Vor 50 Jahren ging Wahlkämpfen noch anders. Der Spitzenpolitiker ging mit seinen Helfern hinaus zu den Menschen, er sagte hier und da ein paar nette Worte und übergab ein Geschenk. Die Menschen freuten sich über diese Worte, öfter noch über das Geschenk. Ja, vielleicht haben diese Präsente die eine oder andere Stimme bewegt. Ein Umstand, der heute anachronistisch wirkt: Schließlich bringt uns das Internet-Zeitalter in den Genuss einer gewaltigen Informationsfülle. Andererseits: In einem Wahlkampf, der von Sudelkampagnen, Fake-News und Revanche-Fouls nur so strotzt, hat man wieder allen Grund, der Informationsherrlichkeit zu misstrauen. Darum nimmt die "Wiener Zeitung" an dieser Stelle jenes Geschenk genauer unter die Lupe, an dem sich die Wählerschaft auch in verwirrenden Zeiten festhalten kann - an den Kugelschreibern der Parteien.

Als Wahlgeschenk ist solch ein "Schreibgerät, das eine Tintenpaste mittels einer Kugel auf Papier überträgt" (Definition laut Internet-Lexikon Wikipedia) auch wahrhaft nicht zu verachten. Zumal ja ein tieferer Sinn in dem Geschenk steckt. Ein Kuli nämlich ist alltäglich in Gebrauch. So hat man stets vor Augen, welche Partei, bitteschön, man wählen soll. Der wahlkampfgeschenkte Kugelschreiber ist quasi die Essenz der Botschaft, er ist Anstupser und mahnendes Gewissen des politisch denkenden Menschen. Mit dem Kuli der Grünen das Kreuz bei den Neos machen? Mit dem Kuli der Neos die FPÖ ankreuzen? Oder gar mit dem SPÖ-Kugelschreiber die ÖVP des Sebastian Kurz wählen? Ja, dürfen tut man das fraglos. Ob es aber moralisch ist, das steht auf einem anderen Blatt. Wobei in der Wahlkabine auch zu bedenken ist: Wem man sein Kreuzchen schenkt, der sollte sich über Jahre als stabil und praxistauglich erweisen. Allein schon aus diesem Grund tut es Not, die Partei-Kugelschreiber auf ihre Eignung zu überprüfen. Deshalb haben wir sie einem Test auf Mine und Feder unterzogen.

Ob der Kuli der Grünenunter fairen, antisexistischen und CO2-neutralen Bedingungen hergestellt wurde, ist zwar nicht überliefert. Das Gerät, so steht darauf, ist jedenfalls "biodegradable". Wer nicht ganz firm in Grünsprech ist, dem sei gesagt: "biologisch abbaubar" heißt das. Der Druckkugelschreiber in Grasgrün trägt in blütenreinem Weiß das Grünen-Logo, auf rotem Grund prangt "GRUENE.AT". Die Mine schreibt übrigens blau, was den Partei-Slogan "Wir machen nicht blau" schon irgendwie unterläuft. Aber der Stift liegt gut in der Hand, hat ein Griff-Feld, das den Fingern Halt bietet, und schreibt mit wenig Widerstand. Ein Kugelschreiber, der Freude macht. Und: Ein Design, das mit Ecken und Kanten in Erinnerung bleibt - was man vom Grünen Wahlkampf nicht vollinhaltlich sagen kann.

Ein Einhorn, das die Politik zum Bunten und Besseren verändert, sucht man leider vergeblich auf dem Schreibutensil der Neos, auch sind darauf keine gehobenen Flügel angebracht. Und: Es findet sich hier keine Spiegelschrift, mit der die Partei ihre Plakatslogans verrätselt (warum eigentlich?). Kurzum: Das Schreibgerät der Neos kennt keine Fisimatenten. Rein optisch erzielt es dabei Höchstnoten, denn das Design dieses pinken Drehkugelschreibers ist einfach schnittig. Wer damit schreibt, fährt einen Bugatti, und wer einen Bugatti fährt, sollte sein Gefährt schleunigst in Richtung eines Neos-Events lenken, um diesen Kuli zu ergattern. Wobei das gute Stück vor allem als Accessoire besticht, leider weniger im praktischen Gebrauch. Auf der glatten Oberfläche drohen die Finger zu rutschen. Überhaupt liegt der Stift nicht optimal in der Hand.

