Wien. Korrekt ist die FPÖ. Korrekt und höflich. In letzter Zeit sogar ein bisschen staatstragend. Doch damit hat sich das Lob der politischen Konkurrenz für die Freiheitlichen im 3. Bezirk auch schon erschöpft.
"Sie sind schon extrem", lautet der Tenor aus dem Bezirksparlament. Die FPÖ Landstraße genießt einen besonderen Ruf. Ihre Anhänger sind die Enfants terribles in Wiens blauer Familie. Während sich die FPÖ-Führung im artigen Auftritt versucht, um die breite Masse von der eigenen Regierungsfähigkeit zu überzeugen, verfolgt man in der Landstraße unbeirrt den Kurs der missverstandenen "Einzelfälle".

Da wird schon einmal vor Flüchtlingskindern vor einem Asylheim demonstriert, mit NS-ähnlicher Rhetorik auf der eigenen Homepage informiert oder gegen die Benennung einer Schule nach dem verstorbenen NS-Opfer Friedrich Zawrel mobilgemacht. Manchmal marschiert man sogar mit Rechtsextremen auf deren Veranstaltungen mit.
Sind das Einzelfälle? Oder ist die FPÖ Landstraße tatsächlich radikaler als andere blaue Bezirksparteien? Und gibt sie gar die ideologische Stoßrichtung in der Partei vor?
"Wir sind alles andere als radikal. Anderslautende Meinungen der politischen Konkurrenz sind vor allem im Wahlkampf nicht wirklich überraschend, interessieren uns aber herzlich wenig. Wir scheuen uns jedoch nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Beschwerden, die uns Bezirksbewohner aus Angst vor Nachteilen oft nur hinter vorgehaltener Hand und unter Zusicherung der Anonymität zutragen, bringen wir zum Ärger der rot-grünen Schönfärber an die Öffentlichkeit. Das gefällt natürlich nicht jedem", nimmt Dietrich Kops, der geschäftsführende Bezirksobmann der FPÖ Landstraße und Gemeinderat, via E-Mail Stellung.
Offiziell dürfen die freiheitlichen Bezirksräte für diesen Artikel mit der "Wiener Zeitung" nicht sprechen. Das hat ihnen die Pressestelle der Partei untersagt. Alle Fragen werden zentral geregelt. Zu heikel sei der aktuelle Wahlkampf, lassen einige wissen. Schließlich ist die Landstraße nicht irgendein Bezirk. Es ist der Heimatbezirk des FPÖ-Obmanns Heinz-Christian Strache.
Jüngster Bezirksparteiobmann der FPÖ
In der Keinergasse, nahe der U3-Station Kardinal-Nagl-Platz, ist der Parteichef aufgewachsen. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr hat er hier gelebt. Dann hat ihn seine Mutter, eine alleinerziehende Drogistin, ins Internat geschickt hat. Heute weiß jeder in der Gasse um den politischen Promi. Man kennt seine Mutter, ihr Stammlokal, grüßt sie, plaudert mit ihr – über alles, nur nicht über den Sohn. Das gehört sich nicht. Der guten Nachbarschaft wegen.

In der Landstraße begann Straches politische Karriere. Hier wurde er als junger Zahntechniker angefixt von Herbert Güntner, dem ehemaligen Obmann der FPÖ Landstraße, einem Zahnarzt, den er beim Ausliefern von Prothesen, Implantaten und Kronen kennenlernte.
1989 trat Strache den Freiheitlichen bei, wenig später wurde er zum Bezirksrat gewählt und 1993 zum Obmann der Bezirksgruppe, mit 23 Jahren der jüngste Bezirksparteiobmann, wie der damalige Landesparteiobmann Rainer Pawkowicz lobend erwähnte. Bis heute amtiert Strache als Bezirkschef.
20,8 Prozent konnte seine Partei bei den vergangenen Bezirksvertretungswahlen 2015 einfahren. Auf Platz 2 ist die FPÖ damit gelandet, hinter der SPÖ. Die grüne Vizeregentschaft war damit Geschichte. Nun stellen die Freiheitlichen mit dem Juristen Werner Grebner, den zweiten Bezirksvorsteherstellvertreter.
