Zum Hauptinhalt springen

Das große Zittern vor den Aktionären

Von Alexander Hübner

Wirtschaft

Aktionärsberater treiben die Vorstände der börsennotierten Unternehmen zunehmend vor sich her. Bei der Hauptversammlung am Freitag könnte Bayer-Chef Baumann sogar das Vertrauen entzogen werden.


München. (reu) Spannend waren deutsche Hauptversammlungen für die Vorstände und Aufsichtsräte auf dem Podium selten, eine Herausforderung waren sie jahrzehntelang allenfalls für das Sitzfleisch. Doch das war einmal. Galten bis vor wenigen Jahren Zustimmungsquoten unter 95 Prozent zu den Beschlussvorschlägen schon als Ohrfeige, müssen Unternehmenslenker heute um die Mehrheiten bangen, egal ob es um Kapitalerhöhungen, die Bonusregeln für den Vorstand oder um ihre eigene Entlastung geht.

Bayer-Chef Werner Baumann kann am Freitag sogar der erste amtierende Vorstandschef eines DAX-Konzerns werden, dem die Aktionäre das Vertrauen entziehen - hauptsächlich wegen der Milliardenrisiken nach der Übernahme von Monsanto. Denn seit der 63 Milliarden Dollar schweren Übernahme des US-Saatgutriesen im vergangenen Sommer hat Bayer gut 37 Milliarden Euro an Börsenwert verloren. In den USA sieht sich das Unternehmen mit mehr als 11.200 Klägern wegen des von Monsanto entwickelten Unkrautvernichters Glyphosat konfrontiert. In zwei Fällen wurde der Konzern bereits zu millionenschweren Schadenersatzzahlungen verurteilt.

Grund für die vermehrt auftretenden Zitterpartien bei den Hauptversammlungen sind vor allem kaum bekannte Firmen, die ISS, Glass Lewis oder Ivox heißen. Sie verdienen ihr Geld damit, großen Anlegern Empfehlungen zu geben, wie sie auf Hauptversammlungen abstimmen sollen. Nach ihren Ratschlägen richten sich vor allem viele ausländische Investoren, in deren Händen mittlerweile eine deutliche Mehrheit der Aktien im DAX liegt.

"Selbst die großen ausländischen Fonds setzen sich nur noch in Ausnahmefällen selbst mit den Beschlussvorschlägen auseinander", sagt Christiane Hölz, Landesgeschäftsführerin des Aktionärsvereins DSW, der selbst mit ISS zusammenarbeitet. Und zumeist verlassen sich die großen Anleger auf die Empfehlungen der Stimmrechtsberater, die laut dem Kleinanlegerschützer Wilhelm Rasinger bisher vor allem die wichtigen Märkte im Fokus haben und noch wenig Interesse an kleineren Ländern wie Österreich zeigen. Gegen die Ansichten von ISS und Glass Lewis lassen sich daher kaum Beschlüsse durch die Hauptversammlung bringen. Und im Fall von Bayer haben beide Berater empfohlen, die Entlastung des Vorstandsvorsitzenden zu verweigern.

Aktionäre wollen gefragt werden

Doch es sind nicht nur die Stimmrechtsberater, die die Möglichkeiten der Aktionärsdemokratie nutzen. "Institutionelle Anleger bilden sich zunehmend eine eigene Meinung und nicken nicht mehr alles ab", sagt Ingo Speich, seit diesem Jahr Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance von Deka Investment und vorher für Union Investment auf zahllosen Hauptversammlungen unterwegs. "Daher kommen wir immer öfter weg von den lange Zeit üblichen ‚kommunistischen‘ Abstimmungsergebnissen. Und das wird in dieser Richtung auch weitergehen."

SAP-Gründer und Aufsichtsratschef Hasso Plattner bekam die Macht der Aktionäre schon vor zwei Jahren zu spüren: Er schrammte nur um Haaresbreite an seiner Nichtentlastung vorbei, unter anderem weil sich Investoren ärgerten, dass ihnen die Vergütungsregeln nicht zur Abstimmung vorgelegt wurden. Der Softwarekonzern habe aus diesem Warnschuss gelernt, sagt Hölz. Die Bonusregeln wurden angepasst, der Aufsichtsrat verjüngt. Vor dem diesjährigen Aktionärstreffen hat Plattner die Maßnahmen in einem offenen Brief an die Anteilseigner erklärt. "Die Anleger wollen verstehen, warum etwas so ist, wie es ist", sagt Hölz.

2017 hatte auch schon die Münchener Rück Schwierigkeiten mit ihren Aktionären bekommen: Der Routine-Beschluss, das Kapital um 50 Prozent aufstocken zu können, ohne die Aktionäre eigens um Zustimmung zu bitten, drohte plötzlich durchzufallen. Denn viele Anleger ärgerte, dass sie selbst bei eventuellen Mega-Fusionen wie der von Linde und Praxair praktisch nicht gefragt werden sollten. Erst als der Rückversicherer versprach, diesen Rahmen nicht auszuschöpfen, reichte es knapp zur Mehrheit.

Inzwischen haben ISS & Co die Daumenschrauben weiter angezogen. Kapitalerhöhungen ohne Bezugsrecht lassen sie 2019 nur noch bis zu zehn Prozent zu, bisher waren 20 Prozent üblich. Die großen Konzerne haben sich darauf eingerichtet. "Kleinere Firmen werden davon mitunter überrascht", sagt DSW-Vertreterin Hölz. Der Hinweis auf das heimische Aktienrecht lässt ausländische Berater dabei oft kalt - sie machen ihre eigenen Regeln.

Indexfonds als weiterer Treiber

Franz-Josef Leven, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Aktieninstituts (DAI), sieht einen weiteren Grund für die wachsende Opposition paradoxerweise im Vormarsch der Indexfonds, die doch als passive Investoren gelten. Sie können nicht einfach ihre Aktien verkaufen, wenn sie mit dem Vorgehen des Vorstands nicht einverstanden sind, weil sie den jeweiligen Aktienindex abbilden müssen. "Das erhöht die Bereitschaft, sich zu Wort zu melden, auch im Interesse der Anleger." Um eine Schlappe für Baumann zu vermeiden, bleibt Bayer nach Ansicht der DSW daher wohl nur ein Ausweg. "An Bayers Stelle würde ich sagen: Lasst uns die Entlastung verschieben, bis man bei den Monsanto-Klagen klarer sieht", sagt Geschäftsführerin Hölz.