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Nicht ohne meine Avocado

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Wirtschaft

In Kalifornien zeitigt Donald Trumps Drohung, die Grenze zu Mexiko zu schließen, schon jetzt Konsequenzen. Erstes Opfer: die Aristokratin unter den Salatfrüchten.


Los Angeles. In Sachen Imagepolierung ist die Avocado vielleicht so weit gekommen wie keine andere Frucht in den vergangenen hundert Jahren; und wie gewöhnlich spielten dabei die USA, namentlich Kalifornien, eine entscheidende Rolle. Im Westen des Landes wurde die dunkelgrüne, buchstäblich wie sprichwörtlich geschmacklose Beere - zu dieser Familie zählt die Avocado rein biologisch - schon seit Ende des 19. Jahrhunderts angebaut, aber sie hatte die längste Zeit zwei Probleme. Erstens wurde sie zunächst unter einem seltsamen Namen vermarktet ("Alligator-Birne") und zweitens wollte sie niemand wirklich kaufen. Bis sich einige Farmer von der California Avocado Society zusammentaten und in den Zwanzigerjahren beschlossen, Anzeigen in zwei Magazinen zu schalten, die damals wie heute eine eher gehobene Klientel an Ost- und Westküste ansprachen: in der "New Yorker" und der "Vogue".

Die Strategie, der Avocado ein neues Branding als sogenannte "Aristokratin der Salatfrüchte" zu geben, zahlte sich aus. Auch wenn sie bis in die frühen Neunzigerjahre, als findige Werber ausgerechnet American-Football-Fans als neue Zielgruppe für Guacamole entdeckten (heute verzehren die Amerikaner am Tag der Super Bowl rund 50 Millionen Kilo), als Nischenprodukt galt, war der Mythos von ihrer vermeintlichen Überlegenheit gegenüber anderen Früchten geboren. Heute ist die Avocado ein Massenprodukt, zu haben in praktisch jedem Supermarkt der USA - aber bald schon extrem teuer oder gar nicht mehr, wenn es nach dem Präsidenten geht.

Lebensgefühl made in Mexico

Donald Trump drohte dieser Tage wieder einmal, die Grenze zu Mexiko zu schließen, weil die USA angeblich wieder einmal von illegalen Einwanderern überrannt werden. Zwar relativierte er am Freitag seine Aussage wieder, indem er dem südlichen Nachbarn einjähriges Ultimatum anbot, die Stoßrichtung blieb aber dieselbe. Schon vor den Midterm-Wahlen 2018 warnte das Weiße Haus so ausdauernd wie erfolglos vor gen Norden ziehenden "Karawanen" an Flüchtlingen, die nichts anderes im Sinn hätten, als unschuldige Amerikaner drogenabhängig zu machen und/oder sie umzubringen oder zu vergewaltigen.

Sollte Trump die Grenzschließung zu irgendeinem Zeitpunkt in die Tat umsetzen - wofür die Wahrscheinlichkeit gleich null ist, aber diese Art von Theaterdonner gehört seit seiner Wahl 2016 zum fixen politischen Geschäft -, würde eine wirtschaftliche Katastrophe drohen. Die wäre indes vielleicht nichts im Vergleich zu dem Drama, das sich im Fall des Falles in den Hipster-Cafés von San Diego im Süden Kaliforniens bis zu den Co-Working-Spaces von San Francisco im Norden abspielen würde: Sollten die USA die Grenze zu Mexiko tatsächlich schließen, würden dem ganzen Land, und damit auch Kalifornien, binnen drei Wochen die Avocados ausgehen. Das hieße von heute auf morgen kein Avocado-Toast und keine Guacamole mehr. Seit 2013 - jenem Jahr, in dem die zum Lifestyle-Guru mutierte Schauspielerin Gwyneth Paltrow in ihrem Bestseller "It’s all good" erklärte, dass ein Leben ohne Avocado möglich, aber nicht lebenswert sei - eine Dystopie, an die viele Kalifornier vor allem aus der Ober- und Mittelschicht nicht einmal zu denken wagen.

Auswirkungen auf den Preis ihres Lieblingssnacks (75 Prozent ungesättigtes Fett!) zeitigen Trumps Ausbrüche indes schon jetzt.

Anfang der Woche stieg der Preis für die Sorte Hass Avocado aus der mexikanischen Provinz Michoacán - wenn man so will, das Avocado-Äquivalent zur Erdölsorte Brent - plötzlich um mehr als ein Drittel, der höchste Anstieg der letzten zehn Jahre. Das größere
Bild offenbart die ganze Dramatik eines potenziellen Handelskriegs. Kalifornien wie die gesamten USA sind in Sachen Obst und Gemüse von keinem anderen Land derart abhängig wie von Mexiko. Die Hälfte aller Gemüse-Importe kommen heute von dort und knapp 40 Prozent aller in den US-Supermärkten angebotenen Früchte. Grund für den enormen Preisanstieg der Avocado ist eine Art "perfekter Sturm", der sich da am Pazifik zusammen gebraut hat, weil sich zu Trumps Ausfällen noch andere Faktoren hinzugesellen.

Zwar baut Kalifornien selbst auch Avocados an, aber der Anteil am Gesamtvolumen, das der Markt verlangt, ist im Vergleich minimal - und noch dazu ist man heuer wegen einer Hitzewelle 2018 mit der Ernte extrem spät dran. Laut dem Nachrichtendienst Bloomberg, der sich auf entsprechende Zahlen aus dem US-Landwirtschaftsministerium beruft, bekommt man derzeit für einen 25-Pfund-Karton Avocados den Rekordpreis von 60 Dollar. Zum Vergleich: In normalen Zeiten schwankt der Preis um die 40-Dollar-Marke herum. Bei näherem Hinsehen könnte die Ironie indes kaum größer sein.

Während sich der Konsument nördlich der Grenze heute wie künftig dreimal überlegen muss, ob er sich die tägliche Dosis Avocado noch leisten kann oder will, reiben sich die Produzenten im Süden die Hände. Was an und für sich, nach rein ökonomischen Gesichtspunkten, nichts Verwerfliches ist - gäbe es nicht einen kleinen Haken. US-Medien zufolge sind es allen voran Mexikos Drogenkartelle, die beim Exportgeschäft mit Avocados kräftig mitmischen.