Amani El Tunsi ist Radiomacherin in Kairo.
Amani El Tunsi ist Radiomacherin in Kairo.

Kairo. Amani El Tunsi ist Radiomacherin in Kairo. Daran allein wäre noch nichts Besonderes. Aber die 28-Jährige betreibt mit "Banat w Bas", arabisch für "Girls Only Radio", den ersten feministischen Online-Radiosender im arabischen Raum. "Ich mache mir Gedanken über die nächste Generation von Mädchen", sagt Amani El Tunsi. "Viele beschäftigen sich allein mit ihrem Aussehen, ihrem Körper und ihrer Kleidung. Die jungen Mädchen reden über nichts anderes, als so schnell wie möglich zu heiraten. Sie hinterfragen nichts."

Die Geschichte von "Girls Only Radio" beginnt im April 2008, als El Tunsi - sie arbeitete damals als Artdirectorin für ein Jugendmagazin - mit dem Auto durch den Stadtteil Maadi fährt und beobachtet, wie ein Mann auf der Straße eine Frau verprügelt. Als die Frau davonläuft, lässt El Tunsi sie ins Auto einsteigen und braust davon. "Das darfst du dir nicht gefallen lassen", erklärt sie ihr später, "du musst Anzeige erstatten." Worauf diese antwortet: "Aber er ist doch mein Ehemann." Die Reaktion der misshandelten Frau macht El Tunsi bewusst, dass Frauen in der ägyptischen Gesellschaft keine Stimme haben und keine Instanz, sich zu beschweren oder grundlegende Fragen zu diskutieren. "Mir war in diesem Moment klar, dass ich die Frauen erreichen muss. Und zwar nicht nur eine, die mir zufällig über den Weg läuft. Sondern so viele wie möglich."

"Kein Sex, keine Politik"


El Tunsi setzt sich mit ein paar Freundinnen zusammen, nimmt einen Kredit auf. Am 1. Juli 2008 geht "Banat w Bas" auf Sendung. Es ist, wie sich bald zeigt, genau das richtige Angebot: Mit fast sechs Millionen Besuchern auf der Website und mehreren Hunderttausend Zuhörerinnen ist der Radiosender so erfolgreich, dass er auch im Ausland Lorbeeren einheimst: Am 1. Mai 2011 wird Amani El Tunsi mit dem "Young Leaders Award" der deutschen BMW-Stiftung ausgezeichnet.

El Tunsi ist kaum eine Woche auf Sendung, da geht der Sicherheitsapparat auf Tuchfühlung. "Ich habe einen Anruf mit einer unterdrückten Telefonnummer erhalten", erzählt sie, "ein Beamter war dran, der mich auf einen Kaffee in sein Büro einlud." Zwar gelingt es ihr, die Beamten von der Harmlosigkeit von "Girls Only" zu überzeugen, allerdings geben die Männer der Radiomacherin strenge Richtlinien mit auf den Weg: "Wenn du keine Schwierigkeiten haben willst und es deinen Sender noch länger geben soll", mahnen die Herren, "dann berichtest du besser nicht über Religion, Sex oder Politik." Worüber aber sprechen, wenn drei so wesentliche Themen der Selbstzensur unterliegen?

Die Strategie von El Tunsi ähnelt jener in anderen zensurgeplagten Ländern. Informationen zwischen die Zeilen packen, sie so subtil ans Publikum bringen, dass der Zensor keinen Verdacht schöpft oder nichts bemängeln kann. "Wir mussten sehr geschickt sein", schmunzelt El Tunsi. "Wenn es um heikle Themen ging, haben wir eben eine entsprechende Buchrezension gebracht." Mit der Empfehlung an die Zuhörerinnen, im Buch dort weiterzulesen, wo es in der Radiosendung nicht weiter gehen darf. "Wir haben den Frauen gesagt: Geht, kauft euch dieses Buch, und ihr werdet eine Menge erfahren. Und gebt es euren Töchtern zu lesen. Das waren Bücher zu allen möglichen Themen: harmlose Sachen wie Mode, Kochen oder Gesundheit, bis hin zu brisanten Fragen zur Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft etwa oder zur Kinder- und Töchtererziehung. Soziale Themen wie Scheidung, Ehe, Gewalt. Oder auch - und das ist in Ägypten ein echtes Tabu-Thema - die Beschneidung von Frauen", erklärt El Tunsi.

Jetzt ist völlig unklar, was auf den "Arabischen Frühling" folgen wird und ob sich die hohen Erwartungen erfüllen lassen. Für die Feministinnen rund um El Tunsi trägt die Revolution jedenfalls einen schalen Beigeschmack: Zwar können die Frauen in der Sendung nun ohne Angst vor staatlichem Einschreiten über Politik, Sex und Religion sprechen. Doch setzen nur wenige Tage nach Mubaraks Rücktritt auf den Straßen auch wieder die Belästigungen ein. Als hätte die Revolution auf die Frauen vergessen, muss wieder für Selbstverständlichkeiten gekämpft werden. "Es kommt mir so vor, als müssten wir ganz von vorne beginnen", sagt El Tunsi frustriert. Zusammen mit anderen Feministinnen demonstriert sie weiterhin jeden Freitag am Tahrir-Platz für Frauenrechte: "Wir haben Angst um unsere Revolution."