Wien. Ulrike Lunacek, designierte Spitzenkandidatin der Grünen, will mit einem starken Ergebnis bei der Nationalratswahl eine Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindern. "Austro-Trump" Heinz-Christian Strache wäre für ein soziales Österreich schlecht, für die Klimaschutzpolitik gar "völlig jenseits", warnte sie im APA-Interview. Ändern müsse sich auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz.

"Die ÖVP mit Kurz, und seit wenigen Tagen die SPÖ, sind bereit, mit der FPÖ in eine Regierung zu gehen und damit eine antieuropäische, hetzerische Politik zu unterstützen", sagte sie: "Wir Grünen sind die einzigen, mit denen das sicher nicht geht."

Ihr Motto: "Wer die FPÖ nicht will, muss Grün wählen, weil wir machen sicher nicht blau." Sie trete an, um nach dem Ende der rot-schwarzen Koalitionen andere Mehrheiten möglich zu machen. Es gehe um eine Richtungsentscheidung. Das Wahlziel: "Stärker werden, zweistellig auf jeden Fall." 2013 kamen die Grünen mit 12,4 Prozent auf ihren bisher bestes Nationalratsergebnis; ein Wert, den Meinungsforscher zurzeit außer Reichweite sehen.

Ihre Partei stehe für ein weltoffenes solidarisches Österreich, so Lunacek. Verbündete dafür sieht sie auch in Teilen von SPÖ und ÖVP. Sie verwies hier etwa auf die ehemaligen Flüchtlingskoordinatoren der Bundesregierung, Christian Konrad und Ferry Maier, die Kritik an Österreichs Regierung und Verwaltung im Umgang mit Flüchtlingen geübt hatten.

Kurz habe dagegen "einen Weg eingeschlagen, der immer weiter nach rechts geht und von (Ungarns Ministerpräsident Viktor, Anm.) Orban gelobt wird" - und der hetze bekanntlich gegen die EU. Kurz' Aussage zur Rolle von Hilfsorganisationen bei der Mittelmeer-Flüchtlingsrettung ("NGO-Wahnsinn") habe sie unglaublich gefunden. Jene fast zu kriminalisieren, die ihr Leben zur Rettung anderer einsetzten, sei "wirklich abenteuerlich", sagte Lunacek: "Wenn Herr Kurz diesen Weg weitergeht, dann nicht mit mir."

Die FPÖ in der Regierung will die Grüne schon deshalb verhindern, weil sie sich an deren letzte Regierungsbeteiligung noch gut erinnere. "Was Schwarz-Blau damals angerichtet hat, beschäftigt die Gerichte bis heute." Nun habe Strache wohl Anleihen an Donald Trumps Positionen in den USA genommen. Dass er am menschengemachten Klimawandel zweifle und vom Weinbau in Grönland rede, sei "einfach jenseits".

"Wirklich enttäuscht" ist Lunacek auch von der Zäsur in der SPÖ, denn die "Vranitzky-Doktrin" der Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der FPÖ für obsolet zu erklären, sei "wirklich ein Tabubruch". Dies werte Strache auf, "das kann ich nicht gutheißen". Wer das auch so sehe, solle "ein Stück des Weges mit den Grünen gehen".

Inhaltlich will Lunacek im Wahlkampf auf eine lebensnahe Sozialpolitik, Armutsbekämpfung, leistbares Wohnen und eine "Umweltpolitik, die den Namen verdient" setzen. Die Verbindung Soziales und Ökologie sei den Grünen schon lange wichtig, Stichwort "Green Jobs". "Es geht nicht einfach nur um die Regierung. Es geht darum, eine Politik zu machen, die zukunftsorientiert ist", sagte sie.

Beim Bundeskongress kommenden Sonntag in Linz erwartet sich Lunacek für ihre Spitzenkandidatur "ein sehr gutes Ergebnis", ohne eine Prozentzahl zu nennen. "Ich erlebe eine Aufbruchstimmung, einen Ruck durch die Partei nach den vergangenen schwierigen Wochen und Monaten. Das möchte ich mitnehmen in einen tollen Wahlkampf." Die neue Ämtertrennung - Bundessprecherin der Partei wird nach Eva Glawischnigs Rücktritt Ingrid Felipe - sei sehr positiv aufgenommen worden.

