Mit Cem Özdemir und einem vollen Marx-Palast inklusive Bundeländer-Kandidaten versucht Lunacek aus dem Umfrage-Tief innerhalb von 36 Stunden noch gutes Wahlergebnis zu machen.
Die dicht gedrängte Menge aus Kandidaten und unterstützenden Aktivisten im Marx-Palast jubelt dem grünen Stargast aus Deutschland, Cem Özdemir, und der Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek zu. Nach gefühlten Minuten des Applauses und Jubel gehen die beiden von "I am, what I am", der Hymne des grünen Wahlkampfes, wie die Moderatorin sagt, schließlich doch durch die mit "Gemeinsam für Lunacek am 15. Oktober"-Plakaten ausgestatte Publikum zur Bühne.
Mitten unter ihnen ist auch eine noch unentschlossene 18-jährige Wählerin, Vanessa Rauter. Sie schwankt zwischen SPÖ und Grünen, sagt sie, interessiert "das Flüchtlingsthema, Pensionen, alles was meine Zukunft betrifft und Fairness".
Leicht entflammbar
Cem Özdemir startet in der "zweitschönsten Stadt nach Stuttgart", wo er die geplanten Lacher erntet, mit einer feurigen Rede, die so manchen österreichischen Grünen vermutlich vor Neid erblassen lässt. Doch daran denkt man in diesem Moment nicht: Man solle nicht in "Sottige" und "Sottige", was auf schwäbisch solche und solche heißt, trennen. Lunacek stehe für das Miteinander, den Klimaschutz, für Menschenrechte, für Europa: "8,4 Millionen Österreicher, das ist bedeutend. 80 Millionen Deutsche auch", sagt er zum Beispiel. Bei 1,3 Milliarden Menschen in China aber: "Da müssen wir uns in der EU zusammen tun, wir sind 500 Millionen Europäer. Das ist unsere Stärke, dafür steht Ulrike Lunacek, deshalb ist die grüne Stimme eine für ein starkes Österreich."
Lunacek gibt ihren Fans währenddessen Autogramme, dann ein Wahlkampfreplik-Video mit einer tanzenden, einer schwimmenden, einer radfahrenden, einer schunkelnden Spitzenkandidation. Zu sehen ist auch viel Leder, in Form von trachtigen Hosen, putzige Tiere, Kinder, die für Selfies hochgehoben werden. Dann ein launiges Interview auf der Bühne. Lunacek präsentiert die drei Themen Klimaschutz, Gleichberechtigung und Europa als die jene, die "uns und die Menschen da draußen interessieren".
Es ist ein durchorchestriertes Wahlkampf-Finale, für das wohl viel Hirnschmalz investiert wurde und Eindruck schinden soll. Bei dem auch nicht vergessen wurde, Eva Glawischnig als "einfache Basisgrüne, wie sie selbst sagt", dazu zu bitten. Das "Hallo Eva" der aktuellen Spitzenkandidatin scheint ehrlich überrascht. Auch ihr "Danke Eva" klingt aufrichtig.
Motivationsschübe
Die grüne Spitzenkandidatin will sich bei ihren Mitstreitenden aber nicht nur bedanken. Sie will, dass alle nochmals 36 Stunden "laufen, laufen, laufen", noch sei der Wahlkampf nicht vorbei. "Weil jede Stimme zääääääääählt", heißt es am Schluss. Manche der hier anwesenden lassen sich nicht von den schlechten Umfragewerten für die Grünen auch tatsächlich nicht demotivierten. Bezirksrätin Magdalena Wagner will Lunacek "bis zum letzten Moment unterstützen". An Umfragen glaubt sie nicht mehr, "die waren schon bei den vergangenen Wahlen nicht viel mehr als Kaffeesudleserei." Manche gehen dagegen von einem zweistelligen Ergebnis aus. So zum Beispiel Georg Piesch, ein bärtiger Typ im Wahlkampf-T-Shirt, dass sich mit seiner Tarn-Flecken-Hose farblich etwas beißt, wird genau das tun: Nochmals bei den Standeln draußen sein. Obwohl das Interesse an den Grünen erst mit dem Bundespräsidentschaftswahlkampf kam, ist der 63-Jährigen heute davon überzeugt, dass sich das lohnt: Elf Prozent tippt er. Auch Elisabeth Campestrini, die von den Grünen wegen der Europafrage, den Menschenrechten und dem Klimaschutz von den Grünen und wegen "Lunacek natürlich" überzeugt ist, geht als "pathologische Optimistin von einem zweistelligen Ergebnis aus.
Andere sind vorsichtiger, Walter Kogler zum Beispiel, der sich für die Partei im Waldviertel engagiert, weil er seiner Tochter Positives hinterlassen will, hofft, dass es nach dem Wahlsonntag "einen Aufbruch gibt". Daniel Landau, der als früherer Lehrer für die Grünen, in zahlreichen Schuldiskussionen war, glaubt das sich die Stimmung gedreht hat: "Anfänglich war ich skeptisch, aber jetzt: Da ist alles möglich." Der stellvertretende grüne Klubobmann Werner Kogler, sieht zwar Rückenwind durch hunderte Mails: "Da heißt es oft, wir brauchen euch. Ihr seid eine starke Stimme für den Umweltschutz." Als vermutliche Bandbreite für das Wahlergebnis gibt er vier bis sieben im Osten und sieben bis zehn Prozent im Westen an.
Vanessa Rauter weiß nach der Veranstaltung jedenfalls noch immer nicht, wen sie wählen wird. In einem hat Özdemir jedenfalls Recht: "Ihr müsst keine Umfragen gewinnen. Ihr müsst Wahlen gewinnen." Am Sonntag, um 17:00 ist dann klar, ob den Grünen das gelungen ist.