
In welchen Schwierigkeiten steckt die Demokratie?
Die einen sagen, natürlich sei Trump ein Schock, aber die liberalen Institutionen seien viel widerstandsfähiger und elastischer. Ich will ehrlich sein: Ich halte nichts von diesen Argumenten. Wir stecken in einem Wandlungsprozess. Es kann schon sein, dass Trump im Jahr 2020 nicht wiedergewählt wird. Aber die Republikaner stehen hinter ihm. Aber auch wenn Trump nicht wiedergewählt wird, dann wird die Welt nicht so schnell wieder so, wie sie zuvor war. Außerdem: Es ist ja bereits etwas zerrissen: In den Institutionen, aber auch in den Köpfen der Wählerinnen und Wähler. Man darf nicht vergessen, viele Menschen sind heute von der Demokratie enttäuscht und wenden sich Leuten wie Donald Trump zu. Es kann aber durchaus sein, dass diese Menschen eines Tages von der angstbasierten Rhetorik ermattet sein werden.
Haben die Menschen in Europa Angst?
Was wir in Europa sehen, ist eine diffuse Sorge und nicht Angst. Ein Kollege, der soziologische Forschungen in russischen Gefängnissen macht, erzählt von den Vory-v-Zakone, den gefährlichsten Gangstern, die dort einsitzen. Das sind die höflichsten Menschen, wenn sie miteinander sprechen. Weil sie wissen, dass Worte Konsequenzen nach sich ziehen. Wenn man nämlich etwas Falsches sagt, dann wird man nämlich vielleicht sogar umgebracht. Ängstliche Menschen sind also sehr vorsichtig. Was wir in Europa haben, ist Besorgnis. Und die drückt sich in der total unkontrollierten Hatespeech aus, wo jeder alles sagt, weil eben keiner Angst vor irgendwelchen Konsequenzen hat.
Ihre Prognose für die Zukunft?
Jemand sagte einmal: Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn Sie die Zukunft betreffen. Wir leben in einer Welt der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts, der Politik des 20. Jahrhunderts und der Institutionen des 19. Jahrhunderts. Und wir glauben heute, dass der Nationalstaat die natürliche Form der politischen Ordnung ist - dabei dominierten bis vor 100 Jahren Imperien, das Habsburger-Reich oder das britische Empire erschienen unerschütterlich. Dabei ist jedes politische Projekt fragil. Das sollte man auch in der Europäischen Union verstehen. Vieles kann schief gehen. Aber gleichzeitig ist auch nichts vorherbestimmt. Wenn der Erste Weltkrieg nicht gewesen wäre, dann hätte das Habsburgerreich vielleicht überlebt. Man darf nie vergessen: Politik ist wie Jazz. Man improvisiert auf ein bestimmtes Thema. Wie im Jazz gibt es keine Partitur, und es geht darum, dass man die Stimmung der Öffentlichkeit trifft.