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Auf dem Trockenen

Von WZ-Korrespondent Christof Habres

Wirtschaft
Weltweit hymnisch verehrtes Genussprodukt: Britischer Scotch.
© Philipp Lipiarski

Ein harter Brexit könnte heimischen Whisky-Liebhabern erhebliche Probleme bescheren.


London. Seit einiger Zeit kursiert ein Foto durch die sozialen Medien, das die lukullische Wüste in Großbritannien nach dem Brexit verdeutlichen soll: Auf der einen Seite des Bildes sind unter anderem französischer Champagner und Käse, italienische Paste und Weine, spanische Würste und belgisches Bier zu sehen. Auf der britischen Seite steht lediglich eine geöffnete Konservendose mit der Aufschrift "Baked Beans". Dass das Vereinigte Königreich in der Geschichte der Kulinarik keine führende Position einnimmt, ist vielen Menschen spätestens seit der Lektüre von "Asterix bei den Briten" (Zitat Obelix: "Das arme Wildschwein!") bekannt.

Aber das Bild greift natürlich zu kurz. Denn auf ein jahrhundertealtes, weltweit hymnisch verehrtes Genussprodukt kann die Insel sehr wohl verweisen. O.k., das Elixir, der Whisky, stammt aus dem EU-freundlichen Schottland, würde aber nach dem Brexit den von der Londoner Regierung ausverhandelten Rahmenbedingungen unterliegen. Wenn die überhaupt zum Tragen kommen und es nicht zu einem harten Ausstieg kommt.

Was bedeutet nun ein harter oder weicher Brexit für die Liebhaber der schottischen Spirituose? Besteht die Gefahr, dass sie Anfang April auf dem Trockenen sitzen? Oder müssen sie sich Alternativen aus Irland, den USA oder Japan suchen?

Das "Wasser des Lebens" (die schottisch-gälische Übersetzung von Whisky) ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Schottland. Der Whiskyexport mit seinen durchschnittlich 15 Milliarden Litern pro Jahr übertrifft sogar die Öl-Exporte des Landes. Der boomende Tourismus basiert zu einem erheblichen Teil auf Besuche von und Verkostungen in Whisky-Brennereien. Daher liegt es im ureigenen Interesse der schottischen Regionalregierung, dass die Lieferkette in die europäischen Exportmärkte nicht zum Erliegen kommt.

Wie groß ist die Gefahr eines Lieferstopps? "Diese Gefahr ist sehr hoch", analysiert Gert Weihsmann, Premium Brand Manager bei Pernod Ricard (mit Whiskys wie Ballentine’s, Chivas Regal, Aberlour oder Glenlivet), im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die momentane Lage. "Grundsätzlich weiß niemand in der Spirituosenindustrie, wie es am 1. April aussehen wird. Selbst beim ausverhandelten Deal bleiben grundlegende Fragen unbeantwortet. Eines ist jedoch auf jeden Fall sicher - der Scotch wird merklich teurer werden. Bei einem harten Ausstieg wird zusätzlich Chaos regieren."

Lager aufgefüllt

Weihsmanns Einschätzung wird auch von Mario Prinz vom spezialisierten Whisky-Importeur "Potstill" geteilt: "Mit dem Ausstieg fällt auch das automatisierte Emcs (Excise Movement and Control System) für die Beförderung von verbrauchssteuerpflichtigen Waren. Da wären wieder die Spediteure gefordert, aber die haben derzeit weder Informationen noch das für die Verzollung notwendige Papierwerk, um Transporte in die EU überhaupt durchführen zu können." Daher scheint ein "short term nightmare" (Zitat des CEO von Chivas Brothers, Jean-Christophe Coutures) durch Lieferausfälle durchaus wahrscheinlich.

Das Horrorszenario der ungeplanten Prohibition könnte Schätzungen zufolge bis zu sechs Monate andauern. Nachdem sich die Brexit-Verhandlungen niemals einfach gestaltet haben, gibt es doch sicherlich Strategien der Industrie, um der Trockenheit entgegenzuwirken. "Natürlich haben wir in den letzten Monaten über ein Sonderbudget unsere Lager aufgefüllt", bestätigt Weihsmann, der für seine Verdienste als einer von weltweit nur 2000 "Keeper of the Quaich" ("Hüter der Trinkschale" - Vereinigung zur Wahrung und Förderung des schottischen Whiskys) geehrt wurde. "Trotzdem würden unsere Blended Scotchs und Single Malts beim geschätzten Verbrauch - und einer harten Trennung - nur für ein paar Monate verfügbar sein." Ähnlich verhält es sich bei Unternehmen wie Branchenführer Diageo (u.a. Johnnie Walker, Talisker, Lagavulin), der in Ungarn sein EU-Lager aufgestockt hat. Bei der Campari-Gruppe hofft die Österreich-Geschäftsführerin Simone Edler im Gespräch, dass "die Lager bei Mailand ausreichend gefüllt sind", um beispielsweise die Nachfrage nach dem 18-jährigen Single Malt der Tochtergesellschaft Glen Grant erfüllen zu können, der im Vorjahr zum weltweit besten Single-Malt-Whisky gekürt wurde. In Österreich selbst werden 30 Millionen Liter Spirituosen getrunken, davon entfallen fünf bis sechs Prozent auf Whisk(e)ys. Die meisten Flaschen werden im Lebensmittelhandel abgesetzt, Bars und Hotellerie machen zirka fünf Prozent aus. Chivas Regal hat zum Beispiel 70 Prozent Marktanteil im Handel bei Super-Premium-Marken. Das entspricht einem Umsatz von 1,6 Millionen Euro.

Was passiert, wenn der Brexit-Albtraum länger andauern wird? Wechseln womöglich langjährige Scotch-Liebhaber zu Marken aus anderen Ländern? Alexander Huprich vom Spirituosenvertrieb Weinturm in Linz glaubt das nicht: "Eingefleischte Scotch-Aficionados werden niemals zu Bourbon, Japanern oder auch österreichischen Produkten wechseln - schottischer Whisky prägt sich ein und ist unvergleichlich", gibt sich der Experte, der auch seine eigenen Single-Malt-Whiskys abfüllt ("Single Cask Collection"), überzeugt. "Einzig ein paar irische Whiskeys, die auf eine rauchige und torfige Note verweisen können, würden in der Liga konkurrieren können", verweist Weihsmann auf mögliche Alternativen.

"Werden Euch nicht vergessen"

Und die Briten? Werden sie auf andere Märkte setzen? "Wir werden euch in der EU nicht vergessen!", versicherte Ken Lindsay, International Brand Ambassador von Chivas Brothers, vor wenigen Wochen bei einer Präsentation des exklusiven 15-jährigen Chivas Regal in Wien, als er von der "Wiener Zeitung" auf die Nach-Brexit-Zuweisungen ("Allocations") nachgefragter Whisky-Kontingente angesprochen wurde. Volle Lager und massiv steigende Nachfrage - bei oft besseren Preisen - in Märkten wie Afrika, Südamerika und vor allem Asien dürften allerdings für die Schotten signifikant die Versuchung erhöhen, good old Europe links liegen zu lassen und die Exportquote in diese Märkte zu steigern.

Berücksichtigt man alle Faktoren, sieht es beim derzeitigen Stand tatsächlich nach einer aufkommenden Trockenheit aus. Whisky-Liebhaber nutzen die verbleibenden Wochen, um sich mit ausreichend "Lebenswasser" zu versorgen.