Wien. Die Briefwahlstimmen wurden ausgezählt und es bestehen kaum noch Chancen für die Grünen, im Nationalrat zu verbleiben: Sie kommen auf insgesamt nur 3,76 Prozent und konnten um 0,44 Prozentpunkte zulegen. Durch die rund 37.000 Wahlkarten, die am Donnerstag noch auszuzählen sind, bestehen zwar weiterhin noch theoretische Chancen, laut SORA wird sich das Ergebnis dadurch aber noch marginal verändern und werden demnach nach 31 Jahren aus dem Nationalrat fliegen. Die SPÖ liegt nun vor der FPÖ auf Platz zwei. NEOS und Liste Pilz sind sicher im Nationalrat vertreten.

Veränderungen haben die Briefwahlstimmen bei den Mandaten bewirkt: Die FPÖ hat nunmehr zwei weniger als im Sonntags-Ergebnis, nämlich 51 - und damit auch eines weniger als die SPÖ, die bei 52 blieb. Die ÖVP bekam noch eines (auf 62) dazu, ebenso die NEOS (auf 10). Die Liste Pilz wird acht Abgeordnete stellen.

Personelle Konsequenzen schon am Dienstag

Bei den Grünen dürfte es mit personellen Konsequenzen nun schneller gehen als erwartet. Dies war am Dienstag rund um den zu Mittag tagenden Bundesvorstand der aus dem Parlament ausscheidenden Partei zu hören. Für den späten Nachmittag luden die Grünen unter dem Titel "Personelles nach dem Bundesvorstand" zu einer Pressekonferenz in ihren Parlamentsklub ein. Politikexperten gingen zuletzt von einem Rückzug der grünen Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek aus. Die EU-Abgeordnete hatte sich ja schon während des jüngsten Wahlkampfes von ihren Kollegen und Mitarbeitern in Brüssel verabschiedet. Mit dem Ausscheiden der Grünen aus dem Parlament steht Lunacek nun ohne Mandat da. Ob sich neben Lunacek auch die Tiroler Grünen-Chefin Ingrid Felipe von der Doppel-Spitze als Bundessprecherin zurückzieht, war zunächst noch offen. Ihr Parteikollege Georg Willi riet Felipe am Dienstag, sich nach dem Wahldesaster im Bund ganz auf Tirol zu konzentrieren.

Rund 110 Mitarbeiter betroffen 

Noch vor dem Vorliegen des Wahlergebnisses inklusive Wahlkarten haben die Grünen mit der Abwicklung der Partei begonnen, die für die Partei den Abschied aus dem Parlament bedeutet. Am Montag wurden die Mitarbeiter darüber informiert, dass ihnen mit Ende der am 8. November endenden Gesetzgebungsperiode die Kündigung droht. Insgesamt sind rund 110 Mitarbeiter betroffen. Rund 90 dürfte es im Parlamentsklub der Grünen treffen, knapp 20 in der Bundespartei, wie zu hören war. Die Grünen müssen in den nächsten Wochen bis zur konstituierenden Sitzung des Parlaments auch ihre Klubbüros rund um das Parlament räumen.

Am Dienstag trifft sich der grüne Bundesvorstand zu einer Krisensitzung. Der Ort der Zusammenkunft wurde im Vorfeld streng geheim gehalten. Gestartet wird zu Mittag, für Nachmittag wurde ein Pressestatement angekündigt. Ob schon heute personelle Konsequenzen gezogen werden, ist offen. Am Freitag, wenn das vorläufige Endergebnis der Wahl inklusive aller Wahlkarten vorliegt, tagt dann der Erweiterte Bundesvorstand, an dem auch die Ländervertreter teilnehmen.

Im Ö1-"Morgenjournal" sowie in Zeitungen gab die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou, die bei der Nationalratswahl ebenfalls ein desaströses Wahlergebnis hinnehmen musste, dazu schon einmal die Linie vor: "Personelle Konsequenzen müssen zum Schluss kommen und nicht zu Beginn. Ein Köpferollen, ein öffentliches Hinrichten vor irgendwelchen Bauernopfern und hinterher so zu tun als sei es getan, ist meiner Meinung nach genau der falsche Weg", meinte Vassilakou. "Wenn uns die Wählerinnen und Wähler wissen lassen, dass sie die zerstrittene Truppe nicht wollen, dass sie das gegenseitige Absägen nicht wollen, dann wäre das just die falscheste aller Konsequenzen, die wir daraus ziehen können, am Tag nach der Wahl einander an die Gurgel zu gehen."

Wahlbeteiligung stark wie nie zuvor gewachsen

Das vorläufige Ergebnis zeigt: Die Wahlbeteiligung ist bei dieser Nationalratswahl gestiegen wie nie zuvor in der Zweiten Republik: Schon nach Auswertung des ersten Teils der Briefwahl am Montag gab es einen Zuwachs von 4,50 Prozentpunkten auf nun 79,41 Prozent - und mit der Auszählung der noch ausständigen rund 37.000 Wahlkarten am Donnerstag wird das Plus auf fünf Punkte und die Beteiligung auf fast 80 Prozent steigen.

Ein großer Teil der Wähler nützt mittlerweile die Briefwahl: Fast 15 Prozent der gültigen Stimmen der Nationalratswahl wurden am Postweg oder per Briefwahlkarte im "eigenen" Wahlkreis abgegeben. Am Donnerstag müssen die Landeswahlbehörden noch rund 36.000 Stimmen auszählen, die am Wahlsonntag entweder per Wahlkarte oder per Briefwahl in einem "fremden" Wahlkreis abgegeben wurden.

Die dann nicht ganz 80 Prozent sind allerdings bei weitem kein Rekordwert der nunmehr 22 Wahlen seit 1945. Denn bis 1986 lag die Beteiligung immer über 90 Prozent, bis 2002 nutzten noch immer mehr als vier Fünftel ihr Wahlrecht - und somit wird die jetzige Beteiligung nur die beste seit 2006. Bis 1992 bestand allerdings in einigen Bundesländern Wahlpflicht.