Wien. FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache ist "keine gespaltene Persönlichkeit" stellte Norbert Hofer am Mittwochvormittag fest. Konkret meinte er damit, dass er alleine als Listenzweiter anstelle des Parteichefs oder eines Duos das freiheitliche Programm zur Nationalratswahl präsentierte. Strache besuchte zur gleichen Zeit die Klagenfurter Herbstmesse.
Also stellte der Noch-Dritte-Nationalratspräsident zahlreiche der 100 Forderungen "zur Beseitigung der Fairness-Krise" im 25 Kapiteln umfassenden Programm vor. Der Rundumschlag reicht quer durch alle Politikbereiche: Abgesehen von einem Verbot des "politischen Islams" und Islamkindergärten, weniger Geld für Flüchtlinge, Integration und Sozialleistungen für Zuwanderer erst nach fünf Jahren fordern Hofer und das FPÖ-Wahlprogramm vor allem mehr. Die Rede ist von mehr Entlastung der Familien, 1500 Euro Mindestlohn, mehr Geld für Zivildiener, Pflege, Bildung, Infrastruktur, die Exekutive und das Bundesheer.
Anders als das FPÖ-Wirtschaftsprogramm, wo an manchen Stellen auch Kosten-Rechnungen angestellt wurden, bleibt das Wahlprogramm solche schuldig. Auch Hofer nennt bei der Präsentation nur an wenigen Stellen konkrete Zahlen - und auch da scheinen nach Expertenmeinung Zweifel angebracht.
Geplante Pflegereform
Der Titel von Kapital eins im Programm lautet zwar: "Unsere Grenzen sichern - Österreich ist kein Einwanderungsland." Trotzdem nennt Hofer "mehr direkte Demokratie als den "wichtigsten Punkt" seiner Partei und Koalitionsbedingung. Dann aber folgt das Gesundheitssystem als Punkt von "hoher Bedeutung": "Jeder von uns ist Patient, wenn sie in den vergangenen Monaten einen Arzt besucht haben, werden Sie festgestellt haben, dass wir im Gesundheitssystem Probleme haben", sagt Hofer. Er spricht von jungen Ärzten, die nach ihrem Studium das Land verlassen, Gangbetten und Mehrklassenmedizin.
Was gibt es laut FPÖ-Ansicht zu tun? Die Zusammenlegung der Krankenkassen, die 800 Millionen Euro bringen soll, die Hofer allgemein gesagt dem medizinischen Personal und den Patienten zur Verfügung stellen würde. Eine bessere Auslastung von MRT-Geräten und einer Umschichtung von Akut- in Pflegebetten. Denn: Österreich habe beinahe doppelt so viele Akutbetten pro Einwohner als im EU-Durchschnitt. 4,75 Milliarden Euro an Reibungsverlusten seien im Gesundheitssystem zu heben, um so mit einer "klugen Gesundheitsreform" die Pflege zu finanzieren.
So weit, so sinnvoll, meinen auch Wifo-Pflege-Expertin Ulrike Famira-Mühlberger und Kai Leichsenring, Wissenschafter und Executive Director beim "European Centre for Social Welfare Policy and Research". Es ist aber auch ein Punkt, an dem sich zeigen lässt, dass das Mehr an Leistung die Steuerzahler mehr belasten könnte, als die FPÖ angibt.
Neue Genossenschaft
Im Programm sind allerdings auch die jährliche Valorisierung des Pflegegelds, ein Ausbau der stationären Einrichtungen und eine bessere Bezahlung für medizinische und Pflegeberufe notiert. Hofer ergänzt das um eine Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung, die die FPÖ schaffen will. In diese solle nicht nur die aktuelle mobile Pflege, sondern auch die 24-Stunden-Betreuung inkludiert werden. Denn das sei laut Experten keine selbständige Tätigkeit, sagt Hofer: "Wenn es zu einer Klage auf Anstellung kommt, wird das sehr teuer."
Teuer dürfte aber auch die Anstellung der 24-Stunden-Betreuer werden. 2014 waren knapp 70.000 selbständige Personenbetreuer in Österreich gemeldet. Aktuell sind es meist zwei, die sich die Arbeit bei einem zu Pflegenden teilen. Da bei Angestellten aber das Arbeitsgesetz gilt, müsste sich die Anzahl auf drei bis vier erhöhen. Bei einem durchschnittlichen Bruttogehalt von 2150 Euro monatlich für "Heimhelferinnen, von dem man zumindest ausgehen müsste", wie Kai Leichsenring erläutert, kostet alleine die Anstellung 3,2 bis 4,2 Milliarden Euro jährlich. Und: "Man müsste erst mal so viele Pflegekräfte finden", sagt Leichsenring.
Unterschätzte Kosten
Hofer geht zwar von einer Steigerung der Pflegekosten von derzeit 1,3 auf 3,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Das Wifo aber prognostizierte ohne teure Systemänderung ein Plus von 360 Prozent auf neun Milliarden Euro bis 2050 der öffentlichen Kosten. "Das ist ein falscher Wert", meint Hofer. "Das klingt nach viel", sagt dagegen Famira-Mühlberger: "Tatsächlich sind wir von einer Kostensteigerung um zwei Prozent jährlich ausgegangen, weit weniger hoch als sie in den vergangenen Jahren tatsächlich war." 2015 gaben die Bundesländer zum Beispiel im Durchschnitt um 6,8 Prozent mehr für Pflege aus als im Jahr davor.
Hofer geht aber ohnehin nicht davon aus, dass alles, was die FPÖ jetzt ankündigt, Bestand haben wird: "Wir werden uns nach den Regierungsverhandlungen nicht hinstellen und sagen, wir haben alle unsere Punkte umgesetzt. Wir werden unsere Arbeit nicht mit einer Lüge beginnen." Korrekturen hat die FPÖ übrigens schon im Vergleich zum vor kurzem präsentierten Wirtschaftsprogramm vorgenommen. Da war noch von 1700 Euro Mindestlohn die Rede, nun sind es 1500 Euro.