Die SPÖist in diesem Test gleich mit zwei Kugelschreibertypen vertreten - wobei alles ein wenig kompliziert ist, um Fred Sinowatz zu paraphrasieren. Die rote Variante - sie wird im Wahlkampf verteilt - scheint ganz allgemein aus dem Hause SPÖ zu kommen; die weiße - sie ist nicht allgemein zugänglich - stammt offenkundig von der Parlamentsfraktion der Partei. Tatsächlich ist das Symbol des SPÖ-Parlamentsklubs aber auf beiden Schreibgeräten zu sehen. Das hat insofern Bedeutung, als die Geldmittel des Klubs nur für parlamentarische Arbeit verwendet werden dürfen, berichtete das Nachrichtenmagazin "profil" unlängst und stellte den roten Kugelschreiber an den Pranger; die SPÖ sieht ihr Verhalten dennoch als rechtens an. Aber konzentrieren wir uns aufs Ästhetische. Wer meint, in der SPÖ würden derzeit unterschiedliche Kräfte wirken, wird durch die Optik dieser beiden Schreibgenossen bestätigt. Da ist einerseits der Stift in der Parteifarbe, gefertigt aus durchsichtigem Plastik, so dünn, leicht und fragil anzusehen, dass man ihn einen Slimfit-Kuli nennen mag. Wobei: Das Drehgewinde ruckelt etwas, die Finger verlieren beim Schreiben an Halt; als Schreibutensil ist das Stück nur begrenzt tauglich. Was für ein Unterschied zum Parlamentsfraktions-Kollegen: In Weiß gehalten mit rotem Ansteckclip und Metallverstärkung an der Spitze prangt er wie ein klobiges Zepter, als ein Symbol der Macht. Er liegt solide in der Hand, schreibt blau und erweckt das Gefühl, seinen Besitzer auch bei haarigen Meetings gut zu schützen.

Der erste Kugelschreiber der "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" ist einem der Autoren beim ersten Schreibversuch um die Ohren geflogen - hin war die Verheißung des Neuen. Ein Materialfehler offenbar. Auch das nun gesichtete Objekt überzeugt nur begrenzt. Es ist zu fragil, zu leichtgewichtig, und auch wenn der Drehmechanismus sehr geschmeidig von links nach rechts läuft, hat man doch das Gefühl, dass er unter Druck zusammenbrechen könnte. Als einziger der getesteten Kulis schreibt er übrigens nicht blau, sondern schwarz. Sicher: Das durchsichtige Türkis mit dem Aufdruck "Ich bin dabei: www.sebastian-kurz.at" schmeichelt dem Auge. Die Finger aber verrutschen auf der glatten Oberfläche. Fazit: Ein Kuli mit etwas zu großen Ambitionen.

Der Beste am Schluss: Das Schreibwerkzeug der FPÖist der pure Luxus. In noblem, leicht durchsichtigem Blau vermag dieser Druckkuli auch eingefleischten Linken ein Kribbeln in den Fingern zu bereiten. Der Clip ist leicht abgesetzt in weißem Plastik, ein edler Metallbund umgurtet die Verschraubungsstelle, eine Grifffläche aus abrutschsicherem Material mit Ausnehmung sorgt für Wohlbehagen. Der Stift liegt überwältigend gut in der Hand, weil er auch massiver gebaut ist, und erzeugt ein flüssiges Schriftbild. Kurz: Was in Wagners "Ring des Nibelungen" das Schwert "Notung" ist, das ist unter den Parteikugelschreibern das Produkt der FPÖ. Vorgeschlagene Kugelschreiber-Koalition also: Grüne-FPÖ - eventuell mit einer Beteiligung der SPÖ-Parlamentsfraktion.