"Wiener Zeitung":Als junger Mann waren Sie vor 40 Jahren Mitglied jener Forschergruppe, die den ersten Bericht des Club of Rome verfasst hat. 1972 warnten Sie vor den Grenzen des Wachstums und der fortschreitenden Zerstörung unseres Planeten. Nun haben Sie einen neuen Bericht verfasst, der sich den nächsten 40 Jahren bis 2052 widmet. Zu welcher Zeit waren Sie besorgter? Damals oder heute?

Jorgen Randers:Es ist wohl jetzt. Als wir "Die Grenzen des Wachstums" geschrieben haben, haben wir entdeckt, dass die Welt klein ist und dass die Wahrscheinlichkeit für einen Kollaps des Systems groß ist, vor allem angesichts der langsamen politischen Entscheidungsprozesse. Allerdings haben wir damals auch geglaubt, dass, sobald wir der Welt den Ernst der Lage klargemacht haben, alle sagen: Ja, natürlich, ihr habt recht. Und wir haben auch geglaubt, dass dann rasch jenen kleinen Änderungen vorgenommen werden, die notwendig sind, um den Kollaps zu verhindern. 40 Jahre später weiß ich viel mehr über die Menschen, über die Gesellschaft, über Unternehmen und über das globale System. Und ich weiß, dass dieses System natürlich nicht auf intelligente Warnungen reagiert. Ich glaube nicht, dass es einen Weg gibt, den Menschen zu verändern, der aus evolutionärer Perspektive auf kurzfristiges Handeln geprägt ist und der kurzfristig agierende Institutionen um sich herum aufgebaut hat.
Was ist Ihre größte Sorge?
Wenn ich 40 Jahre in die Zukunft blicke, sehe ich eine Welt, die viele Vorzüge hat. Das größte Problem aber ist, dass unsere Kinder und Enkelkinder mit einem sich selbst verstärkenden Klimawandel leben werden müssen. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts könnten die Permafrostböden der Tundra auftauen und damit das dort gespeicherte Methan freisetzen, wodurch es noch einmal wärmer werden würde. Wenn ich allerdings eine arme Person in einem Entwicklungsland wäre, hätte ich ein wenig anders auf die Frage geantwortet. Ich hätte dann gesagt, dass das größte Problem die noch immer große Armut ist. Auch im Jahr 2050 wird das schon seit Jahrzehnten laufende Projekt der Armutsbekämpfung noch keinen endgültigen Erfolg gezeigt haben.
Einige der Prognosen, die Sie 1972 gemacht haben, haben sich als zu drastisch erwiesen. Beispielsweise gibt es heute immer noch genug Öl für Jahrzehnte. Wie verlässlich sind Vorhersagen über die Zukunft?
Man muss da genau unterscheiden. Das Buch des Jahres 1972 war eine Analyse zwölf möglicher Zukunftsszenarien und keine Prognose. Und in dem Buch steht auch sehr deutlich, dass wir damals nicht die nötigen Informationen hatten, um definitiv sagen zu können, welches dieser Szenarien Realität werden wird. Das aktuelle Buch ist hingegen eine Vorhersage, hier sage ich was passieren wird. Und angesichts der ungebremsten Treibhausgasemissionen sieht es ganz danach aus, als ob das, was wir damals das Verschmutzungs-Szenario genannt haben, Wirklichkeit werden dürfte. Eine solche Prognose ist natürlich nicht in allen Bereichen eine streng wissenschaftliche Operation, denn wenn man alle möglichen Unsicherheitsfaktoren einkalkuliert, erhält man nur ein sehr breites Ergebnis. Das hier sollte als "educated guess" angesehen werden, aber angesichts der Unmengen an Daten und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die eingeflossen sind, ist es so gut, wie man es machen kann.
In Ihrem neuen Bericht an den Club of Rome prophezeien Sie auch, dass das weltweite Bruttoinlandsprodukt viel langsamer steigen wird als gemeinhin erwartet. Stehen wir an der Schwelle einer neuen globalen Armut?
Das nicht, aber wir sind am Ende des Wachstums angelangt. Das Ende des Wachstums erreichen wir aber nicht aus den Gründen, die die meisten Menschen für wahrscheinlich halten, also etwa durch das Aufbrauchen der Ölreserven. Wenn sie einen modernen Staat hernehmen und diesen über den Verlauf der vergangenen 150 Jahre betrachten, dann hat dieser als Agrargesellschaft begonnen. Dann wurde die Produktivität der Landwirtschaft gesteigert und das dadurch freigespielte Humankapital wurde in den Fabriken eingesetzt. Danach kamen mit neuen Produktivitätssteigerungen die Büroarbeiter und schließlich die Dienstleister. Doch dieser Kreislauf kommt zu seinem Ende, denn irgendwann einmal werden wir alle vor allem im Gesundheitsbereich und in der Betreuung von Alten und Kindern arbeiten. Und dann muss man sich die Frage stellen, wie wir die Produktivität noch weiter steigern können. Wir fallen nicht zurück in die Armut, aber in einer reifen Gesellschaft kommt das Produktivitätswachstum pro Person einfach zu einem Ende. In den USA gab es etwa in den 1950er Jahren einen jährlichen Produktivitätszuwachs von fünf Prozent, heute haben wir ein Prozent und der Trend zeigt weiter nach unten.
Sie sagen auch voraus, dass die USA der Verlierer der nächsten 40 Jahre sein werden und China der Gewinner. Was machen die Chinesen besser als die Amerikaner?
Zuallererst sind die Chinesen am Beginn ihres Aufstiegs. Es ist ähnlich wie bei Japan in den 1960er Jahren und bei Südkorea in den 1970er Jahren, als diese Länder die Institutionen und die Produktionsweise des Westens einfach kopieren konnten und gleichzeitig in der Lage waren, die westlichen Märkte zu nutzen. Das bedeutet, dass China in den meisten Bereichen hohe Wachstumsraten erzielen kann, solange die sozialen Institutionen funktionieren. Und da sind die Chinesen im Vorteil. Die Kommunistische Partei hat im Prinzip ein Ziel, das von 97 Prozent der Bevölkerung geteilt wird: Schnell reich zu werden ist ruhmvoll, wie man in leichter Abwandlung von Deng Xiaoping sagen könnte. Und das bedeutet, dass Entscheidungen auf eine Art und Weise getroffen werden, wie sie getroffen werden sollten: schnell, energisch und ohne tausende Hearings und endlose Diskussionen. Natürlich gibt es hier auch Verlierer, aber für die große Mehrheit bedeutet diese Art der Entscheidungsfindung einen großen Vorteil.