Wie lautet Ihr erstes Resümee nach Ihrer Teilnahme am Seidenstraßenforum in Peking?
Sebastian Kurz: Chinas Präsident Xi Jinping hat heute die Marktöffnung Chinas angekündigt. Er hat das wieder einmal getan – ich habe Ähnliches auch beim Boao-Forum, wo wir vor einem Jahr gemeinsam mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Gast waren, gehört. Ich halte die Ankündigung für wichtig und auch für positiv. China ist zweifelsohne ein sehr großer Markt mit einer stark wachsenden Mittelschicht und dadurch auch ein Markt mit sehr viel Potential für die österreichische Wirtschaft. Aber es ist nicht nur wichtig, ob und wann es zu dieser vollständigen Marktöffnung kommt. Entscheidend ist aber auch die Umsetzung. In diesem Zusammenhang ist der Druck zu sehen, der seitens der USA gemacht wird. Dieser scheint eine gewisse Wirkung zu zeigen.
Zur Seidenstraße?
Dieses Projekt entsteht sowieso. "One-Belt-One-Road" wird mit Nachdruck verfolgt, daher sollten wir als kleines Österreich versuchen, die Chancen, die sich hier vielleicht bieten, zu nutzen. Man muss natürlich immer wachsam sein – China ist ein Land, das sehr klar die eigenen Interessen im Blick hat. Wir sollten daher auch unsere europäischen und österreichischen Interessen im Blick haben. Aber: Wir sind als Exportnation am Ausbau von Handelsrouten interessiert. Daher sollten wir das Projekt der neuen Seidenstraße unterstützen – wenn es zum Vorteil aller ist und wenn hier auf Augenhöhe agiert wird.
Ein wichtiger Punkt ist aber auch, dass wir selbst alles tun müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn man sieht, wie schnell hier Projekte von unglaublicher Dimension realisiert werden, wenn man sieht, wie gut sich einige Regionen in der Welt entwickeln – dann sollte uns das zu Denken geben. Die Weltordnung ist im Fluss – daher müssen wir alles tun, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu halten und wenn es geht, sogar noch zu steigern. Erstens: Innovation. In Punkto Innovation sind wir in Österreich an zweiter Stelle in der EU, was die Höhe der Investitionen in Forschung und Entwicklung betrifft. Zweitens: Tempo. Das bedeutet weniger Regulierung und mehr Schnelligkeit. Drittens: Steuern. Wir haben eine Spitzensteuerbelastung in Europa und in Österreich, die gesenkt werden muss. Wie wollen in Österreich in Richtung 40 Prozent Spitzensteuerbelastung. Wir sind zwar gut darin, europäische Werte von Demokratie und Rechtstaat zu exportieren, sind aber weniger gut darin, unsere Interessen wirksam zu vertreten. Wir stehen aber in einem globalem Wettbewerb mit China und den USA. Diese Mächte vertreten sehr nachdrücklich ihre eigenen Interessen – genau das sollten wir auch tun.
Noch etwas: Wir brauchen einen Kulturwandel. Wir müssen erfolgreich sein wollen. Wenn wir in Europa wirtschaftlich nicht erfolgreich sind, dann tun wir uns auch schwer damit, unsere Grundwerte zu exportieren. Zentral ist auch, dass wir in Europa geeint gegenüber China oder den USA auftreten. Nur ein geeintes Europa hat die Kraft, im globalen Wettbewerb zu bestehen. Präsident Donald Trump ist alles andere als ein Freund des Multilateralismus und China hat ein sinozentrisches Weltbild. Dieses System stellt die Universalität unseres Systems, das wir nach 1945 geschaffen haben, da und dort unausgesprochen in Frage. Daher war es uns wichtig, die EU-Kommission von Anfang an einzubinden. Es gelang uns in die Schlusserklärung der Seidenstraßenkonferenz einige Dinge, die uns wichtig waren, einzubringen. Zum Beispiel die drei Ziele der UNO – Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte. Es werden zwar nicht die UN genannt und es ist auch nicht von den UN-Zielen die Rede, aber die drei Ziele als solche finden sich zumindest im Text wieder.
Gibt es Kritikpunkte an der neuen Seidenstraße?
Auffällig ist, dass hier immer wieder nicht von einer gemeinsamen Zukunft, sondern von einer geteilten Zukunft die Rede ist. Wenn man genau hinhört, dann bedeutet das nicht ein Regelwerk nach 1945, das für uns alle gilt, sondern, unterschiedliche Lebensmodelle, unterschiedliche Gesellschaftsformen, unterschiedliche Staatsformen, unterschiedliche Regeln für die verschiedene Teile der Welt: Den asiatischen Raum, den arabischen Raum, Europa – jedem das seine und nicht ein Regelwerk. Das mag sich nach Feinheiten anhören, ist aber wichtig.Aber: Ich finde es wichtig, dass wir hier sind, dass wir uns beteiligen – auch an der Frage, wie das Abschlussdokument aussieht und wie das Projekt sich entwickelt. Es wird jedenfalls noch viel Austausch und Diskussion brauchen.
