Wien. (jm/dab/sir) Bald könnte sie endgültig Geschichte sein: Die gut ein Jahrhundert alte Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten steht am Donnerstag auf der Tagesordnung des Nationalrates. Drei Tage vor der Wahl tagt er ein letztes Mal in der gegenwärtigen Zusammensetzung. Geht es nach einem SPÖ-Antrag, sollen letzte Unterschiede beseitigt werden. Ob eine Mehrheit gefunden werden kann, ist aber fraglich.
Die SPÖ fordert bereits seit Jahren die Angleichung. Im Wahlkampf hat das Dauerthema an Dynamik gewonnen, denn auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat die Schaffung eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffs in sein Programm geschrieben. Die SPÖ reagierte, brachte einen Abänderungsantrag ein und will nun noch vor der Wahl einen Beschluss. Doch der wird wohl nicht zustande kommen, weshalb nun beide Parteien versuchen, die jeweils andere für das Scheitern in Verantwortung zu ziehen.
Beim Duell auf Puls 4 mit Bundeskanzler Christian Kern hatte Kurz gefordert, dass im Gegenzug für die Gleichstellung auch die Arbeiter- und Angestelltenbetriebsräte in den Unternehmen zusammengelegt werden. Das ist auch in seinem Wahlprogramm vermerkt. Kern stimmte dieser Forderung auf Sendung auch zu. Im Abänderungsantrag von Mitte September ist dieser Punkt aber nicht enthalten und kann auch nicht mehr in so kurzer Zeit ergänzt werden, heißt es aus Kreisen der SPÖ.
ÖVP gibt sich wortkarg
Bei der ÖVP gibt man sich wortkarg und verweist darauf, dass man noch in Verhandlungen sei. Man wolle niemandem etwas über die Medien ausrichten und sich nicht zu Details äußern. Ähnliches hört man aus der FPÖ. Sie erklärte am Montag, dass sie das Anliegen zwar grundsätzlich unterstütze. Man wolle aber noch den Text, der zur Abstimmung steht, abwarten. Erst in der Klubsitzung der FPÖ-Mandatare werde eine Entscheidung gefällt.
Konkret gibt es bei den beiden Gruppen vor allem noch beim Kündigungsschutz und bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Unterschiede. Grundsätzlich beträgt die Kündigungsfrist bei Arbeitern zwei Wochen. Kollektivvertraglich kann die Frist noch verkürzt werden. In der Praxis finden sich bei einzelnen Berufsgruppen extrem kurze Fristen von nur wenigen Tagen. Bei den Angestellten beträgt die Frist hingegen sechs Wochen.
Die SPÖ will für Arbeiter eine zumindest sechswöchige Kündigungsfrist festschreiben. Das Dienstverhältnis soll nur mit Ablauf jedes Kalendervierteljahres gelöst werden können. Nach mehreren vollendeten Dienstjahren soll die Frist steigen. Ungünstigere Vereinbarungen sollen nicht zulässig sein. Die Arbeiter selbst sollen zumindest eine einmonatige Kündigungsfrist, zum jeweils Monatsletzten, einhalten müssen. Weiters soll es für Angestellte etwa im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Verbesserungen geben.
Unterschiedliche Ansichten gibt es auch auf die Frage, wie viel diese Reform kosten wird. Laut SPÖ liegen die Gesamtkosten für die Reform bei 100 Millionen Euro. Rund 75 Millionen sollen auf die Angleichung der Kündigungsfristen entfallen. Diese sollen erst mit 1. Januar 2021 in Kraft treten. Weitere 25 Millionen soll die Neuregelung der Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung aus persönlichen Gründen kosten. Die SPÖ verweist darauf, dass ab 1. Januar 2018 die Beiträge der Unternehmen zum Familienlastenausgleichfond gesenkt werden. Das soll den Unternehmen im Gegenzug 180 Millionen bringen.
Wirtschaft bleibt kritisch
Die Wirtschaftskammer nennt andere Zahlen. Rund 150 Millionen Euro an Kosten sollen alleine die Kündigungsfristen ausmachen. Und das sei noch eine vorsichtige Schätzung: "Sicher kann es noch mehr sein." Die Änderungen bei der Entgeltfortzahlung würden ungefähr 30 Millionen Euro ausmachen. Die Industriellenvereinigung geht von noch höheren Kosten aus. Sie schätzt, dass die rechtliche Angleichung "hunderte Millionen" Euro ausmachen wird. Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sehen die mögliche Angleichung kritisch. Sie verorten eine "Husch-Pfusch-Aktion" und wollen, dass die Sozialpartner in die Verhandlungen eingebunden werden.
Neben der Gleichstellung wird sich der Nationalrat auch mit dem Volksbegehren zu den Freihandelsabkommen Ceta und TTIP befassen. Es wurde Anfang 2017 von 562.379 Menschen unterschrieben. ÖVP, FPÖ und Neos wollen außerdem eine Schuldenbremse verfassungsrechtlich verankern. Bund, Länder und Gemeinden sollen grundsätzlich zu einem Nulldefizit verpflichtet werden. Die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit wird wohl nicht erreicht werden können: Die Grünen und SPÖ verweigern ihre Zustimmung.