Entspannt gibt sich Lunacek in Hinblick auf jene Akteure in der Partei, die von einer Mitstreiterin jüngst als "Uga-Uga-Männer" bezeichnet worden sind. "Die gibt es überall in der Gesellschaft, das ist nichts Grün-Spezifisches", meinte sie: "Ich sehe das gelassen." Bei den Grünen gebe es aber viele Frauen, die etwas zu sagen haben. "Es kann sein, dass es mehr auffällt, wenn es da Kritik an manchen Männern gibt, die sich mit starkem Getöse nach vorne drängen."

Mit Sicherheitssprecher Peter Pilz etwa habe sie kein Problem, "er leistet ausgezeichnete Arbeit, so wie viele andere auch". Die Partei sei breit aufgestellt, "Pilz allein ist nicht die Grünen".

Keine große Umstellung wird für Lunacek der Wechsel nach Österreich. Sie und ihre Lebensgefährtin, die weiter in Brüssel arbeiten wird, seien schon immer gependelt, beide seien an eine Fernbeziehung gewöhnt, so Lunacek, die von 1999 bis 2009 Nationalratsabgeordnete war. In Wien lebe sie seit 20 Jahren in der selben Wohnung, groß übersiedeln müsse sie also nicht.

Die Grünen stellen kommenden Sonntag (25. Juni) die personellen Weichen für die Nationalratswahl im Oktober. Auf einem Bundeskongress in Linz wird Lunacek zur Spitzenkandidatin und Felipe zur Bundessprecherin gewählt; beide als Nachfolgerinnen von Eva Glawischnig. Auch die weiteren Plätze auf der Bundesliste werden vergeben.

Die Tagung der Grünen findet im Linzer Design Center statt, Start ist um 10 Uhr. Los geht es mit der Kür der obersten Parteifunktion, für die der Erweiterte Bundesvorstand (EBV) im Mai einstimmig Felipe, seit 2013 Landeshauptmann-Stellvertreterin in Tirol und seit 2016 Vize-Parteichefin, nominiert hat.

Messen lassen muss sich Felipe an den Ergebnissen ihrer Vorgängerin: Eva Glawischnig kam bei ihrer ersten Wahl zur Bundessprecherin im Jahr 2009 auf 97,4 Prozent der Delegiertenstimmen, beim letzten Mal 2015 nur noch auf nicht ganz 85 Prozent. Deren Vorgänger Alexander Van der Bellen übersprang nur einmal, 2002, die 90-Prozent-Hürde. Am schlechtesten schnitt auch er beim letzten Antreten an. Das war 2008 mit 81 Prozent Zustimmung.

Auf die Wahl der Parteichefin folgt beim Bundeskongress dann die Vergabe der Plätze auf der Bundesliste. Bei der vergangenen Nationalratswahl 2013 konnten die Grünen auf diesem Weg sechs Mandate ergattern, wobei es die Kandidaten bis Bundeslistenplatz 9 ins Parlament schafften, weil Glawischnig, Werner Kogler und Gabriela Moser auf Landes- bzw. Regionalwahlkreismandaten einzogen.

EU-Mandatarin Lunacek kandidiert für Platz eins, auch sie hat dafür die einstimmige Empfehlung des EBV. Spitzenkandidatin ist sie ebenso auf der Wiener Liste. Für Platz 2 auf der Bundesliste hat sich Kogler angemeldet. Auch Aufdecker und Eurofighter-Fighter Peter Pilz will es wieder ins Parlament schaffen, wobei er zuletzt offengelassen hat, auf welchen Platz er Anspruch erhebt. Grundregel bei den Grünen ist die Geschlechterparität auf den Listen, wobei das nicht im Reißverschluss erfolgen muss.

Vorgängerin Lunaceks als Spitzenkandidatin war 2013 Glawischnig mit 94 Prozent Zustimmung. Dies war ihr einziges Mal als Nummer 1, davor war es vier Mal Van der Bellen. Sein Bestwert waren 2002 95,2 Prozent, den schlechteste mit 84,6 Prozent fasste er bei seiner letzten Nationalratswahl 2008 aus.