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Der Lockruf des brasilianischen Marktes

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Die Voestalpine ist längst da, Andritz ebenso. Nun plant auch der Zellstoff-Fabrikant Lenzing ein riesiges Werk in Brasilien. Ein baldiger Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens könnte sogar den notorischen Protektionismus aufweichen.


São Paulo/Wien. Der ausländische Investor muss sich schon durchbeißen, wenn er nach Brasilien will. Und doch locken über 200 Millionen potenzielle Konsumenten immer wieder auch österreichische Unternehmungen nach Brasilien. Und die nehmen allerhand in Kauf für den größten Markt Lateinamerikas.

Zur Einordnung: Wer seine Ware in Mexiko, dem zweitgrößten Markt Lateinamerikas mit rund 130 Millionen Einwohnern, verkaufen will, muss praktisch nur Wege finden, um sie dorthin zu schaffen. Handelsabkommen mit der EU machen es weitgehend zoll- und steuerfrei möglich.

Wer aber unbedingt nach Brasilien möchte, muss sich gleich überlegen, ob er oder sie nicht in Brasilien selbst produzieren möchte. Denn Brasilien ist ein notorisch protektionistisches Land. Steuern und Zölle sind hoch. Aber auch die Produktionskosten in Brasilien wiegen schwer, erzählt der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Brasilien, Klaus Hofstadler. Dazu verlangen die brasilianischen Gesetze etwa auch die Einbindung von brasilianischen Arbeitern und Zulieferern.

Rund 200 österreichische Firmen haben Niederlassungen in Brasilien, aber nur ein Viertel davon produziert in dem Land. Dazu gehört etwa der österreichische Konzern Voestalpine mit einem Stahlwerk. Die Andritz-Gruppe ist als Ausstatter und Modernisierer von Fabriken aktiv - etwa im Bereich von Zellstoffwerken.

Der börsennotierte oberösterreichische Faserhersteller, die Lenzing AG, hat vor kurzem erklärt, ein Milliarden-Projekt in Brasilien, im Bundesstaat Minais Gerais, umsetzen zu wollen. Das Joint-Venture soll zusammen mit der brasilianischen Firma Duratex entstehen, die im Kern Land und Waldbesitz zuliefern wird. Denn ohne Wald kein Zellstoff, ohne Zellstoff keine Holzfaser, die dann etwa später zu dem Stoff Lyocell verarbeitet werden kann.

Das Land mit den riesigen Anbauflächen für die Eukalyptus-Bäume ist einer der wichtigsten Zellstoffproduzenten der Welt. Und so ist die Entscheidung von Lenzing ein strategisch wichtiger Schritt, um am weltweiten Zellstoff-Markt stärker mit zu spielen. Lenzing wird damit zum ersten Mal Waldbesitzer und ist nicht länger nur auf Zulieferer angewiesen.

Brasilien ist weiterhin ein Land der Rohstoffe. Die Zellstoff-Industrie fällt etwa in Brasilien in den riesigen Bereich des "Agrobusiness" hinein. Der mächtigste Sektor Brasiliens, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Die Hälfte aller Exporte ist auf die Agroindustrie zurückzuführen. Und das parlamentarische System ist zu einem Drittel mit Interessensvertretern aus der Agroindustrie bestückt. Laut dem journalistischen Netzwerk "Brasil Report" stehen 200 der 513 Abgeordneten in dem Unterhaus der Agroindustrie nahe, im Senat sollen es 32 von 81 Senatoren sein. Die neue Landwirtschaftsministerin war früher in der Agroindustrie beschäftigt.

Agroindustrie unterstützt Bolsonaro

Die Agroindustrie ist auch ein ausschlaggebender Sektor, der den neuen Präsident Jair Bolsonaro tatkräftig unterstützt hat. Während der Rest der Welt sich gebannt auf Bolsonaros rückwärts gewandten gesellschaftspolitischen Aussagen konzentriert hatte, spitzte der Agrosektor die Ohren, wenn es um die Versprechungen von Steuererleichterungen und sonstigen Vereinfachungen gegangen ist. Dazu nahm Bolsonaro den nun amtierenden Superminister für Wirtschaft und Finanzen mit an Bord: Paulo Guedo, der unter anderem an der Universität von Chicago studiert hat. Guedo, der sich als Liberaler definiert, hat eine Steuerreform und eine Pensionsreform vor sich: Brasilien hatte 2018 ein Budgetdefizit von acht Prozent. Solche Projekte führen dazu, dass das Unternehmervertrauen laut Umfragen recht hoch ist - wenn auch nicht ganz so überschäumend, wie gleich noch bei Amtsantritt von Bolsonaro im Jänner 2019. Denn auch in Brasilien mahlen die demokratischen Mühlen langsamer, als es so manchem recht ist.

Das Land verspricht sich jedenfalls einen Anschub in der Wirtschaft. 2015 und 2016 war Brasilien von einer tiefen Rezession geprägt, mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von jeweils drei Prozent.

2017 und 2018 stagnierte die Konjunktur, das Wirtschaftswachstum war gleich mit dem Bevölkerungswachstum. Dass es überhaupt zu einem Plus gekommen ist liegt übrigens am Agrobusiness, das 2017 um 14 Prozent gewachsen ist, obwohl das eigentlich ein Stagnationsjahr war. Ohne Agroindustrie wäre es 2017 auch eine Rezession gewesen, meint Hofstadler. So mächtig ist der Sektor. Der Wachstumsschub sei übrigens laut Hofstadler nicht durch eine Ausdehnung der bewirtschafteten Flächen gewesen, sondern durch eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung sowie dem Einsatz von High-Tech-Geräten.

Abkommen mit der EU könnte Maschinenimporte erleichtern

Besonders schlimme Auswirkungen der Krisenjahre spürt man heute noch: Die Arbeitslosigkeit ist extrem gestiegen: Offiziell sind 13 Millionen Menschen arbeitslos. Man geht aber von der doppelten Menge aus - 26 Millionen - die entweder arbeitslos sind, oder unterbeschäftigt, oder gar nicht mehr suchen. Das hat auch zu einem massiven Kaufkraftverlust der Mittelschicht geführt, erzählt Hofstadler.

Bewegung könnte in die Wirtschaft Brasiliens auch durch das EU-Mercosur-Abkommen kommen. Der Mercosur ist ein Handelsbündnis zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Die Verhandlungen dazu gibt es seit rund zehn Jahren.

Erst am Mittwoch hat die brasilianische Regierung angedeutet, dass die Verhandlungen möglicherweise schon nächste Woche abgeschlossen werden können. Frankreich, das lange Bedenken gegen die erleichterte Einfuhr von Agrar-Produkte Brasiliens in die EU hatte, stellt sich offenbar nicht mehr gegen das Abkommen. Für Österreich könnte es spannend werden, weil die Zölle im Maschinen- und Automotiv-Bereich dann wegfallen. Doch sogar jetzt ist es gewinnbringend, österreichische Maschinen nach Brasilien zu importieren, weil sie dort "konkurrenzlos" sind, so Hofstadler.