
"Wiener Zeitung":Sie beschäftigen sich als Notfallpsychologin mit Akutsituationen nach Katastrophen. Wie werden die befreiten Frauen nun betreut?
Eva Münker-Kramer: Sie werden auf das Leben draußen, die Veränderungen in den vergangenen Jahren möglichst detailliert vorbereitet. Und, ganz wichtig: auf die erste Begegnung mit Eltern, Verwandten und Freunden.
Kann dabei ein bestimmtes Betreuungsschema angewendet werden oder steht jeder Fall für sich?
Natürlich gibt es Verhaltensmuster, aber viel hängt von der persönlichen Biografie ab. Zum Beispiel, in welchem Alter die Person entführt wurde.
Die Drei waren 14, 16 und 20 Jahre alt, als sie entführt wurden.
Dann hatten sie bereits Erfahrungen mit einem "normalen" Leben. Das erhöht die Chancen, die Jahre in Gefangenschaft als irreal wahrzunehmen und wieder an das frühere Leben anzuknüpfen. Wenn deutlich jüngere Kinder entführt werden, fehlt dieser Bezug und sie sind nach ihrer wiedergewonnenen Freiheit oft mit der Realität überfordert.
Zumindest eine der Frauen ist in Gefangenschaft Mutter geworden. Was kann das bewirken?
So paradox es klingen mag angesichts des Vaters, der wahrscheinlich einer der Festgenommenen sein müsste: Das Kind kann eine Brücke zur Normalität sein. Indem die Frau diese Verantwortung übernehmen musste, gewann sie ein Stück Normalität und ein Gefühl für die Notwendigkeit menschlicher Bindungen.
War dementsprechend ein Kontakt der Frauen untereinander hilfreich?
Auf jeden Fall. Denn die Frauen hätten damit eine Art Schicksalsgemeinschaft gebildet und wären füreinander da gewesen - im Gegensatz zu Natascha Kampusch, die alleine in ihrem Verlies war. Vielleicht haben sie dieses Korrektiv auch gegenüber dem Kind angewandt, sich gemeinsam darum gekümmert. Und möglicherweise hat dieses Korrektiv auch im Umgang mit den Tätern geholfen. Denn bekanntermaßen identifizieren sich manche Opfer früher oder später mit ihren Tätern. Die Sichtweise der anderen könnte hilfreich gewesen sein, dass dieses Stockholm-Syndrom offensichtlich nicht eingetreten ist.