
Ist die Migrationsdebatte zu einer Schablone für Zukunftsängste der Wählerschaft geworden?
Natürlich. Politik wird viel mehr von den Ängsten der Wählerinnen und Wähler getrieben, als von den tatsächlichen Problemen. Denn die Realität eines bestimmten Problems auf der Ebene von Individuen hängt vom Framing des Problems ab. Migration wurde der Ausdruck der generellen Ängste der Öffentlichkeit, dass ihre Regierungen in einer globalisierten Welt nicht mehr sehr viel Kontrolle haben. Beim Thema "Kontrollverlust" sind sich übrigens Anti-Migrationsparteien und Anti-Markt-Parteien einig. In beiden Fällen sagen die Regierungen: Da können wir nix machen. Weder gegen eine außer Kontrolle geratene Globalisierung, noch gegen Migration in großem Stil. Also sind jetzt jene Politiker im Vorteil, die behaupteten: Ja, da können wir sehr wohl etwas machen. Und wenn es auch nur Symbolpolitik ist. Aber die Botschaft des Primats der Politik hört die Wählerschaft gerne.
Heute scheint es ja für manche Politiker nur mehr dieses eine Thema Migration zu geben.
Die politischen Führer, die sich für Migration interessieren, interessieren sich in den meisten Fällen für kein anderes Thema. Sie glauben, dass sich alle Probleme der Welt lösen lassen, wenn man nur auf dieses eine Thema fokussiert. Aber wenn man Schiffe davon abhält in Italien zu landen, löst man damit kein einziges ökonomisches oder strukturelles Problem Italiens. Das größte Problem der populistischen Akteure ist, dass die meisten sehr provinziell sind. Die meisten kamen an die Macht, weil große Teile der Bevölkerung das Gefühl hatten, dass man sie vergessen und betrogen hat. Und wenn die Populisten auf die Wünsche ihrer Wählerinnen und Wähler reagieren, sich auf deren Interessen zu konzentrieren, verlieren Sie das größere Bild aus den Augen und sie verlieren den Überblick. Ein globaler Clash der Provinzialismen erscheint mir deshalb gefährlicher als ein Clash der radikalen Ideologien.
Wie ist dieses monomanische Verfolgen des Migrationsthemas zum Markenzeichen von Populisten geworden?
Lassen Sie mich vorausschicken: Ich verwende den Begriff des Populismus als neutralen Terminus: Denn einige der Forderungen nach Veränderung sind ja durchaus legitim. Gibt es ein Problem mit Populismus? Ja. Gibt es aber zugleich auch eine Art Kriminalisierung des Populismus, wo jeder Wandel als negativ erklärt wird? Wieder Ja. Gibt es Populismus in den Mainstream-Parteien? Ja. Und an den politischen Rändern? Wieder ja. Aber worin liegt der Unterschied? Auch ein Mainstream-Politiker kann versprechen, dass er eine Mauer baut, oder dass er China heftige Strafzölle aufbrummt. Aber tief im Innersten weiß dieser Politiker, dass er das nicht machen wird. Es geht ihm nur darum, bestimmte Signale auszusenden. In den meisten Fällen werden dem Mainstream-Politiker die Kosten für solche letztlich nicht eingehaltenen Wahlversprechen als zu hoch erscheinen, also lässt er es bleiben.
Der populistische Politiker wiederum weiß, dass es genau ein Versprechen gibt, das er halten muss: Den Bau der Mauer. Oder ein Einreiseverbot für Muslime. Oder eben Strafzölle. Das Erste, was der Mainstream-Politiker macht, wenn er an die Macht kommt, ist, seine Position zu moderieren. Was aber machen populistische Politiker? Sie wissen, dass ihre Beziehung zu den Wählerinnen und Wählern davon abhängt, die kontroversiellsten und radikalsten Maßnahmen ihrer Politik umzusetzen. Denn für den populistischen Politiker ist es nicht am wichtigsten zu zeigen, dass man besser ist als der Mainstream, sondern für sie geht darum, anders zu sein.