Staatsmännischer sei die Partei seither geworden, beobachten die Konkurrenten im Bezirksparlament. Die Nähe zur Macht habe sie milder gemacht. Zumindest im Auftritt. In der Sache seien sie jedoch alles andere als moderat. Selbst blaue Bezirksräte aus anderen Bezirken schütteln den Kopf über die Kollegen in der Landstraße. So wie im Juni 2015. Damals demonstrierten rund 20 Funktionäre und Sympathisanten mit Schildern "Nein zum Asylantenheim" auf der Erdberger Straße für die Schließung einer Flüchtlingsunterkunft. Es war ein Bild, das die Bezirksgruppe in Bedrängnis brachte. Ein "Kurier"-Fotograf hielt den Moment fest, als ein syrischer Bub mit seinem Vater an den Demonstranten vorbeiging. Er stellte das Bild auf Twitter. Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten.
"Schande für Österreich", ließen die Poster wissen. Man war schockiert von der "widerlichen" Aktion. Der FPÖ-Konter blieb nicht aus: Inszeniert soll die Aufnahme gewesen sein. Der politische Gegner würde da Kinder für seine Zwecke instrumentalisieren.
Zentrale rückt zur Schadensbegrenzung aus
Die Aufregung ließ nicht nach. Ein paar Tage darauf wurden die Medien auf die Homepage der FPÖ Landstraße aufmerksam. Dort wurden in einem Eintrag zum Thema "Überfremdung" folgende Forderungen aufgestellt: So sollte Asyl nur noch jenen Menschen aus "Gebieten der Kronländer der ehemaligen Habsburgermonarchie" sowie "Staatsangehörigen der an Österreich angrenzenden Staaten" gewährt werden. "Bisher legal aufhältige Fremde", die nicht aus den oben genannten Gebieten stammen oder Schlüsselarbeitskräfte seien, sollten "rückgeführt" werden. Sämtliche "bisherige Zuerkennungen des Asylantenstatus an Angehörige anderer Staaten" seien aufzuheben, "laufende Asylverfahren für den genannten Personenkreis" seien "unverzüglich einzustellen". Während der Asylverfahren sollten Asylwerber "in gesonderten Zentren, die sie nicht verlassen dürfen", untergebracht werden.
Der Eintrag wurde sofort nach Öffentlichmachung gelöscht. Der damalige FPÖ- Landesparteisekretär Hans-Jörg Jenewein distanzierte sich von den Inhalten und verwies in einem Interview mit dem "Standard" darauf, dass es sich um die Privatmeinung eines Funktionärs handle.
"Skandalös", Schule nach NS-Opfer zu benennen
Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass die Wiener Parteizentrale bei der FPÖ Landstraße zur Schadensbegrenzung ausrücken musste. Im Juni 2016 wehrte sich die Bezirksgruppe lautstark gegen die Benennung der Neuen Mittelschule Hörnesgasse nach Friedrich Zawrel. Der 2015 verstorbene Zawrel überlebte als Kind die von den Nationalsozialisten eingerichtete Euthanasieanstalt "Am Spiegelgrund" und war maßgeblich daran beteiligt den NS-Arzt Heinrich Gross vor Gericht zu bringen.

Der zweite Bezirksvorsteherstellvertreter, Werner Grebner – der auch schon einmal auf einer Pegida-Demonstration in Wien teilnahm – fand diese Art der Würdigung "skandalös." In einer Aussendung gab er zu bedenken, dass Zawrel in der Zweiten Republik "wegen Einbrüchen und Diebstählen vier Mal – und zwar 1946, 1958, 1965 und 1975/1976 – vor Gericht stand und dabei zu insgesamt 17,5 Jahren Haft verurteilt wurde, von denen er auch 13 Jahre abgesessen hat, zuletzt bis 1981".
