Verräterische Angaben oder menschliche Irrtümer?
Diese Vorfälle gab es nicht. Falsch sind auch Coskuns Notizen über die Ereignisse vor dem Präsidentenpalast. So schreibt er, die riesige Residenz sei von Putschisten belagert worden. De facto begaben sich in der Putschnacht aber nur 13 Soldaten zu Erdogans Amtssitz. Auch wurde anders als im Protokoll verzeichnet, keine Bombe auf den Komplex abgeworfen, sondern es wurden lediglich ein Parkplatz und eine Straßenkreuzung in der Nähe bombardiert - um 6.19 Uhr, fünf Stunden nach Abschluss des Protokolls. Ebenfalls nie stattgefunden hat die Ernennung neuer Befehlshaber der Armee durch die Putschisten, die Coskun vermerkt.
Eine vermeintliche Erklärung für die Falschangaben lieferte am Dienstag der Journalist Nedim Sener in der regierungsnahen Zeitung "Posta". Darin schrieb er, Coskun habe ihm die Authentizität des Protokolls beglaubigt, aber erklärt, dass er zwar um ein Uhr nachts mit dem Schreiben begonnen, dann aber bis sieben Uhr morgens weitergeschrieben habe. Sener glaubt ihm und meint, damit bleibe von der angeblichen Brisanz des Papiers nichts übrig. Er greift den Enthüller Dönmez an und wirft ihm vor, in typischer Gülenisten-Manier "Lügen" zu verbreiten.
Die Verwicklung der Gülen-Sekte in den Putschversuch macht die Veröffentlichung durch einen ihrer Anhänger tatsächlich problematisch. Dönmez entgegnet, er versuche selbst, die Rolle der Bewegung in der Putschnacht aufzuklären. "Unabhängig davon ist das Protokoll wichtig, denn es entwertet das Narrativ der Regierung über den Putschversuch. Dieses Skandal-Dokument wirft die Frage auf, ob es eine vorbereitete Simulation für den Putsch gab."
Trotz der Brisanz des Protokolls schweigen darüber auch die wenigen türkischen Oppositionsmedien, wohl um nicht in den Verdacht zu geraten, mit den Gülenisten gemeinsame Sache zu machen. Nur die unabhängige exiltürkische Internetnachrichtenseite "Ahvalnews" hat inzwischen berichtet.
Die Erklärung Serdar Coskuns, er habe das Protokoll um sieben Uhr morgens abgeschlossen, werfe mehr Fragen auf, als sie beantworte, schreibt das Medium. Um diese Zeit müsse er viel genauer als um ein Uhr gewusst haben, was passiert sei, aber er habe trotzdem massenhaft Falschheiten produziert. "Das Protokoll bestätigt, was viele denken: Es war ein Putsch, von dem die Regierung vorab wusste", sagt der zuständige "Ahvalnews"-Redakteur Ergun Babahan. "Aber es ist unglücklich, dass es von den Gülenisten veröffentlicht wurde."