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Die Ökonomie von Erzählungen

Von Thomas Seifert aus Davos

Wirtschaft

Ökonom und Nobelpreisträger Robert J. Shiller über Stories und Narrative, welche die Wirtschaft beeinflussen.


"Wiener Zeitung": Wann kommt die Rezession?

Robert J. Shiller: Es wird derzeit viel über eine drohende Rezession geredet. Sie ist eine von vielen Stories, über die gesprochen wird. Das ist eines der Themen, mit denen ich mich derzeit beschäftige. Wenn man die Rezession als Geschichte versteht, dann begreift man, dass viele der Meinung sind, dass Rezessionen unausweichlich sind. Vielleicht, so denken einige, kommt die Rezession nicht sofort. Aber wenn sich die Hinweise mehren, dass die Rezession kommt, dann wird das zu einer Prophezeiung, die sich selbst erfüllt.

Sind wir bereits an diesem Punkt?

Das kann ich nicht beantworten. Eine Rezession kann man erst erkennen, nachdem sie bereits begonnen hat. 2007 wurde immer vernehmbarer davon gesprochen, dass eine Rezession im anrollen ist. Ich versuche derzeit, solche Dinge als Narrativ zu begreifen, als Erzählung, als Story. Das ist mein derzeitiger Beitrag zu den Debatten in der Ökonomie.

Was sind die Eckpunkte dieses Narrativs?

Wir haben derzeit den längsten Bullenmarkt seit langer, langer Zeit. Wenn die Rezession nicht bis Juni zuschlägt, dann hätten wir bis zu diesem Monat die längste wirtschaftliche Expansionsphase der US-Geschichte. In einigen Regionen boomt der Immobilienmarkt - und da gibt es Ängste, dass es auch in der Baubranche zu einer Abkühlung kommt. Eine weitere Story: Chinas Wachstum bremst sich ein. Wir haben aber auch Narrative, die uns ablenken und vielleicht auch verstören: Genau, ich meine Donald J. Trump. Ich versuche immer wieder, ihn zu verdrängen, aber es will mir einfach nicht gelingen. Ich versuche sogar, die innenpolitischen Seiten in der Zeitung nicht so genau zu lesen, aber das Ganze ist einfach wie eine Soap-Opera.

Sie haben vor kurzem ihr neues Buch "Narrative Economics" fertiggestellt. Worum geht es darin?

Mein Buch ist mehr ein Vorschlag zu tiefergehenden Forschungen. Das ist kein Job für einen einsamen Ökonomen. Aber eines ist klar: Stories und Narrative beeinflussen unser Verhalten fundamental. Denken Sie an die Story von Lieschen Müller oder dem Shoeshine Boy: Man sagt, wenn sogar die darüber sprechen, dass sie jetzt wie wild Aktien handeln oder Bitcoins kaufen, dann ist es Zeit, nervös zu werden.

In ihrem Buch geht es auch um die Japan-Story. Was ist damit gemeint?

Japan war in den 1980er Jahren eine Riesen-Party, dann kam der Peak und seither hat der japanische Markt die Anleger enttäuscht. Da hat sich das Narrativ fundamental verändert: In den 1980er Jahren hatte Japan eine unglaublich starke Wirtschaft, es erschienen Bücher mit dem Titel: "Japan als Nummer Eins". Jeder bewunderte das Land. Und dann war das alles plötzlich vorbei. Wenn man über das verlorene Jahrzehnt in Japan diskutiert, dann wird zuwenig über die Japan-Story gesprochen. Man spricht über Fehler der japanischen Zentralbank oder Fehler von diesen oder jenen, vergisst aber auch, dass die Japan-Story selbst und wie sie sich veränderte einer der Gründe für diese Achterbahnfahrt gewesen sein könnte. Es gab nämlich auch eine Veränderung im Lifestyle: Von Blingbling zu einem asketischeren Lebensstil, der sich vielleicht auch wieder stärker auf die buddhistischen Wurzeln besann.

Sie sagen also, dass man vermehrt auch die kollektive Stimmung in einer Volkswirtschaft beachten sollte?

