Wien. Es wird noch ein wenig dauern, bis wir aus diesem Wahlkampf schlau geworden sind. Das gilt für die Bürger wie die Parteien, die Berater wie die Journalisten. Weder existiert eine schlüssige Erklärung für das Phänomen Sebastian Kurz noch für den Selbstauflösungsprozess, der die SPÖ erfasst hat. Und was die Grünen angeht, so verstehen nicht einmal deren Funktionäre, wie es kam, dass plötzlich zweieinhalb grüne Listen kandidieren. Nur die FPÖ liegt da wie ein offenes Buch. Auch das ist kein kleines Wunder. Im Folgenden ein subjektiver Rückblick in fünf Akten.
1. Akt: Zwei Opfer, zwei Helden
In Österreich ist nie klar, wann ein Wahlkampf wirklich beginnt, und noch weniger, wann er endet. Diesmal spricht alles dafür, dass der Wahlkampf für die Nationalratswahl, die eigentlich im Herbst 2018 stattfinden sollte, kurz nach dem 1. Mai 2016 begann. Damals steht Werner Faymann als Kanzler und SPÖ-Vorsitzender längst unter Druck. Im Hintergrund wird am Machtwechsel gearbeitet. Nach Protesten gegen Faymann beim Mai-Aufmarsch geht es ruckzuck: Die SPÖ hebt ÖBB-Chef Christian Kern auf den Schild. Der Wahlsieg scheint nur mehr Formsache.
In der ÖVP haben Obleute traditionell nichts zu lachen. Das erfährt auch Reinhold Mitterlehner, der erst 2014 von den Parteitagsdelegierten mit 99,1 Prozent gewählt wurde. Mit der Kür Kerns ist Mitterlehner Obmann auf Zeit, hinter den Kulissen bereitet Außenminister Sebastian Kurz die Machtübernahme vor. Im Mai 2017 hat der Oberösterreicher genug von dem Theater, Kurz übernimmt die ÖVP und erklärt das Ende der Koalition.
2. Akt: Aufwärmen für die heiße Phase
Ab jetzt wird deutlich, wer von den beiden Regierungsparteien über eine Strategie verfügt. Die SPÖ ist es nicht. Zwar hat Kern bereits im Jänner mit seinem "Plan A" alle Weichen auf Wahlkampf gestellt, doch mit dem Sturz Mitterlehners und der Kür Kurz gerät die SPÖ-Kampagne ins Trudeln.
Das Ende der Koalition scheint die SPÖ zu überraschen, dabei sucht sie seit Monaten den besten Moment für einen Absprung. Dann will Kern Kurz ins Vizekanzleramt zwingen und muss doch den Justizminister akzeptieren; verärgert kündigt die SPÖ im Parlament ein freies Spiel der Kräfte an, schreckt aber vor den Folgen zurück. Erst Wochen später wagt die SPÖ zaghafte Beschlüsse gegen die ÖVP, und jetzt eben, drei Tage vor der Wahl, die Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten. Bis zu diesem Zeitpunkt hat es den Anschein, als ob das ein recht normaler Wahlkampf mit, für heimische Verhältnisse, überdurchschnittlich qualifizierten Spitzenkandidaten werden könnte.
3. Akt: Die Grünen wollen sich spüren
Eigentlich waren die Grünen längst zu einer normalen Partei geworden. Sie sitzen in fünf von neun Landesregierungen, und eben erst wurde ihr ehemaliger Bundessprecher zum Bundespräsidenten gewählt. Doch unterhalb der geschniegelten Oberfläche rumort es: Der Manager zu autoritär, die Themen zu angepasst, die Slogans zu glatt; und dann agitieren auch noch die Jungen gegen die Chefin, fliegen aus der Partei und schließen sich teils der KPÖ an. Im Mai reicht es Eva Glawischnig.
Der Rücktritt ihrer langjährigen Bundessprecherin erwischt die Partei völlig unvorbereitet. Mental wie politisch, schließlich hat die ÖVP gerade erst die Koalition aufgekündigt. Ingrid Felipe, die Chefin der Tiroler Grünen, folgt Glawischnig an der Parteispitze nach, die bisherige EU-Abgeordnete und Vizepräsidentin des EU-Parlaments Ulrike Lunacek wird Spitzenkandidatin.
Das Duo soll bei einem Bundeskongress Ende Juni in Linz gewählt werden. Doch in der Stahlstadt übernimmt Peter Pilz die Regie. Die Delegierten verweigern dem Veteranen aus der Gründergeneration der Partei den vierten Listenplatz. Eine lange und durchaus bunte Karriere scheint da zu Ende zu gehen. Doch Pilz geht in die Offensive und kandidiert mit einer eigenen Liste - und etlichen alten Kollegen für die Nationalratswahl. Yeahhhh, endlich wieder Politik nach Gefühl!
Bis zur Wahl kämpfen nun gleich zwei um ihr Überleben: Peter Pilz und die Grünen, nur nicht gemeinsam, sondern getrennt und auf eigene Rechnung.
4. Akt: Sozialdemokraten im Fegefeuer
Okay, der SPÖ-Wahlkampf hat bisher geholpert und gerumpelt, aber noch ist nicht wirklich etwas passiert. Das ändert sich nachhaltig Mitte August, als die Nachricht Österreich erreicht, dass SPÖ-Wahlkampfberater Tal Silberstein in Israel wegen Verdachts der Geldwäsche verhaftet wurde. Schnell trennt sich die Partei von dem Guru mit dem zweifelhaften Leumund und hofft so, den Schaden möglichst gering zu halten. Werch ein Illtum!, um mit Ernst Jandl zu sprechen.
In der ersten Septemberhälfte wird bekannt, dass Silberstein hinter dem Dirty Campaigning gegen Kurz und die ÖVP steht. Nun brechen alle Dämme, in der SPÖ und rundherum im Wahlkampf. In regelmäßigen Abständen werden Mails aus dem Herzen der SPÖ-Kampagne an die Medien gespielt. Als Quelle wird eine gekündigte Silberstein-Mitarbeiterin vermutet, als Verteiler die ÖVP. In der Folge gerät die Auseinandersetzung zu einer aggressiven und höchstpersönlichen Auseinandersetzung zwischen Kern und Kurz, in der der Untergriff zum neuen Standard wird. Wenige Tage vor der Wahl wird dann noch bekannt, dass womöglich Journalisten oberserviert wurden, um deren Quellen zu erfahren.
5. Akt: Nebelschwaden, wohin man blickt
Im letzten Akt des Wahlkampfdramas kann man nun die Hand vor den Augen nicht mehr erkennen. Wer ist Täter, Opfer, Nutznießer, Trittbrettfahrer, wer sind die Guten, wer die Bösen? All das wird in diesem Wahlkampf mit zunehmender Dauer völlig undurchsichtig. Und auch etliche Medien werden zur Partei im eigentlichen Wortsinn. Entsprechend schwerfallen Prognosen, wie die Wähler auf diese Vorführung in fünf Akten an den Urnen reagieren. Werden sie wütend strafen, barmherzig verzeihen, verachtend protestieren oder am Ende gar nur abwägend in die Zukunft schauen? Am 15. Oktober, kurz nach 17 Uhr, werden wir alles wissen. Und mit dem Aufräumen beginnen.