Zum Hauptinhalt springen

Das Prickeln des ersten Tages

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Beim Börsendebüt von Pinterest und Zoom waren die Aktien heiß begehrt. Kein Wunder: Zu Beginn sind die Zocker unterwegs, die schnelles Geld machen wollen.


New York. Bevor die New Yorker Börsen österlich bedingt für drei Tage geschlossen waren, setzte es noch einen ordentlichen Geldregen. Die Foto-Plattform Pinterest gab ihr Debüt an der Nyse, der erste Kurs lag am Donnerstag um 28,42 Prozent über dem Ausgabepreis (vom Anfangswert 19 Dollar auf 24,40 zum Schlusskurs).

Der Videodienst Zoom, ein Debütant an der Technologiebörse Nasdaq steigert sich sogar um 72,22 Prozent vom Ausgabewert auf 62 Dollar pro Aktie.

Auf den ersten Blick also ein voller Erfolg. Und genau der Rückenwind, den die Technologie-Branche und die Aktienhändler brauchen, gerade nach dem vermeintlichen Debakel mit dem Fahrtendienstvermittler Lyft. Der hatte Ende März seinen Börsengang gehabt, und verlor gleich am ersten Tag. Drei Wochen später, am Gründonnerstag betrug der Wert der Aktien nur noch 67 Prozent des Ausgabepreises.

Bedeutet ein erfolgreiches Debüt, dass die Aktie noch länger attraktiv ist?

Nein. "Es ist eine psychologische Illusion, dass der Gewinnanstieg am Tag eins gleichbedeutend mit langfristigem Erfolg ist schreibt etwa der Verhaltensökonom Hersh Shefrin in "Forbes". Bereits bekannte Unternehmen sind natürlich prädestiniert für einen Hype. Pinterest hätte die Werbetrommel gar nicht notwendig gehabt. Auch Zoom war längst unter Beobachtung.

Herausfinden des Höchstwerts

Damit die Aktien weggehen wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln, dafür sorgt auch die Preispolitik. Es soll im Regelfall - überspitzt formuliert - wie ein Schnäppchen aussehen, damit die Käufer in Scharen zugreifen, und der Anbieter nicht auf den Aktien sitzen bleibt. Der Terminus Technicus ist "anfängliches Unterbepreisen".

Das macht die Aktie attraktiv für Spekulationen: Wie weit kann es nach oben gehen? In den USA spricht man in diesem Zusammenhang von "Flippern" bei Börsen-Neulingen, dem "Zocken" des ersten Tages.

In der Zeit der Dot-Com-Blase anfang der 2000er waren die Tech-Unternehmen am Tag eins des Börsengangs durchschnittlich um satte 65 Prozent in die Höhe geklettert.

Später gelang nur noch Twitter das Kunststück: Bei seinem Börsengang 2013 schnellte das Social-Media-Unternehmen um sagenhafte 73 Prozent nach oben.

Aber bei einem IPO - Initial Public Offering - machen nicht nur die extrem kurzfristigen Anleger Kasse. Es kann sich auch auszahlen, auf der Welle der Euphorie noch etwas länger mitzureiten.

Katzenjammer absehbar

Laut Ökonom Shefrin machen jene Händler, die ihre Aktien nach sechs Monaten verkaufen, mehr Gewinn, als wie wenn man in einem vergleichbaren Unternehmen, das schon länger am Markt war, seine Scheine ebenfalls nach sechs Monaten verkauft.

Aber nach diesem halben Jahr sieht es wieder ganz anders aus, meint Shefrin: Hier zeigt es sich, dass man zumeist besser liegt, wenn man Aktien an einem bereits etablierten Unternehmen gekauft hatte. Denn enttäuschte Erwartungen nach IPOs ziehen den Kurs noch mehr nach unten, als das bei einem vergleichbaren etablierten Konzern der Fall wäre.

Wie lange soll es sein?

Dafür kann es wieder nach oben gehen. Wenn man einen langfristigen Horizont hat, kann es sich bezahlt machen, Unternehmen, die nach ihrem Börsengang zunächst kräftig verloren haben, doch noch zuzukaufen.

Der US-Ökonom Jay Ritter, der sich viel mit Börsengängen beschäftigt hat und derzeit an der Universität Floridas lehrt, weist daraufhin, dass jene Tech-Konzerne, die in den ersten sechs Monaten massiv an Wert verloren hatten, in den nächsten zweieinhalb Jahren wieder Boden gut gemacht haben - und in ihrer Performance sogar jene überholten, die am Anfang als Musterschüler erschienen sind.

Beispiele dafür wären Oracle, Yelp und Facebook, die bei ihrem IPO Verluste beim Ausgabewert hinnehmen mussten. Inzwischen sind diese Konzerne besser unterwegs, als damalige Börsenhoffnungen wie Microsoft und Apple.

Soweit die Theorie. Ob Lyft nach sechs Monaten doch noch ein Gewinner sein wird, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Da kämpft der Fahrtendienstvermittler nicht nur gegen Erzfeind Uber mit dem gleichen Business-Modell (und einem IPO-Termin in den kommenden Wochen), sondern auch mit regulatorischen Unsicherheiten sowie einer möglichen Zukunft der selbstfahrenden Autos. Da ist das Geschäft mit der Werbung (Pinterest) und das der Videokonferenzen (Zoom) doch kalkulierbarer.