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Die graue Eminenz hinter Chinas Handelspoker

Von Wolfgang Liu Kuhn

Wirtschaft

Chinas Vizeministerpräsident Liu He gilt als enger Vertrauter von Staatspräsident Xi Jinping. Als dessen Sondergesandter hat er die schwierige | Aufgabe, eine wirtschaftliche Einigung mit US-Präsident Trump auszuhandeln.


Peking/Graz. Eines haben US-Präsident Donald Trump und sein Verhandlungspartner auf chinesischer Seite, Liu He, gemeinsam: Beide gelten aufgrund ihrer Haarpracht in ihren jeweiligen Heimatländern als exzentrisch. Während Trump sein Haar bis zur Parodie vergoldet, verzichtet Liu auf Färbemittel, was ihn zur Ausnahmeerscheinung in der chinesischen Machtelite macht. Tiefschwarz kolorierte Haare gelten als Insignien chinesischer Würdenträger, welche Jugendlichkeit und Entscheidungskraft ausdrücken sollen, weshalb Gruppenbilder mit Politikern meist streng uniform ausfallen.

Liu He hingegen ließ sein Haar in Würde ergrauen, was zu seinem unaufgeregten, reflektierten Wesen passt. Seine Macht muss er zudem nicht mehr beweisen, gilt er doch als enger Vertrauter von Staats- und Parteichef Xi Jinping und ist als Vizeregierungschef die wirtschaftliche Führungsfigur des Landes. Neben Vizepräsident Wang Qishan ist er die Nummer zwei im Staat, der im Vorfeld der laufenden Handelsgespräche mit den USA noch einmal mit dem Titel "Sondergesandter des Präsidenten" aufgewertet worden ist.

Alte Schulfreunde

Damit hat der 67-jährige Politiker aus Peking eine erstaunliche Machtfülle angehäuft. Diese hat er neben seinen Kompetenzen vor allem seiner persönlichen Beziehung zu Xi Jinping zu verdanken, mit dem er in den 1960er Jahren die Beijing Middle School 101 besuchte. In einem System, in dem gegenseitiges Misstrauen als harte, politische Währung galt und gilt, sind solche Seilschaften auf dem Weg zum Gipfel unerlässlich. Und so blieben die beiden stets in Kontakt, während Liu (Partei-) Karriere machte: Er studierte zunächst Wirtschaftspolitik an der Chinesischen Volksuniversität, später an der Seton Hall University und schließlich an der Harvard University. Im Gegensatz zum Gros seiner Kollegen ist er daher der englischen Sprache leidlich mächtig. Er hatte auch nie Scheu davor, sich mit westlichen Politikern und Wirtschaftslenkern alleine zu treffen, was chinesische Politiker üblicherweise geradezu panisch vermeiden - zu groß ist die Furcht, man könne in den Verdacht geraten, Geheimnisse auszuplaudern.

Diese Angst hatte Liu He aufgrund seiner Nähe zum starken Mann Xi nie. Mit dessen Ernennung zum Präsidenten 2012 begann auch Lius Stern endgültig aufzugehen: Als Mitglied des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas wurde er 2013 Vizedirektor der mächtigen Kommission für Reform und Entwicklung sowie Leiter der Finanz- und Wirtschaftsabteilung. Im Oktober 2017 wurde er in den 19. Ständigen Ausschuss des Politbüros der KPCh und somit in den innersten Zirkel der Macht gewählt, im März 2018 schließlich zum Vizeministerpräsident. Dass er weiterhin das Vertrauen von Präsident Xi genießt, ist durchaus nicht selbstverständlich, denn obwohl er 2018 zwei Mal zu Gesprächen nach Washington reiste, konnte er den Handelskrieg mit den USA nicht verhindern.

Diplomatische Patzer

Trump düpierte ihn dabei persönlich, indem er wenige Tage nach den Verhandlungen neue Sanktionen verhängte, obwohl Liu bereits einen positiven Abschluss verkündet hatte. Daraufhin wurde Lius Performance in Peking leise, sehr leise kritisiert, denn als Verhandlungsführer und im Umgang mit dem impulsiven Trump leistete er sich tatsächlich den einen oder anderen Fehler. So missverstanden sich die beiden beispielsweise beim Timing über den Kauf von US-Sojabohnen, was das Weiße Haus zur Bedingung von weiteren Gesprächen gemacht hatte. Liu selbst soll bitter enttäuscht gewesen sein, als die USA schließlich neue Strafzölle im Wert von 200 Milliarden US-Dollar verhängten.

Dabei klaffen viele der Forderungen aus den USA gar nicht so weit mit dem auseinander, was Liu He mit der chinesischen Wirtschaft vorhat. So verlangen die USA beispielsweise einen strukturellen Wandel der chinesischen Wirtschaft, einen besseren Schutz des intellektuellen Eigentums und eine gleichwertige Behandlung von ausländischen Investoren. Nichts anderes formulierte Liu bereits 2011 als Vizedirektor des Development Research Center des Staatsrates, bei dem er ein Konzept für Reformen bis zum Jahr 2020 erarbeitet hatte. Beim Außenwirtschaftssystem forderte er beispielsweise eine weitere Öffnung des chinesischen Dienstleistungssektors. Ferner plädierte er für eine stärkere Verhandlungsbereitschaft mit dem Ausland und unterstützt die Idee von Institutionen wie der WTO, bei denen sich China seiner Ansicht nach stärker engagieren sollte. Die aufgeblähten Staatsunternehmen möchte Liu effizienter gestalten und ähnlich dem Vorbild in Singapur reformieren. All das erfordert jedoch teils schmerzhafte Einschnitte in das bestehende System, und noch schwieriger als die Verhandlungen mit den USA dürfte es für Liu sein, die chinesischen Stakeholder mit ihren teils widersprüchlichen Interessen auf eine Linie zu bringen.

Trump scheint dies zu wissen und streute seinem Verhandlungspartner in einer Charmeoffensive Rosen: "Er ist wirklich einer der respektiertesten Männer in Asien und offen gesagt einer der angesehensten Männer der Welt." Wie viel diese Worte bei einem etwaigen Abschluss der Verhandlungen noch wert sind, wird sich zeigen. Beobachter meinen, in den vergangenen Wochen noch mehr graue Haare auf Lius Haupt gesehen zu haben.