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Globalisierung auf Chinesisch

Von Klaus Huhold aus Boao

Wirtschaft

Peking verspricht anderen Ländern Entwicklung und schafft neue Abhängigkeiten.


Boao. In den vorderen Reihen sitzen in reich verzierten Holzsesseln die Ehrengäste, Funktionäre der Kommunistischen Partei (KP), chinesische Firmenbosse oder hochrangige Medienmanager aus dem Ausland. Um sie herum scharwenzeln Saaldiener, die nach chinesischer Tradition Tee nachschenken.

In den Reihen dahinter sind dicht beieinander noch einmal fast 800 Gäste versammelt - viele Journalisten, einige Forscher und ein paar Netzwerker, etwa aus der Werbebranche. Von Australien bis Chile, von Sambia bis Frankreich sind sie von allen fünf Kontinenten in die südchinesische Stadt Boao zur Konferenz über die "Neue Seidenstraße" angereist, zu der die Parteizeitung "People‘s Daily" geladen hat. Allein schon das Ausmaß dieser Veranstaltung hält eine Botschaft bereit: China, das während der Kaiserzeit jahrhundertelang eine Großmacht war, ist wieder in der Mitte der Welt angekommen. Das Treffen unterstreicht, mit welcher Wucht China die Neue Seidenstraße vorantreiben und bewerben will.

"Nicht nur eine Blume soll blühen, sondern der ganze Garten", verkündet der Präsident von "People’s Daily", Li Bao-Shan. Die Blume: Das ist China. Der Garten: Das sind die anderen Staaten, die an Chinas Megaprojekt im 21. Jahrhundert teilnehmen.

China schafft neue Märkte für seine Überkapazitäten

Die Neue Seidenstraße bindet China noch enger an die weltweiten Märkte an: Schiffsverbindungen, Schienenstränge und neue Straßen führen über Asien und reichen in afrikanische Dörfer genau so wie in europäische Stadtzentren. Die Volksrepublik errichtet Häfen und Industrieparks, vergibt Kredite oder geht strategische Kooperationen ein und knüpft so ein engmaschiges Netz von Handelsrouten und Beziehungen.

Vor fünf Jahren hat Staats- und Parteichef Xi Jinping das Großprojekt ins Leben gerufen. Die Neue Seidenstraße bietet "Lösungen für wirtschaftliche Herausforderungen des Landes", sagt der China-Experte Drew Thompson von der in Singapur beheimateten Lee Kuan Yew School Of Public Policy der "Wiener Zeitung". Mit all seinen Exporten erwirtschaftet China nämlich einen massiven Überschuss in Euro und Dollar, den es aber nicht in die nationale Währung Yuan konvertieren kann, weil das die Inflation anheizen würde.

"Gleichzeitig möchte China seinen gesamten Überschuss aber auch nicht in Anleihen anlegen, die in Dollars und Euro gehandelt werden", erklärt Thompson, der jahrelang China-Analyst für das US-Verteidigungsministerium war. Deshalb hat Peking nun eine Alternative im Außenhandel geschaffen: "Infrastrukturprojekte, die durch Kredite finanziert werden und Zinsen einbringen."

Die Volksrepublik schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Denn oft sind es auch chinesische Firmen, die im Ausland nun neue Flughäfen bauen oder Schienen verlegen. Damit schafft China internationale Märkte für seine Infrastrukturkonzerne und somit ein Auffangbecken für seine industrielle Überproduktion und seine Vielzahl an Arbeitskräften. "Das stützt wiederum die Gehälter und Preise in China", analysiert Thompson.

Chinesische Offizielle präsentieren bei dem Kongress auch gleich Zahlen: Bis zum Frühjahr 2018 hat China demnach 118 Kooperationsverträge mit 103 Staaten und diversen internationalen Organisationen abgeschlossen, das Handelsvolumen entlang der Neuen Seidenstraße betrug mehr als 50 Milliarden Dollar. Diese Zahlen bleiben aber schwammig: Denn man weiß nicht mehr, wo die Seidenstraße anfängt und wo sie endet. Listet China nur reine Infrastrukturprojekte auf oder auch andere wirtschaftliche Kooperationen? Welche Staaten zählt China dazu und welche nicht? Es gibt kein großes Rahmenabkommen für die Neue Seidenstraße, sondern es ist Fleckenteppich verschiedener Kooperationen und Projekte.

Peking hat eine Parallelwelt an Institutionen geschaffen

Klar ist aber: In einer Zeit, in der die USA unter Präsident Donald Trump immer stärkere protektionistische Tendenzen zeigen, macht China noch einmal einen großen Sprung in die Welt hinaus - und schafft dabei eine Parallelwelt an Institutionen. Die Regierung in Peking hat immer wieder kritisiert, dass der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank westlich dominiert seien.

