Kairo. Feuerwerke, Militärparaden und Giuseppe Verdis Oper "Aida": Mit 5000 Gästen feierte Ägypten vor einem Jahr die Inbetriebnahme des Neuen Suezkanals. Staatspräsident Generalfeldmarschall Abdel Fattah al-Sisi erschien in seiner schönsten Uniform in Ismailija, wo er eigens für die Feier am Kanalufer ein Plateau mit einer Tribüne errichten ließ, damit das erste Containerschiff genau beobachtet werden konnte, das durch die 35 Kilometer lange, neue Fahrrinne glitt. Der 6. August 2015 wurde zum nationalen Feiertag erklärt und außerdem verfügt, dass der Bau der zweiten Trasse des Kanals im Mittelpunkt der Freitagspredigt in allen Moscheen am darauffolgenden Tag stehen sollte.
Ein Milliarden-Projekt, aus dem Boden gestampft in gerade einmal einem Jahr. Hoffnungsträger für die arg gebeutelte Wirtschaft des Landes. "Wir bekommen jetzt alle ganz viel Geld", sagte einer der Feiernden damals. Schließlich hatte Staatspräsident al-Sisi versprochen, die Einnahmen einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt würden sich mittelfristig verdoppeln.
Ruhe am Kanal
Heute ist es ruhig am Kanal. Nur einige ägyptische Touristen verirren sich zuweilen auf die beiden Fähren und machen Selfies, wenn sie zunächst den alten, danach den neuen Kanal überqueren. Ruhig ist es auch auf dem Kanal selbst. Manchmal dauert es Stunden, bis sich ein Schiff blicken lässt. Früher war dies normal, denn der Kanal war eine Einbahnstraße. Tanker, Frachter, Kriegs- und Kreuzfahrtschiffe mussten warten, bis sie am Großen Bittersee einander ausweichen konnten. Diese Manöver fallen mit der neuen Trasse jetzt weg, die Durchfahrt wird zügiger. Die Zeit, die Schiffe für die Passage der 193 Kilometer von Suez nach Port Said oder umgekehrt benötigen, hat sich von 18 Stunden auf elf Stunden verkürzt. Und trotzdem bleiben die Schiffe aus. Experten, die schon vor der Neueröffnung an der Nachfrage für einen Ausbau zweifelten, sollten recht behalten. Im letzten Jahr nahm Ägypten etwa 290 Millionen Dollar (etwa 260 Millionen Euro) weniger durch Kanalzölle ein als 2014. Nach den letzten veröffentlichten Zahlen der Suezkanalbehörde gingen die Tonnagen bis März dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr noch weiter zurück.
Die Lesart al-Sisis jedoch ist eine andere: "Ich hörte Leute sagen, die Einnahmen des Suezkanals gingen zurück. Natürlich nicht, sie sind gestiegen", sagte er Anfang Mai. Dabei rechnet der Herrscher am Nil offensichtlich in der Landeswährung, dem ägyptischen Pfund. Darin sind die Einnahmen tatsächlich gestiegen. Allerdings verlor das Pfund im vergangenen Jahr mehr als 13 Prozent gegenüber dem Dollar. Die Durchfahrt durch den Suezkanal muss aber in Devisen bezahlt werden. Unterm Strich kann von steigenden Einnahmen also nur schwerlich die Rede sein. Doch Sisi nutzt den Trick mit den Währungen, um Unruhen in der Bevölkerung zu vermeiden. Um die Wirtschaft in Schwung zu kriegen, setzte die Führung bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren auf Großprojekte, die einen Sog erzeugen und die Bevölkerung mitreißen sollten.
Patrioten-Pflicht
Die Bauarbeiten haben 64 Milliarden ägyptische Pfund verschlungen, das sind umgerechnet knapp 7,5 Milliarden Euro. 88 Prozent dieser Ausgaben trugen ägyptische Privatleute. Sie kauften Zertifikate, die mit zwölf Prozent verzinst werden. Innerhalb weniger Tage waren die Zertifikate vergriffen, Ägyptens Staatsmedien hatten den Kauf quasi zur patriotischen Pflicht erklärt. Alle Schichten der Bevölkerung machten mit. Oma und Opa holten ihr Erspartes unter dem Kopfkissen hervor, um Suez-Zertifikate zu erwerben. Kleine und mittelständische Unternehmen nahmen sogar Kredite auf, um sich an dem Großprojekt beteiligen zu können. Ab 2019 soll mit den Zinszahlungen an die Zertifikatseigner begonnen werden. Ob dies geschieht, steht bei der derzeitigen Finanzlage noch in den Sternen.
Dass die Rechnung Sisis nicht aufgeht, hat mehrere Gründe. Die Weltwirtschaft stagniert, der Wachstumsmotor China stottert und die Ölpreise sinken. Die Reeder lassen ihre Tanker lieber um Südafrika herumfahren, als sie durch den Suezkanal zu schicken. Ägypten bietet zwar die Abkürzung, verlangt aber auch saftige Gebühren. Und dann ist da noch Panama. Der Konkurrent setzt Ägypten zu, weil viele Reedereien den erweiterten und kürzlich eingeweihten Kanal nun für die Route von Asien an die Ostküste der USA bevorzugen.