
"Wiener Zeitung": Baroness Young, das Europäische Forum Alpbach widmet sich in diesem Jahr den "Erfahrungen und Werten". Welche ethischen Fragen stellen sich in Bezug auf Mode?
Lola Young: Sehr viele. Selbst wenn man das Prinzip Nachhaltigkeit oder Fairness nur auf Umwelt, Tierschutz und die Arbeitsbedingungen bezieht, gibt es eine Menge zu tun. Die Modeindustrie ist noch weit von ethischen Bedingungen entfernt.
Ethische Fragen werden meistens als etwas betrachtet, das jeder für sich persönlich beantworten und entscheiden muss.
Ja, das stimmt auch, denn es kommt tatsächlich auch auf die Entscheidungen an, die wir als Individuen treffen, aber auch Organisationen und Unternehmen können ethisch handeln. Es geht um eine bestimmte Haltung: Entweder man ist an der Umwelt interessiert oder man ist es nicht, entweder kümmert man sich um die Mitarbeiter oder nicht. Auch den ökonomischen Aspekt gibt es bei beiden: Organisationen wie auch Individuen müssen schauen, woher das Geld kommt.
Auch nach den zahlreichen Bränden in Fabriken zum Beispiel in Bangladesch und nach dem Einsturz einer Fabrik in Dhaka haben immer noch nicht alle Unternehmen das Brandschutzabkommen unterschrieben, das unter anderem auch die Arbeitsbedingungen verbessern soll.
Das ist richtig. Aber es gibt auch Unternehmen wie Marks & Spencers in Großbritannien, die Initiativen wie die "Better Cotton Initiative" unterstützen. Als Kuratoriumsmitglied der Stiftung "Aid for Trade", die auch Teil der "Better Cotton Initiative" ist, weiß ich, dass auch Unternehmen inzwischen begreifen, dass es ökonomisch nicht lohnend ist, Flüsse zu verschmutzen oder die Arbeiter unmenschlich zu behandeln. Es geht ihnen auch nicht nur um den guten Ruf. Ich glaube auch, dass die meisten Leute einen gewissen Anstand haben. Niemand, es sei denn sie oder er ist komplett herzlos, will T-Shirts für die Menschen sterben. Man kann von Unternehmen genauso wie von Einzelpersonen ethisches Handeln einfordern.
Welche Gruppen im System der Modeindustrie sind denn aus Ihrer Sicht die Handlungsmächtigsten?
Ich denke, jeder spielt eine bestimmte Rolle, die bisher das System ganz gut am Leben hält. Die Händler sagen, dass die Konsumenten diese Form von Fast Fashion wollen, die wir jetzt haben. Die Konsumenten sagen, dass sie sich nicht mehr leisten können. Die Produzenten wiederum sagen, sie würden vom Handel so unter Druck gesetzt und auch diejenigen, die in den Fabriken arbeiten, argumentieren, dass dies besser sei, als gar keine Arbeit zu haben. Auf diese Weise geht alles immer so weiter. Nach dem Einsturz der Fabrik in Dhaka haben viele gesagt, sie würden sich aus Bangladesch zurückziehen. Nur, wohin? Wir haben in Großbritannien nicht die notwendigen Strukturen, um die Nachfrage zu bedienen. Primark (ein britischer Textildiskonter, Anm.) zum Beispiel hat nun das Abkommen unterzeichnet, das die Arbeitsbedingungen verbessern will. Auch die Regierung in Bangladesch hat reagiert. Konsumenten können entscheiden, wo sie einkaufen. Wenn jeder sagen würde, ich kann nichts machen, hätten wir immer noch kein Frauenwahlrecht.
Was ist aber mit dem Argument, dass sich viele keine fair produzierte Kleidung kaufen können, weil sie teurer ist?
Ich glaube nicht, dass man unbedingt viel mehr Geld ausgeben soll oder muss. Noch dazu: Selbst sehr teure Markenkleidung ist nicht unbedingt fair produziert. Wenn man etwas tun will, ist schon viel gewonnen, wenn man das billige T-Shirt nicht gleich nach dem zweiten Mal Tragen wegwirft. Das ist nämlich das, was jetzt passiert. Die Müllberge bestehen inzwischen zu dreißig Prozent aus Textilien. Wir wissen auch, dass Frauen nur ein Drittel ihrer Garderobe wirklich anziehen.
Das ist bei mir auch so. Wie ist das bei Ihnen, wie viel Kleidung hängt bei Ihnen ungetragen im Schrank?
Ich finde es auch schwierig. Als ich anfing, mich mehr mit der Modeindustrie zu beschäftigen, habe ich beschlossen, meine Kleidung nicht wegzuwerfen, sondern zu behalten und anzuziehen. Ich habe jetzt eine Art Rotationssystem. Wenn man so alt ist wie ich, weiß man, dass alle Modetrends wiederkommen. Vor vierzig Jahren habe ich alle meine Röhrenjeans weggeworfen und durch Schlaghosen ersetzt. Dann habe ich die weggeworfen, weil die Röhrenjeans wiederkamen. Jetzt warte ich ab, weil ich weiß: Jeder Trend kommt wieder. Man kann auch darauf achten, die Kleidung nicht so oft zu waschen. Viele Umweltprobleme entstehen erst nach dem Kauf. Deshalb wäre es oft schon ausreichend, sich kleinere Ziele zu setzen und zu sagen, zwanzig Prozent meiner Kleidung soll nachhaltig und fair produziert sein. Es gibt auch in der Produktion noch sehr viele Möglichkeiten, Ressourcen zu schonen: durch intelligentes Zuschneiden, 3D-Drucken, kompostierbare Materialien usw. Es geht nicht nur um Handel und Konsum.
Die Lederproduktion ist, was den Tierschutz, aber auch die ökologischen Effekte betrifft, noch sehr weit von nachhaltigen Strukturen entfernt. In der Fleischindustrie, die für die Lederproduktion wichtig ist, herrschen Arbeitsbedingungen, wie man sie sonst nur außerhalb Europas vermuten würde.