China hat reagiert, indem es die Gründung der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank vorangetrieben hat. Bei dieser sind zwar auch europäische Staaten wie etwa Deutschland oder Österreich Mitglied. Doch allein der Name verrät, wo der Schwerpunkt liegt. Auch in der Chinesischen Export-Import-Bank oder dem Seidenstraßenfonds liegen Milliarden für Kreditvergaben bereit.

Neuer Kolonialismus oder Wachstumschance?

Vor allem in Entwicklungsländern finanzieren diese Institutionen immer mehr Projekte. Der nigerianische Journalist Olusegun Adeniyi nannte bei der Konferenz Beispiele aus seinem Land: Für die Eisenbahnverbindung zwischen Lagos und Ibadan flossen etwa 1,26 Milliarden Dollar und für ein riesengroßes Wasserkraftprojekt steht Nigeria in Verhandlungen, um von der Chinesischen Export-Import-Bank fast fünf Milliarden Dollar zu erhalten.

China betont, dass es bei derartigen Projekten mit den Partnerstaaten auf Augenhöhe agieren will. "Westliche Länder haben den Fehler gemacht, ihr politisches Denken über andere Länder legen zu wollen", sagt Li Bao-Shan von "People’s Daily" bei der Konferenz. Will heißen: China stellt nicht wie der Westen Ansprüche an die Regierungsführung. Peking verspricht keine politische Befreiung, sondern Entwicklung.

Diese ist das Mantra der KP Chinas, ihr Leistungsnachweis und eine der wichtigsten Quellen ihrer Legitimität. KP-Funktionäre betonen immer wieder, dass es der Partei in den vergangenen Jahrzehnten gelungen ist, hunderte Millionen Chinesen in die Mittelschicht zu heben, was das erfolgreichste Armutsbekämpfungsprogramm der Geschichte darstelle. Und das Versprechen, dass dies auch woanders mit Chinas Hilfe möglich ist, trägt Peking nun in die Welt hinaus.

In manchen Ländern wird China aber mit zunehmender Skepsis begegnet. Malaysias Regierungschef Mahathir Mohamad hat China schon vor "einer neuen Version des Kolonialismus" gewarnt, "weil arme Länder nicht in der Lage sind zu konkurrieren". Und ein 20 Milliarden Dollar schweres Eisenbahnprojekt, das mit chinesischen Krediten finanziert werden sollte, hat der südostasiatische Staat ausgesetzt - weil Malaysia fürchtete, in die chinesische Schuldenfalle zu tappen.

Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer sehen in der Neuen Seidenstraße aber vielmehr die Möglichkeit, am chinesischen Aufschwung teilzuhaben - und viele Länder haben ja auch schon von Chinas Engagement profitiert, wovon manch neue Straße in Afrika zeugt. Auch in Europa sehen vor allem Unternehmer die Neue Seidenstraße als Wachstumschance. Siemens-Chef Joe Kaeser sprach etwa von einer "Meilenstein-Bewegung".

Gleichzeitig herrscht Skepsis. Der Sinologe und emeritierte Professor von der australischen Griffith-Universität, Colin Mackeras, hat jahrelang über das China-Bild im Westen geforscht. Er konstatiert im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass China nun wieder negativer gesehen wird. "Mit Xis Machtübernahme erwartete der Westen, dass China demokratischer wird. Doch das ist nicht passiert", erklärt er. "Und viele Bürger sehen Initiativen wie etwa die Neuen Seidenstraße als chinesische Machtübernahme an."

Blumige Worte, klare Bedingungen

Derartige Bedenken spricht Huang Kunming, Chef der KP-Propagandaabteilung, nicht direkt aus. Doch sie schwingen mit, als er Journalisten in der großen Halle des Volkes in Peking empfängt. Das Bild, vor dem er sitzt und das eine stürmische Berglandschaft zeigt, passt nicht zu den sanften Worten, die er wählt. Huang sagt, dass die Neue Seidenstraße "kein exklusiver Klub, sondern eine inklusive Familie" sei.

Allerdings: In dieser Familie gibt es einen, der das Geld hat. Und das ist China. Als globaler Kreditgeber knüpft die Volksrepublik ein Netz neuer Abhängigkeiten. Alle blumigen Worte können einen Umstand nicht überdecken: Es ist gewöhnlich der Gläubiger, der die Bedingungen bestimmt. Nicht der Schuldner.