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Gefräßige Datenkraken

Von Alexander Dworzak

Wirtschaft

Wie Google, Apple, Facebook & Co die Wirtschaft umgeformt haben und den Alltag der Menschen durchdringen.


© WZ-Collage: Irma Tulek; Quelle: adobe stock

Wien. Nur zehn Jahre haben die Technologiekonzerne benötigt, um die Liste der weltweit wertvollsten Unternehmen zu dominieren. Ende 2008 rangierte lediglich ein Tech-Vertreter unter den ersten zehn. Sieben von zehn waren es am Ende des vorigen Jahres. An der Spitze lag Microsoft, dicht gefolgt von Apple, Amazon und Googles Mutter Alphabet. Facebook folgte auf Platz fünf. Neben den US-Vertretern zeigten die beiden chinesischen Unternehmen Tencent und Alibaba (Platz sieben und acht), welche Länder in der Daten-Ökonomie das Sagen haben.

In jenen zehn Jahren hat sich auch das Nutzerverhalten komplett gewandelt. Heute surfen wir unentwegt im Internet, teilen Freude und Frust mit Bekannten und Fremden in den sozialen Medien, nutzen Chatdienste, streamen Musik sowie Videos und speichern unsere Daten statt auf lokalen Rechnern in der Cloud, also über ein Netzwerk. Diese Dienste sind zumeist kostenlos, aber nicht umsonst für die Anbieter. "Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen mehr oder weniger, was du gerade denkst", sagte Googles früherer Vorstandschef Eric Schmidt.

Weil mithilfe der Datenflut die dominierenden Produkte optimiert werden, beherrschen wenige Anbieter den Markt. 80 Prozent der weltweiten Suchanfragen im Web wickelt Google ab, drei Viertel aller mobilen Chats laufen über Facebook beziehungsweise seine Töchter und mehr als die Hälfte der Produktsuchen werden über Amazon abgewickelt.

Knapp 20 Milliarden Dollar Gewinn in nur einem Quartal

Und das sind nur die Kernfelder der "Gafa-Ökonomie" - ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben von Google, Apple, Facebook und Amazon. Gemein ist all diesen Unternehmen, dass sie auf ihren Plattformen Regeln vorgeben und dort eine Brücke zwischen Anbietern und Konsumenten schlagen. Auf diese Weise werden Milliardengewinne eingefahren. Amazon steigerte im vierten Quartal 2018 seinen Gewinn auf 3 Milliarden Dollar, bei Facebook waren es 6,9 Milliarden und bei Alphabet 8,2 Milliarden Dollar. Krösus war Apple, das alleine von September bis Dezember 19,97 Milliarden Dollar Gewinn machte.

Der Konzern mit dem Apfellogo verdankt seinen Erfolg zwar großteils seiner Hardware, dem iPhone, punktet aber wie Google bei Kunden mit Musikvertrieb und Apps - wobei Softwareentwicklern bis zu 30 Prozent der Einnahmen abgeknöpft werden. Google und Facebook vereinen mehr als 60 Prozent der Online-Werbung auf sich. Amazon ist längst nicht nur Nummer eins im elektronischen Handel, sondern auch Marktführer bei Cloud-Computing.

Stark in letzterem Bereich ist ebenso ein Unternehmen, das keinen Buchstaben im Gafa-Universum abbekommen hat: Microsoft. Die Mitnennung schien vorgestrig, denn Microsofts Ausflug in den Smartphone-Markt geriet zum Flop, die Quasi-Monopole der Hauptprodukte Windows und Office bröckelten und Stand-PC galten sowieso als out. Doch Microsoft gelang der Umbruch mit Cloud-Computing und dem Fokus auf Geschäftskunden.

Vorbauen für den nächsten Technologiesprung

Mag Microsoft bis heute nicht trendig sein, rechtfertigt der kommerzielle Erfolg die Erweiterung von "Gafa" zu "Gafam". Gemeinsam kamen die großen fünf Ende 2018 auf knapp 3000 Milliarden Euro Börsenwert. Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands liegt bei rund 3200 Milliarden Euro. Auf der einen Seite steht Europas größte Volkswirtschaft mit rund 81 Millionen Einwohnern. Auf Gafam kommen ein paar hunderttausend Angestellte weltweit.