Genau. Aber diese Stimmung wird natürlich von den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen geformt. Aber im Ergebnis wird die Stimmung, das Lebensgefühl selbst, zu einem nicht unbedeutenden Faktor.

Wo stehen wir - was diese Stimmungen betrifft - derzeit?

Der US-Aktienmarkt ist bereits gefallen. Vielleicht hat ein Nachdenkprozess die Marktteilnehmer zu einem pessimistischeren Ausblick auf die Zukunft gebracht.

China kehrt zu den eigenen Wurzeln zurück. Xi Jinping ist wohl weniger an einer Diversität des Denkens und an westlichen Einflüssen interessiert als Vorgänger Hu Jintao. Das ist sicher mit einer der Faktoren des Abschwungs in China. Vielleicht geraten auch einige der Lektionen des freien Marktes in Vergessenheit. In 20 Jahren erkennen wir dann vielleicht, dass es in der jetzigen Gegenwart zu einem Wandel des Narrativs gekommen ist.

Welche Rolle spielt Trump, welche Rolle spielen die Populisten?

Sie kommen aus Österreich - Sie haben doch auch wirklich rechte Elemente in ihrer Regierung, so wie in Italien? Wir in den USA haben eben Donald Trump. Trump ist bloß der Opportunist, der auf die Stimmung eines bestimmten Segments der Bevölkerung hört und sich danach richtet. Aber die Polarisierung in den USA wird seine Amtsdauer überstehen, fürchte ich - was immer auch passiert. Das ist der Grund, warum man vielleicht wider besseres Wissen davon Abstand nehmen sollte, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump einzuleiten. Das wäre wie Benzin aufs Feuer seiner Anhänger. Manchmal denke ich sogar, dass man diese Mauer, von der Trump ständig spricht, bauen sollte. Nicht weil ich finde, dass das eine gute Idee ist - überhaupt nicht! - aber ich glaube, man muss seinen Anhängern irgendetwas geben. Wenn sie eine Mauer wollen, dann sollen sie eben eine kriegen. Sonst wird die Polarisierung in unserer Gesellschaft noch tiefer, als sie ohnehin schon ist.

In den USA herrscht wegen der Mauer seit Wochen Stillstand in Form des Shutdowns. . .

Das Mauer-Narrativ ist interessant: 1987 rief US-Präsident Ronald Reagan seinem sowjetischen Amtskollegen Michael Gorbatschow vor der Berliner Mauer zu: "Mister Gorbatschow, reißen sie diese Mauer nieder!" Heute spricht Trump vom Mauerbau: "Baut diese Mauer!" lautet ein Slogan, bei dem seine Anhänger aus voller Kehle einstimmen.

Ist dieser Wunsch eine Art Makro-Narrativ für den Isolationismus Amerikas unter Trump?

Gerade dieser Symbolismus macht die Mauer für Trump so wichtig. Sie ist eine Story - eine Story der Abschottung. Und das gefällt seinen Anhängern, bei dem Begriff "Mauer" schwingt soviel mit. Dazu kommt, dass Trump sich als Bauherr versteht. Der Mann kommt schließlich aus der Immobilienbranche. Trump denkt vielleicht auch daran, dass er mit dem Bau der "Trump-Mauer" ins Geschichtsbuch kommt, er denkt vielleicht daran, dass dieses Ding als bleibendes Monument weit über seine Amtszeit hinweg bestehen wird.

Viele Leute sagen ja, dass Donald Trump eine Folge der Krise der US-Wirtschaft 2008 war. Da stellt man sich die Frage, was passiert im nächsten Wirtschaftsabschwung. Wen werden die Unzufriedenen, die Wütenden und Frustrierten dann wählen?

Da ist die Frage, ob es zu einer schweren Rezession kommt. Die Letzte war ziemlich übel. Wir sind natürlich verwundbar: Die Zinsen sind auf einem Rekordtief, da können wir nicht viel tun, wir haben auch ein recht hohes Budgetdefizit. Aber: Das ist freilich keine Prognose.