinen Nachholbedarf in Österreich".

Um die Finanzen Österreichs abzusichern müssen die Österreicher später in Pension gehen. Einerseits, weil schon jetzt das Pensionsantrittsalter sehr niedrig sei, andererseits, weil auf die zunehmende Alterung der Bevölkerung reagiert werden müsse. Wenn man das nicht wolle, müsse man Wohlstandseinbußen in Kauf nehmen. Österreich blicke neidisch auf die hohen Einkommen in der Schweiz, vergesse aber oft, dass die Schweizer 40 Stunden pro Woche arbeiten und "effektiv mit 65 oder später" in Pension gehen, erinnert der Schweizer Keuschnigg. Man müsse eben zwischen Freizeit und Einkommen abwägen. Insbesondere müssten Frauen später in Pension gehen, das sei auch in deren Interesse, ist Keuschnigg überzeugt.

Weiters müsse in Bildung und Innovation investiert werden, um den Wohlstand in Österreich langfristig abzusichern. Der Arbeitsmarkt müsse flexibilisiert werden, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können und als sechsten Punkt verweist Keuschnigg auf die Umsetzung der Bankenunion. Sobald sich aber die Finanzinstitute über einen Insolvenzfonds selber absichern, müsse die Bankenabgabe gesenkt oder gestrichen werden. Sonst würde man die Banken mehr belasten als andere Sektoren und zu einer Kostenexplosion beitragen - "am Ende zahlen wir das mit geringeren Spar- oder höheren Kreditzinsen".

"Positiv überrascht" hat Keuschnigg der Einzug der Neos in den Nationalrat. "Das ist eine Denkrichtung, die vertreten sein sollte, wie groß auch immer sie werden". Nun müssten sie sich aber erst mit ihren Ideen bewähren und zeigen, wo sie die Regierungsarbeit unterstützen. "Bei anderen Protestparteien, wie dem Team Stronach, ist weniger klar, ob das ein tragfähiges Programm ist", vermerkt Keuschnigg.