Der Datenschatz soll die Vormachtstellung auch nach dem nächsten Technologiesprung sichern. Dabei verwischen die Grenzen zwischen den Branchen, Gafams Angebote reichen von Zahlungssystemen über Telekom-Anbieter bis zum Einzelhandel. Google (Assistant), Amazon (Alexa) und Apple (Siri) marschieren beim nächsten Großtrend vorweg, dem "intelligenten Lautsprecher". Er zählt zum "Internet der Dinge", jenen Produkten, die mit Sensoren ausgestattet und dem Internet verbunden sind. "Die Vernetzung zu Hause befindet sich erst am Anfang. Wenn wir den Stand umlegen auf die Entwicklung von Mobiltelefonen, sind wir derzeit auf einer Stufe mit den allerersten Handys", sagt Nadia Abou Nabout.

Die Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien erwartet große Entwicklungssprünge in den kommenden zehn Jahren bei einem weiteren Großtrend: Automatisierung mithilfe künstlicher Intelligenz. Maschinen werden immer mehr Entscheidungen treffen. "Roboter halten vom selbstfahrenden Auto bis in die Altenpflege Einzug", meint Abou Nabout. Jedoch: "Der Mensch bleibt als Unterstützung wichtig."

Die unbekannte Logik selbstlernender Maschinen

Geld für Forschung oder Zukäufe ist reichlich vorhanden. Alleine Apples Reserven betragen 245 Milliarden Dollar. Doch niemand außerhalb der Konzerne weiß, nach welcher Logik selbstlernende Maschinen ihre Entscheidungen treffen. Wohin etwa ein selbstfahrendes Auto bei einem Unfall kracht, wenn es Fußgängern nicht ausweichen kann. Verschont es das Kind und überfährt es den alten Mann, weil er eine geringere Lebenserwartung hat?

Und wo wird künftig die Grenze gezogen, welche Daten kommerziell verwertbar sein dürfen? Bereits heute zahlen Versicherungen Boni an Kunden, die mehr als 10.000 Schritte täglich gehen oder deren Fahrverhalten beim Autofahren gemessen werden darf. In den USA würden auch Daten aus WhatsApp-Nachrichten für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit herangezogen, erklärt Abou Nabout, die das WU-Institut für interaktives Marketing und soziale Medien leitet.

Welche negative Wirkkraft Daten auch haben können, ist spätestens seit dem Skandal um Facebook klar, als Cambridge Analytica Informationen von 87 Millionen Nutzern abgegriffen hatte. Die Datenanalysefirma war auch im US-Präsidentschaftswahlkampf für Donald Trump tätig.

In Europa verhängte die EU-Kommission zwar zwei ihrer drei höchsten Wettbewerbstrafen über Alphabet; über insgesamt 6,7 Milliarden Euro. Doch das ist weniger als dessen operativer Gewinn im vierten Quartal 2018. Die eigentliche Quelle der langfristigen Macht von Gafam lässt die Kommission unangetastet: die Daten.

Vorschläge, um die Marktmacht zu reduzieren

Der IT-Theoretiker Evgeny Morozov schlägt daher vor, die in der EU gesammelten Daten könnten in einem gemeinsamen Speicher landen, der allen Bürgern gehört. Für die Nutzung dieser Daten müssten Unternehmen einen Teil ihrer Gewinne als Gebühren zahlen. Der österreichische Forscher Viktor Mayer-Schönberger meint, Techkonzerne, die mehr als zehn Prozent Marktanteil haben, müssen einen Teil ihrer Daten anderen Firmen anonymisiert zur Verfügung stellen.

Tatsächlich steht zu befürchten, dass die Industrie ihre Stellung ausbaut. Sie kann auf Basis ihres Datenschatzes und dank künstlicher Intelligenz Produkte anbieten, die Staaten interessieren - von der Cybersicherheit bis zum Gesundheitswesen. Diese Angebote wären kostenpflichtig, im Gegensatz zu den Diensten, die Gafam groß gemacht haben.

Wenn aber Staaten auf private Datenbanken zurückgreifen, müssten Bürger wissen, was diese Systeme tatsächlich tun, fordert Angelika Adensamer von der Datenschutzorganisation Epicenter Works. "Wir können die Vorteile von modernen Analysetechniken grundsätzlich gerne nutzen, aber sie dürfen nicht Demokratie und Rechtsstaat ausschalten."