Xi Jinping hat einige der Kritikpunkte an der neuen Seidenstraße ja auch direkt angesprochen: Offenheit, Transparenz. Hört Peking den Kritikern des Projekts mehr zu?
Ich habe das Gefühl, dass es einige Ansätze in die richtige Richtung gibt, dass es da Bewegung gibt. Seit dem Boao-Forum – wo die Bundesregierung und der Bundespräsident vertreten waren – ist ein Investitonsgesetz verabschiedet worden. Das ist sehr positiv. Es gibt auch die Zusage des chinesischen Präsidenten, dass das Investitionsschutzabkommen mit der EU nächstes Jahr unterzeichnet werden soll. Wichtig ist bei diesen Fragen aber das Tempo und auch eine vollständige Umsetzung der Ankündigungen. Da wird Europa weiter fordernd sein und auch die USA weiter Druck machen. Wenn der chinesische Präsident Xi Jinping aber das alles umsetzt, was er angekündigt hat, dann ist das eine positive Entwicklung für uns alle.
Unter welchen Umständen wäre Österreich bei One-Belt-One-Road mit dabei?
Wenn es für uns genauso Chancen bietet wie für andere. Wir achten aber auch sehr stark auf unsere eigenen Interessen. Wenn ich an den Westbalkan denke, dann stehen wir zweifelsohne in Konkurrenz zu China – da stehen österreichische Unternehmen im Wettbewerb mit chinesischen Firmen. Aber ich sehe viele Chancen für Zusammenarbeit . Wichtig ist aber, dass wir als Europäische Union geeint auftreten. Solange wir als EU geeint auftreten, sind wir stark.
Wir sind aber nicht immer geeint. Auch nicht in der Frage der Teilnahme an dieser chinesischen Initiative...
Dieser Punkt ist berechtigt. Darum war es uns auch so wichtig, uns mit der EU-Kommission abzustimmen. Wir haben uns über die Inhalte abgestimmt und in der Frage, ob eine Teilnahme richtig ist. Ich habe im letzten Rat übrigens kritisch angemerkt, dass wenn Staaten hier einen anderen Weg gehen (gemeint ist hier offenbar Italien, das im März der Initiative offiziell beigetreten ist, Anm.), das nicht unbedingt hilfreich ist. Man muss Länder, die ausscheren, auch bremsen, denn langfristig schaden sie sich dadurch selbst. Nur in geeintes Europa kann ein starker Partner sein. Sich aber einem Projekt wie der Seidenstraße zu verschließen oder zu glauben, man kann erfolgreich sein, indem man China ignoriert – das wäre ein völlig falscher Ansatz.
Der frühere Präsident der Wirtschaftskammer, der oberösterreichische Unternehmer Christoph Leitl hat gefordert, dass China auf Augenbhöhe mit Europa verhandeln soll und nicht mit den europäischen Ländern jeweils einzeln...
Christoph Leitl hat recht. Aber gleichzeitig gibt es neben dem Kontakt zu Brüssel auch bilaterale Kontakte. Und das ist ja auch in Ordnung so. Aber wir sollten uns im europäischen Orchester abstimmen.
Muss man sich in der Frage USA oder China für eine Seite entscheiden?
Wir wollen einen fairen Freihandel mit den USA. Die USA sind unser zweitwichtigster Handelspartner nach Deutschland. Beim Druck der USA auf China in Richtung einer freien Marktöffnung hat die EU ähnliche Interessen – auch Europa will einen besseren Zugang zum chinesischen Markt.
Wie verhindert man, dass die Seidenstraße ein Einfallstor für chinesische Waren wird?
Im Kontakt mit China sicherzustellen, dass die Spielregeln die gleichen sind, dass die Seidenstraße eine Handelsroute mit Verkehrsregeln ist. Plus: Ich habe es bereits erwähnt: Wir müssen wettbewerbsfähig sein. Wenn wir nicht wettbewerbsfähig sind, dann scheitern wir nicht an einer Handelsroute, sondern an mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Das ist wie im Sport: Der Wettkampf muss fair sein, aber am Ende gibt es einen Wettkampf. Und so ist es in der Wirtschaft auch.
Anmerkung der Redaktion: Das Interview entstand im Rahmen des Medienbriefings nach Kanzler Kurzs Teilnahme am Seidenstraßenforum in Peking. Die Fragen stellten die "Wiener Zeitung", die "Tiroler Tageszeitung", der "Kurier", die "Presse", der "Standard", der ORF sowie die OÖN.