"Als Namensgeber für eine öffentliche Pflichtschule ist man mit einer solchen Biographie aus Einbruch, Diebstahl und Hehlerei jedenfalls völlig ungeeignet", kommentierte sein Kollege Dietrich Kops in derselben Aussendung den anstehenden Festakt. Dass Zawrel nach seiner letzten Haftentlassung mit über 50 Jahren doch noch zurück auf den rechten Weg gefunden habe, ließe ihn bestenfalls als Namenspatron für eine Bewährungshilfeeinrichtung geeignet erscheinen, ließen die beiden Männer abschließend wissen. Dieses Mal lag es an dem neuen FPÖ-Landesparteisekretär, Toni Mahdalik, die Gemüter zu beruhigen. Er räumte ein, dass die FPÖ im Geiste mit dabei sei, die Schule nach Zawrel zu benennen, und gab auch zu Protokoll, dass Zawrel ein "unglaublich schweres" Leben gehabt habe. Die FPÖ würdige sehr wohl, dass er etwa dazu beigetragen habe, dass der NS-Arzt Heinrich Gross angeklagt worden sei. "Wir sind nicht die Ewiggestrigen", beteuerte er damals in einer Stellungnahme.
Identitäre Bezirksrätin wird nicht ausgeschlossen
"Wir haben nichts Falsches gesagt. Das war historisch korrekt. Wir wollten nur alle Seiten beleuchten", kontert heute ein Bezirksrat der FPÖ Landstraße zur Zawrel-Affäre. Trotz offiziellem Sprechverbot der Parteiführung ist er bereit, sich anonym zu ein paar Dingen zu äußern. "Man muss aufhören, uns immer in dieses rechte Eck zu rücken", sagt er.
Doch dass sie es selbst immer wieder suchen, beweist auch der Fall Katharina Walter. Die junge Bezirksrätin sympathisiert ganz offen mit der "Identitären Bewegung", jener Gruppe, die vom Österreichischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. So gibt es Bilder von Walter, die zeigen, wie sie auf Demonstrationen der Gruppe mitmarschiert, gar die Flagge der Bewegung trägt. Zuletzt auch bei einer Veranstaltung der Gruppe in Berlin in diesem Sommer, wie antifaschistische Blogs dokumentierten.
In der FPÖ hat man ein ambivalentes Verhältnis zu den "Identitären". Eine klare und vor allem geschlossene Abgrenzung von den Rechtsextremen gibt es nicht. So teilte Parteichef Strache im April 2016 auf Facebook ein Werbevideo der Gruppe und fand lobende Worte für deren "friedlichen Aktionismus". Andere Parteianhänger distanzierten sich deutlich von der Gruppe. Am schärfsten der ehemalige FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer im Mai 2016: "Ich habe die Befürchtung, dass sich die in eine Richtung entwickeln, die für Österreich gefährlich sein könnte. Da sage ich gleich von Anfang an, dass ich mit dieser Gruppe nichts zu tun haben will."
Auch der freiheitliche Bezirksrat in der Landstraße distanziert sich von Walters Identitären-Engagement: "Es liegt nicht an mir, diese Bewegung zu definieren, aber ich distanziere mich davon und finde es nicht okay." Ob es Konsequenzen für die identitäre Bezirksrätin gebe? Gar einen Ausschluss aus der Partei? "Das müssten die Vorstandsgremien entscheiden", sagt er. Ein Ausschluss von Katharina Walter wird nicht erwogen, schließlich habe sie lediglich von ihrem verbrieften Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht hat, lässt sein Kollege Dietrich Kops via E-Mail wissen.
"Man soll aufhören, uns in dieses Eck zu stellen"
Der freiheitliche Bezirksrat, der anonym bleiben möchte, zuckt mit den Schultern. Ein klares ideologisches Muster will er hinter all den aufgezählten Fällen nicht erkennen. Dass es genau diese Aktionen und Aussagen sind, die daran zweifeln lassen, dass die FPÖ tatsächlich mit dem Ewiggestrigem nichts zu tun haben soll, versteht er nicht. Er schüttelt den Kopf und appelliert noch einmal: "Man soll aufhören, uns in dieses Eck zu stellen."
Mit dem Ewiggestrigem muss endlich Schluss sein. Darin sind sich alle Seiten einig. Die FPÖ und ihre Kritiker. Jetzt müssen sich nur alle daran halten. Insbesondere in Straches Heimatbezirk.