Wien. Die Silberstein-Facebook-Sudelseiten-Geschichte ist selbst für erfahrene Wahlkampfbeobachter schwierig zu durchschauen. Sie fällt der SPÖ und Christian Kern auf den Kopf. Immerhin war es diese Partei, die Silberstein engagierte, der nicht gerade dadurch auffällt, besonders zimperliche Methoden anzuwenden.

Die Verwendung von rassistischen, antisemitischen Postings geht noch weit darüber hinaus. Nun erklärt die SPÖ, dafür keinen Auftrag gegeben zu haben. Ein Mitarbeiter in der SPÖ-Bundesparteizentrale hat aber davon gewusst - und zwar, weil ihn Tal Silberstein in eine WhatsApp-Gruppe aufgenommen hat. Dieser Mitarbeiter ist nach einem Radunfall seit längerer Zeit in Krankenstand.

Mysteriöse SPÖ-Vorgänge

Die Frage der ÖVP, warum denn Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler zurückgetreten sei, wenn die SPÖ mit den Seiten "Wir für Sebastian Kurz" sowie "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" nichts zu tun habe, ist berechtigt.

Dem Vernehmen nach bestand auch Christian Kern darauf, da Niedermühlbichler Wahlkampfleiter war - und unter seiner Führung Mitarbeiter ein Eigenleben entwickelten, das nun der SPÖ auf den Kopf fällt. Niedermühlbichler selbst unterstützte einen Blog "Politiknews.at", der SPÖ-Inhalte transportierte, der aber auch Mitte August offline ging, als Kern die Verbindung mit Silberstein nach dessen Verhaftung in Israel kappte. Dass die Gruppe, die nicht nur die beiden genannten Anti-Kurz-Facebook-Seiten, sondern auch noch eine Fake-Seite "Die Wahrheit über Christian Kern" betrieb, in der wenig Schmeichelhaftes über den SPÖ-Vorsitzenden verbreitet wurde, macht die Sache noch mysteriöser. "Wir bezahlen doch nicht für einen Wahlkampf, der mich und meine Familie verunglimpft", sagte Christian Kern.

ÖVP-Werber im SPÖ-Team

Ins Absurde gleitet diese Schmutz-Geschichte ab, wenn man versucht herauszufinden, wer all diese Seiten finanzierte. Eines scheint jedenfalls sicher: Der kolportierte Betrag von 500.000 Euro ist viel zu hoch geschätzt (und eine reine Mutmaßung von Medien), aber auch für den korrekten Betrag gibt es laut SPÖ keinen Auftrag. "Der Auftrag an Tal Silberstein hat diese Aktivitäten niemals eingeschlossen, wir wissen nicht, wer das bezahlte", ist aus der Bundes-SPÖ zu hören. Die ÖVP, die eine Entschuldigung von Christian Kern verlangt, kommt nun selber ins Zwielicht.

Bei der ATV-Debatte am Sonntagabend sprach Sebastian Kurz von einem zwölfköpfigen Team, das über Facebook reichlich Schmutz verbreitete. Kern stellte ihn ob dieser Aussage, da er selber über keine Details dieses "Silberstein-Teams" verfüge, und auch sonst niemand in der SPÖ.

Woher Kurz diese Information hatte, ist nach wie vor unbeantwortet. Die ÖVP sprach vielmehr davon, dass es keine "Opfer-Täter-Umkehr" geben dürfe. Faktum ist, dass der "Leiter" dieses angeblichen SPÖ-Teams, Peter Puller, über eine lupenreine ÖVP-Vergangenheit verfügt. Er stammt aus der steirischen Volkspartei, war 2009 (übrigens gemeinsam mit dem jetzigen Kurz-Sprecher Fleischmann) leitend im ÖVP-Bundespressedienst tätig, Kabinettschef der damaligen Justizministerin Beatrix Karl und auch bei der PR-Agentur Hofherr tätig. Hofherr ist vor allem im ÖVP-Umfeld tätig, etliche ehemalige Hofherr-Mitarbeiter sitzen heute als Pressesprecher in Ministerien und Landesregierungen. Wie so jemand in eine SPÖ-Kampagne kommt, ist eine der vielen Fragen, die man sich in der SPÖ derzeit stellt. Dem Vernehmen nach lernte Silberstein Puller während des Wien-Wahlkampfes 2015 kennen, als der die Wahlkampagne der Stadt-Neos leitete. Puller ist mittlerweile selbständig. In seinem Team, das die Sudel-Seiten mit teilweise rechtsextremen Inhalten befüllte, finden sich auch andere ehemalige Mitarbeiter der Wiener Neos. Eine davon betreibt auch einen Blog als "Sexpertin".

"Wir sind überzeugt, dass die ÖVP seit längerem über diese Gruppe Bescheid weiß, und nun die Bombe hochgehen ließ", ist aus der Bundes-SPÖ zu hören. Warum deren Funktionäre und Mitarbeiter hier - angeblich - keine genauen Informationen hatten, kann in der SPÖ niemand beantworten.

Kampagne mit Eigenleben

Nun soll SPÖ-Abgeordneter und Wirtschaftsprüfer Christoph Matznetter Aufklärung betreiben, um den immensen Schaden für die Kanzler-Partei zu reduzieren, aber eines ist nach etlichen Gesprächen mit SPÖ-Funktionären klar. Die Wahlkampagne der Sozialdemokraten krankte von Beginn weg an einem strukturellen Problem: Zwischen Parteizentrale und dem Kern-Kabinett im Bundeskanzleramt herrschte tiefes Misstrauen. Weder über Strategie noch über Methodik des Wahlkampfes gab es Einigkeit - und in dieser sogar feindseligen Stimmung innerhalb der Partei konnten sich "Parallel-Strukturen", wie es Georg Niedermühlbichler nannte, etablieren.

Im Klartext: Tal Silberstein und die von der SPÖ beauftragte Werbeagentur führten ein beträchtliches Eigenleben. "Uns wurde immer gesagt, dass alles in Ordnung sei", sagte ein SPÖ-Vorstandsmitglied, das anonym bleiben wollte. Seit den Veröffentlichungen über die Facebook-Hassseiten in "Die Presse am Sonntag" und "profil" ist klar, dass nichts in Ordnung war. Unbekannt ist, woher die beiden Medien die Informationen zugespielt bekamen, die SPÖ vermutet die Volkspartei dahinter. Deren Generalsekretärin Elisabeth Köstinger (eine Kärntnerin) soll - so der Kärntner SPÖ-Landesgeschäftsführer Daniel Fellner - schon mehrere Tage davor von einem bevorstehenden "Super-GAU" für Christian Kern gesprochen haben.