Caracas/Wien. In Venezuela kennt jeder Bürger den aktuellen Erdölpreis. Denn in dem südamerikanischen Land steht und fällt alles mit den Weltmarkt-Kurven von Brent und West Texas Intermediate.

Als der inzwischen verstorbene, legendäre linkspopulistische Staatschef Hugo Chavez 1998 angetreten ist, das südamerikanische Land umzubauen, war der Anteil des Erdöls an den Staatseinnahmen durch Exporte hoch, aber nicht die einzige Säule. Chavez peitschte den Anteil des Erdöls auf 95 Prozent. "Unter Chavez gab es eine Deindustrialisierung, eine Lahmlegung von allen anderen Bereichen", diagnostiziert der Lateinamerika-Experte Ulrich Brand. Hierfür wurde die Ölproduktion verdoppelt.
Für die, die nicht in der Opposition waren, begannen mit dem Höhenflug des Ölpreises goldene Zeiten. Kaum jemand störte sich daran, dass die Korruption immer stärker zunahm und alle ihren Schnitt machten. Die neue Verfassung, die unter Chavez 1999 mit einem Referendum verabschiedet worden ist, versprach Wohlstand für alle.

Nach einer Phase der Aufbruchstimmung, in der 2006 der Sozialismus des 21. Jahrhunderts proklamiert wurde, begann die autoritäre Wende. Zunächst unter Chavez, sein Nachfolger Nicolas Maduro hat sie dann auf die Spitze getrieben.
Und während der Ölpreis 2008 an der 140-Dollar-Marke kratzte, fiel er 2016 unter 30 Dollar. Eine Katastrophe für Staaten, die sich dem Erdöl verschrieben haben. Und eine existenzielle Krise für Venezuela, von der sich das Land bis heute nicht erholt hat. "Venezuelas Antwort auf die Krise des Extraktivismus ist noch mehr Extraktivismus. Noch mehr Ölförderung, und noch ein intensivierterer Abbau von Bodenschätzen und Mineralien", erklärt Brand. Doch die politische Krise - mit 150 Toten in diesem Jahr bei Protesten - hat dazu geführt, dass das Land Investoren abgeschreckt hat. Das Ergebnis sind massive Versorgungsengpässe. Das hängt mit fehlenden Investitionen, grassierender Korruption und zu geringen Importen von Nahrungsmitteln und Medikamenten zusammen. So wird Öl noch wertvoller, denn es ist inzwischen in einem Land der Hyperinflation die einzige Ware, die noch den begehrten Dollar erwirtschaftet. Wer hier an den Töpfen sitzt, hat die Macht. "Wer die Ölrente verteilen darf, generiert die Macht im Staat. Venezuela ist weiterhin ein Rentenstaat", beklagt Brand. Der Politologe war vor kurzem zu einer Studienreise in Venezuela. Seine Kollegen aus Kuba und Bolivien, Länder, die ebenfalls schon Hungerkrisen und Hyperinflation durchgemacht hatten, zeigten sich ob des Mangels an Eigeninitiative der Venezolaner erschüttert, erzählt Brand. "Während auf Kuba die Menschen in der tiefen Krise zu Beginn der 1990er Jahre etwa ein Zimmer ausgeräumt hatten, um dort Schweine zu halten, und der Staat die Landwirtschaft für persönliche Zwecke gefördert hat, ist in Venezuela noch immer die Einstellung vorherrschend: Das Öl wird es schon richten. Das Öl hat uns reich gemacht", berichtet Brand. Dass das nicht mehr der Fall ist, obwohl der Ölpreis mit über 60 Dollar wieder respektabel ist, liege daran, dass durch Korruption so viel abgeschöpft wird. "Gerüchteweise liegen um die 500 Milliarden US-Dollar der Eliten im Ausland."