Wien/London. Zeitungen kommentieren die Hochrechnungen nach der Nationalratswahl in ihren Online-Ausgaben am Sonntag wie folgt:
"La Repubblica" (Rom):
"Österreich wendet das Blatt und bereitet sich darauf vor, die Machtverhältnisse in Europa auf den Kopf zu stellen. (...) Nachdem es ganz Europa 2016 in Atem gehalten hat, als die populistische Rechte knapp den Sieg bei der Präsidentschaftswahl verfehlt hatte, hat Österreich erneut die Aufmerksamkeit des ganzen Kontinents auf sich gelenkt. Die Rechten von Heinz-Christian Strache wollen in die neue Regierung einsteigen. Sie will Brüssel den Rücken kehren, um sich mit Budapest zu verbünden und die Macht des Visegrad-Quartetts zu steigern, die sich gegen eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik stemmen".
"Neue Zürcher Zeitung":
"Demokratiepolitisch ist diese Zuspitzung auf Persönlichkeiten in Österreich problematisch. Sie zeugt von der Sehnsucht nach dem grossen Befreiungsschlag, dem auch Sympathien für einen autoritäreren Politikstil innewohnen. Dies Kurz zum Vorwurf zu machen, wäre unfair. Und doch hat er nicht gezögert, daraus politisches Kapital zu schlagen. (...) Viele von Kurz' Ideen - eine effizientere Verwaltung, Steuerentlastungen und mehr Mitsprache des Volks - sind richtig. Sie sind allerdings meist nicht neu. Gehapert hat es stets an der Implementierung. (...) Die auf Kurz gesetzten Hoffnungen sind jedenfalls ähnlich gross wie das Potenzial für Enttäuschungen."
"Frankfurter Allgemeine":
"Seit Kurz handstreichartig (...) die ÖVP übernommen hat, hat er seine Partei völlig umgekrempelt und auf sich eingeschworen. Die Veränderung reicht viel weiter als das Umfärben von schwarz auf türkis und das Umetikettieren von ÖVP auf seinen Namen. Die eigentliche Revolution bestand in der Umgestaltung der alten (...) und von Regionalfürsten und Interessengruppen gegängelten ÖVP, die sich seit der Abwahl Wolfgang Schüssels vor zehn Jahren in stetigem Niedergang zu befinden schien, in eine straff geführte Politikmaschine. (...) Hinzu kommt die Anmutung einer jungen, unverbrauchten politischen Kraft. So konnte es Kurz gelingen, mit Parolen zu reüssieren wie 'Ein neuer Stil' oder 'Jetzt oder nie' - eigentlich ziemlich unverfroren für den Vorsitzenden einer Partei, die seit dreißig Jahren ununterbrochen regiert."
"Süddeutsche Zeitung" (München):
"Österreich ist noch weiter nach rechts gerückt. Der Anti-Ausländer-Wahlkampf, der sich gegen Flüchtlinge und EU-Bürger richtete, schlägt sich im Wahlergebnis nieder. (...) Weil sich Kurz zum 'Kopierbub', wie Heinz-Christian Strache ihn tituliert hat, entwickelt hat, rückte die FPÖ vor allem in der Schlussphase des Wahlkampfes noch ein Stückchen weiter rechts. Mit seiner Warnung vor Islamismus zog er durch das Land. Österreich hat gezeigt: Es geht immer noch ein bisschen rechter. (...) Das vermeintliche Zurückdrängen der rechten Stimmung im Land durch das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl, die im Dezember der grüne Kandidat Alexander Van der Bellen gegen den FPÖ-Politiker Norbert Hofer gewonnen hat, war ein Pyrrhussieg. Es zeigt sich: es gibt kein nachhaltiges Gegengift gegen den Rechtspopulismus.
"Tageszeitung (taz)" (Berlin):
"Die immer gleichen Stehsätze, die er (ÖVP-Chef Sebastian Kurz, Anm.) im Wahlkampf abspulte - Zuwanderung ins Sozialsystem stoppen, Mittelmeerroute schließen -, dürften aber viele potenzielle Wählerinnen und Wähler gelangweilt und genervt haben. Dennoch haben diese Wahlen die österreichische Politlandschaft zutiefst verändert. Die strukturelle rechte Mehrheit ist deutlicher geworden. (...) FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat so viel Kreide gefressen, dass viele nicht mehr wahrnehmen, wie viele Rechtsextreme sich in der zweiten und dritten Reihe tummeln. Für die Sozialdemokraten ist nach diesem Wahltag alles andere als die Opposition nicht denkbar."
"Daily Mail" (London):"Ein 31-jähriger österreichischer Politiker wird laut Hochrechnungen der weltweit jüngste Regierungschef, nachdem er versprach, alle Begünstigungen für Ausländer zu beschränken. Der Konservative, Sebastian Kurz, 31, ist drauf und dran, die Macht zu übernehmen und eine Koalition mit Rechtsaußen einzugehen. Neben seinem Versprechen zu den Kürzungen für Migranten will er die österreichische Bürokratie drastisch abbauen und die EU aus der nationalen Politik fernhalten. Das würde neue Kopfschmerzen für Brüssel bedeuten, während es sich noch mit dem Brexit, dem steigenden Nationalismus in Deutschland, Polen, Ungarn und anderswo quält."
"Guardian" (London):
Die österreichische Politik ist dabei, nach rechts zu kippen, weniger als ein Jahr, nachdem der Rechtsaußen-Präsident der Freiheitlichen Partei verhindert wurde. Die Partei geht nun als Königsmacher aus den Wahlen vom Sonntag hervor. Obwohl sie derzeit noch um den zweiten Platz hinter dem 31-jährigen Sebastian Kurz der ÖVP kämpft, hat sie es geschafft, großteils die Themen für den Wahlkampf - Migration und Angst vor dem radikalen Islam - zu diktieren, und profitiert vom 'Dirty Campaigning' aus den Reihen der traditionellen Parteien."